Limburg, 10.03.2023
Mit den Menschen in Kirche und Gesellschaft unterwegs sein
Kirsten Brast ist seit November 2022 Regens im Bistum Limburg. Zu seinen Aufgaben gehören die Auswahl, Begleitung und Beurteilung der Priesterkandidaten und Kapläne in der Diözese. Darüber hinaus ist Brast Pfarrer in der Pfarrei St. Martin Idsteiner Land und Bezirksdekan im Untertaunus.
Im Interview spricht Regens Brast über das Priester sein heute, die Chancen und Herausforderungen eines zeitgemäßen Berufsbildes und die Veränderungen, die sich aus dem Projekt „Betroffene hören – Missbrauch verhindern“ ergeben haben.
Regens Brast, im Jahr 2010 kam der Missbrauchsskandal der katholischen Kirche in Deutschland ans Licht und stürzte Bischöfe, Priester und Laien in eine tiefe Vertrauenskrise. Zugleich wurde durch den Skandal eine neue innerkirchliche Dialogkultur eröffnet und eine Reformdebatte angestoßen. Wie hat sich das Priesterbild aus Ihrer Sicht in den vergangenen 15 Jahren verändert?
Ich glaube, dass das Priesterbild in der zurückliegenden Zeit diffuser geworden ist. Ziel ist sicherlich, dass der Priester im Kontext eines Teams mit anderen pastoralen Berufsgruppen, aber auch mit Ehrenamtlichen zusammenarbeitet und dabei seine spezifisch priesterlichen Dienste und überhaupt seine Stärken und Charismen zum Einsatz bringen kann. Er ist also nicht mehr der pastorale Monolith, der die Gläubigen wie Satelliten um sich kreisen lässt, sondern Teamplayer – gegebenenfalls in einer Leitungsfunktion. Eine andere Frage ist freilich, ob dies auch der außerkirchlichen Wahrnehmung entspricht – oder auch der, die nach wie vor in vielen Teilen der Kirche vorhanden ist. Hier ist man sicher oft mit überholten (und möglicherweise überhöhten) Vorstellungen konfrontiert.
Welche Veränderungen gab es konkret durch die Aufarbeitung der Missbrauchsfälle und den MHG-Prozess?
Vor allem eine neue Ausbildungsordnung, die versucht den Erkenntnissen aus der MHG-Studie und dem veränderten Priesterbild Rechnung zu tragen.
Menschen, die selbst gut verwurzelt sind, können auch in der Begleitung Halt geben.
Bischof Georg Bätzing hat im Mai 2021 eine gemeinsame Ausbildungsordnung für die pastoralen Berufe in Kraft gesetzt. Welche Veränderungen ergeben sich dadurch für die Ausbildung von Seelsorgerinnen und Seelsorgern in der Diözese?
In der vorausgehenden Analyse wurde festgestellt, dass Kirche und Gesellschaft sich rasant wandeln. Wie Aufgabengebiete von Seelsorgerinnen und Seelsorgern in 20 Jahren aussehen werden, ist unklar. Zugleich zeichnen sich Veränderungen beim pastoralen Nachwuchs ab: Nicht mehr alle Kandidatinnen und Kandidaten sind „klassisch“ sozialisiert, kommen möglicherweise aus anderen zuvor ausgeübten Berufen oder aus muttersprachlichen Gemeinden.
Daher wird im neuen Ausbildungskonzept großer Wert auf die Persönlichkeitsentwicklung gelegt. Menschen, die selbst gut verwurzelt sind, können auch in der Begleitung Halt geben. Seelsorgerinnen und Seelsorger, die sich intensiv mit dem eigenen Glauben, der Gesellschaft und mit der menschlichen Entwicklung auseinandergesetzt haben und dies immer wieder neu tun, können als glaubwürdige Vertreter der Kirche agieren. Dazu gehört eine konsequente Ausrichtung an das Lernprinzip der Kompetenzen und Haltungen. Die Kompetenzen werden individuell in den Blick genommen, das heißt, je nach Persönlichkeit und Berufsziel können sie unterschiedlich ausgeprägt sein.
Ziel der Ausbildung ist die Befähigung von Menschen, in einer sich entwickelnden und wandelnden Kirche tätig zu werden bzw. zu sein.
Außerdem sind Ergebnisse des Projektes „Betroffene hören – Missbrauch verhindern“ in das neue Ausbildungskonzept eingeflossen. Konsequent wird darauf geachtet, so viel wie möglich berufsgruppenübergreifend auszubilden, qualifizierte Eignungsdiagnostiken zu gewährleisten, Missbrauchsprävention zu stärken und eine supervisorische Begleitung vorzusehen.
