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Eine Frage der Haltung

Dagmar Gerhards ist die neue Fachkraft für Kommunikation im MHG-Projekt
Eine Frage der Haltung
Eine Frage der Haltung
Dagmar Gerhards ist die neue Fachkraft für Kommunikation im MHG-Projekt „Betroffene hören – Missbrauch verhindern“. © B. Fischer/ Bistum Limburg

Dagmar Gerhards ist seit dem 1. Juli 2021 „die Neue“ im MHG-Projekt „Betroffene hören – Missbrauch verhindern“. In der neu geschaffenen Stelle als Fachkraft für Kommunikation sieht die 55-jährige Mediatorin, Trainerin und Coach ihre Aufgabe in einer Doppelfunktion: Als Anwältin für die Bedürfnisse der Betroffenen von sexualisierter Gewalt und Servicestelle für die Institutionen im Bistum, die mit dieser Thematik befasst sind. Im Interview spricht Gerhards über ihre neue Aufgabe und die Bedeutung einer bedürfnisorientierten Haltung für eine gelingende Kommunikation.

Frau Gerhards, seit dem 1. Juli arbeiten Sie mit einem Stellenumfang von 50 Prozent als Fachkraft für Kommunikation im MHG-Projekt „Betroffene hören – Missbrauch verhindern“. Was sind Ihre Aufgaben und inwieweit ist Ihre Ausbildung als Mediatorin dabei hilfreich?

Meine Aufgabe als Fachkraft für Kommunikation ist es, dafür Sorge zu tragen, dass die Bedürfnisse der Betroffenen von sexualisierter Gewalt an erster Stelle stehen – in der Kommunikation des Bistums, aber auch in der Haltung der im Bistum Aktiven. Ausgangspunkt jeder Kommunikation ist eine Haltung. Diese muss so entwickelt werden, dass sie sich an den Bedürfnissen der Betroffenen orientiert und nicht an dem Bemühen, der Institution bloß keinen Schaden zuzufügen. Wenn dies gelingt, erreichen wir  eine Kulturveränderung, die an der Art der Kommunikation deutlich wird. Genau das hat das Projekt „Betroffene hören – Missbrauch verhindern“ gefordert und meine Aufgabe ist es, dies nun Schritt für Schritt umzusetzen. Meine Kenntnisse und Erfahrungen in der Mediation sind dabei eine wichtige methodische Hilfe: Es geht darum, die Bedürfnisse der Beteiligten herauszufinden und dann auf dieser Grundlage zu erarbeiten, wie die Kommunikation und der Kontakt miteinander gelingen können. Dies alles zusammengenommen zeigt klar die nötigen Schritte auf, die zu gehen sind: Eine Haltung entwickeln, die sich in der Kommunikation widerspiegelt und dann das Miteinander als gleichberechtigte Personen ermöglicht. Ohne die bisherigen Machtgefälle.

Geht es nur um die Kommunikation mit den Betroffenen oder auch um die Kommunikation des Bistums nach außen?

Sowohl als auch. Nehmen wir das Beispiel eines Betroffenen, der sich an den Bischof wendet, weil er den Eindruck hat, dass sein Fall nicht richtig gehört und bearbeitet wurde. Meine Aufgabe ist es herauszufinden, was dahinter steckt. Es ist ein Unterschied, ob ich eine Anfrage auf der reinen Sachebene beantworte und auf bestimmte gesetzliche Rahmenbedingungen verweise oder ob ich mir überlege, welches Bedürfnis der Betroffene tatsächlich hat. Womöglich ist in diesem Moment sein Bedürfnis, vom Bischof erst einmal gehört und aktiv wahrgenommen zu werden. Meine Aufgabe besteht also in einer Doppelfunktion: Ich begreife mich als Servicestelle für die Stellen und Personen, die mit den Betroffenen von sexualisierter Gewalt im Kontakt stehen. Sie berate ich in der Kommunikation. Dabei bin ich Anwältin der Betroffenen und ihrer Bedürfnisse.

Wie sieht das konkret aus? Wenn sich ein Betroffener oder eine Betroffene nicht richtig gehört fühlt und sich in einer Abteilung oder Institution des Bistums meldet, dann übernehmen Sie nicht die direkte Kommunikation mit den Betroffenen, sondern Sie beraten, wie eine gelingende Kommunikation mit den Betroffenen aussehen kann?

Ja, genau. Das kann im Einzelfall natürlich auch anders aussehen, dass zum Beispiel jemand sagt: „Puh, wir kommen überhaupt nicht klar miteinander, können Sie da nicht mal mit dazu kommen?“ Auch das kann ich mir gut vorstellen.

Wie erkennen Sie die Bedürfnisse der betroffenen Personen?