Zusammenfassend kann man sagen: Ziel der Ausbildung ist die Befähigung von Menschen, in einer sich entwickelnden und wandelnden Kirche tätig zu werden bzw. zu sein. Die Dimensionen von Sozialraumorientierung („Für wen sind wir da?“), Spiritualität („Wer und was trägt und leitet uns?“), Partizipation und Innovation („Wie sind wir Kirche?“), zeitgemäßem Seelsorgeverständnis („Wie begegne und begleite ich Menschen – unter Anerkennung ihres je eigenen Weges?“) und Nachhaltigkeit („Wie können wir die Schöpfung bewahren und nachhaltig handeln?“) sind handlungsleitend.
Ziel der Ausbildung ist zudem die Entwicklung von Persönlichkeiten, die wissens- und kompetenzbasiertes Handeln in unterschiedlichen Kontexten umsetzen können und so in neuen Situationen und auf Herausforderungen hin selbstorganisiert und kreativ Lösungen finden können.
Wie kann sich die neue Ausbildungsordnung auf das Verständnis des Priesteramtes auswirken?
Die neue Ausbildungsordnung kann dazu dienen, gemeinsame Lernerfahrungen über Berufsgruppen hinweg zu ermöglichen. Das gemeinsame Unterwegs-sein kann helfen, die (oftmals eher von außen herangetragene) „Überhöhung“ des Priesteramtes zu „erden“.
Ausbildung wird im Bistum Limburg innerhalb eines Prozesses lebenslangen Lernens verstanden. Auch dies hat Auswirkungen auf das Selbstverständnis: Wir alle sind nie „fertig“ oder „perfekt ausgebildet“. Jeder kann sich weiterentwickeln und lernen – bei Fortbildungen, an und durch andere Menschen, seien sie in Kirche angestellt oder nicht, oder an gesellschaftlichen und theologischen Entwicklungen.
Zusammen mit den Ausbildungsverantwortlichen ist es vor allem der Habitus Christi, der den gemeinsamen Referenzpunkt bildet, und antreibt an- und miteinander zu wachsen, sich in einen Prozess der Persönlichkeitsentwicklung zu begeben, entsprechende Haltungen zu entwickeln, zu entfalten und konkret beschriebene Kompetenzen zu trainieren und zu internalisieren.
Ausbildung wird im Bistum Limburg innerhalb eines Prozesses lebenslangen Lernens verstanden.
Welche Perspektiven und Chancen sehen Sie in der neuen Ausbildungsordnung und in einem veränderten Priesterbild (für die Institution Kirche, für die Seelsorge für den Priester, für die Pfarrei)?
Die neue Ausbildungsordnung bietet die Chance, die Kirche und ihre Gläubigen wahrzunehmen als eine Institution, die unterwegs ist. Hier ist das Bild des „pilgernden Gottesvolkes“ eine mögliche Metapher.
Auch die Perspektive, dass wir alle lebenslang Lernende sind und immer aufeinander hören und Menschen individuell begleiten sollen, kann uns als Kirche in die Zukunft begleiten. Wir sind nie die „Allwissenden“ und daher auch nicht „perfekt“ – wir können aber unsere Perspektiven des Glaubens anbieten. So sollten und müssten wir mit den Menschen in Kirche und Gesellschaft unterwegs sein.
Trägt ein neues Priesterbild zu mehr Schutz vor (sexuellem, spirituellem) Missbrauch bei?
Das kann ich letztlich nicht beurteilen. Insgesamt ist die persönliche Macht eines Priesters in seiner Pfarrei sicher wesentlich geringer geworden. Die Gefahr, in ihm eine "gottähnliche" Gestalt zu sehen und sein Handeln nicht kritisch zu hinterfragen, dürfte dadurch gemindert sein.
Was wünschen Sie sich für die Seelsorge im Bistum Limburg?
Dass sie – in vielfältiger Weise – angstfrei ausgeübt werden kann und auch künftig Menschen zum Evangelium und zum dreifaltigen Gott führen kann.
In einer siebenteiligen Online-Veranstaltungsreihe informiert das Bistum Limburg unter dem Titel „Es tut sich was! Betroffene hören – Missbrauch verhindern“ über den aktuellen Stand der Aufarbeitung und die Umsetzung der Maßnahmen aus dem MHG-Folgeprojekt. Die Veranstaltungen beginnen jeweils um 19 Uhr. Der nächste Termin der Reihe ist:
6. Juni 2023: Hilfe mit Weitblick: Einfache Zugänge im Bistum
(Der ursprünglich geplante Veranstaltungstermin am 02.05. musste leider verschoben werden).
Gäste:
- Dr. Wolfgang Pax (Generalvikar des Bistums Limburg),
- Silke Arnold (Präventionsbeauftragte und Referentin in der Koordinationsstelle Prävention vor sexualisierter Gewalt)
Zoom-Zugangslink:
https://us02web.zoom.us/j/82575256167?pwd=dStTQnNSSlNxeGdKTWRwWnA1OVZwdz09