Ich bin mit Betroffenen in Kontakt und habe vieles in der Vorbereitung auf die Stelle gelesen. Auch bekomme ich Einblicke in die Korrespondenz. Kritische Medienberichte diskutieren wir im Team des Bischöflichen Beauftragten. Außerdem helfen mir meine Erfahrungen als Coach und als Mediatorin. Letztendlich muss immer rückgefragt werden. Es ist ja nur mein ganz persönlicher Eindruck, welches  Bedürfnis beispielsweise hinter bestimmten Forderungen steht. Das A und O ist: zuhören und fragen. Bezeichnend für den Umgang mit Betroffenen ist für mich die Bibelstelle, in der Jesus den blinden Bartimäus trifft. Zuerst wollen die Jünger Bartimäus abweisen, aber Jesus lässt ihn herankommen. Er fragt Bartimäus als erstes: Was willst du, dass ich dir tue? Diese Haltung zu haben ist wichtig, dieses Fragen. Nicht das Abwehrende der Jünger: „Stör ihn jetzt nicht“ und auch nicht das wissende: „Ich sehe Du bist blind, also weiß ich was Du willst“. Sondern er wird aktiv und fragt ihn nach seinen Bedürfnissen.

Beobachten Sie eine solche Abwehrhaltung auch im Umgang mit den Betroffenen von sexuellem Missbrauch?

Ich habe gerade erst angefangen und bin dabei, mir Eindrücke zu verschaffen. Pauschale Antworten zu geben, ist hier auf jeden Fall zu früh. Den Wunsch, Betroffene in den Mittelpunkt zu stellen, höre und spüre ich an allen Stellen im Bistum, mit denen ich bislang in Kontakt gekommen bin. Die Sensibilität dafür ist auf jeden Fall da. Aber die Ergebnisse des Projektes „Betroffene hören – Missbrauch verhindern“ zeigen, dass es hier noch Verbesserungspotenzial gibt. Das ist für eine Institution in einem gewissen Sinne normal. Bemerkenswert ist, dass das Bistum Limburg dies aktiv verändern will.

Was ist notwendig, um die Haltung positiv zu verändern?

Ein offener, angstfreier Blick auf die Betroffenen. Häufig erlebe ich, dass Menschen sich angegriffen fühlen, wenn jemand an sie herantritt, der enttäuscht ist. Sie fühlen sich persönlich oder als Institution angegriffen und geraten schnell in eine Verteidigungshaltung. Für die betroffenen Personen ist das nicht hilfreich. Sie möchten mit ihren Anliegen gesehen werden. Meine Aufgabe ist es, den Menschen zu helfen, diese andere Sichtweise zu entwickeln. Es geht nicht um Verteidigung, es geht darum, mit dem Menschen, der sich an das Bistum wendet so umzugehen, dass es für sie oder ihn hilfreich ist.

Gibt es Situationen in denen bedürfnisorientierte Kommunikation an Grenzen stößt?

Wenn die betroffene Person beispielsweise tief verletzt ist und sich nicht öffnen kann oder will, dann muss ich das auch akzeptieren und nicht frustriert sein. Es ist wichtig zu schauen, was der andere will und zulassen kann. Das eröffnet eine Freiheit, die einen selbst vor Enttäuschungen schützt. Ich kann nicht erwarten, dass es immer glatt läuft. Ich kann mein Gegenüber nicht heilen. Aber ich kann jede und jeden Betroffenen als  Mensch akzeptieren. Die erlittenen Verletzungen kann niemand mehr rückgängig machen, aber vielleicht können wir helfen, dass sie vernarben und nicht durch ungeschicktes Verhalten immer wieder aufgerissen werden. Wenn ich meine innere Haltung in diese Richtung ändern kann, gibt mir das eine Freiheit, mit der ich dann wirklich hinhören kann. Und zu dieser Freiheit will ich ermutigen.

Wir haben jetzt viel über direkte Kontakte gesprochen. Welche Formen der Kommunikation gehören noch zu Ihren Aufgaben?

Zu meinen Aufgaben gehört außerdem die Kommunikation der Umsetzung der  Projektergebnisse. Hier unterstütze ich den Bischöflichen Beauftragten und sein Team. Damit sind sowohl die breite Öffentlichkeit und die Bistumsöffentlichkeit gemeint, als auch eine Kommunikation mit der Gruppe der Betroffenen, beispielsweise über Betroffenenbeiräte. Das Ziel ist es, die betroffenen Personen direkt zu informieren, welche Inhalte aus dem Projekt bereits umgesetzt sind und welche Änderungen daraus folgen. Diese Kommunikation wird in enger Kooperation mit der Abteilung Informations- und Öffentlichkeitsarbeit im Bischöflichen Ordinariat erfolgen.

Können sich alle Institutionen des Bistums an Sie wenden?

Zentral sind im ersten Schritt die dem Bischöflichen Ordinariat angegliederten Abteilungen. Aber es ist auch angedacht, dass das bis in die Pfarreien gehen kann und auch gehen soll. Insbesondere wenn es um die Aufarbeitung in einer Gemeinde geht.

Ist über die Bistumsgrenzen hinaus eine bundesweite Vernetzung mit anderen Stellen angedacht?

Ja, auf jeden Fall. Eine Vernetzung mit den anderen Bistümern und darüber hinaus. Schließlich gibt es viele Organisationen, die sich für die Bedürfnisse von Betroffenen einsetzen. Die Vernetzung mit diesen Organisationen und Stellen ist mir wichtig. Es gibt ja nicht das eine Bedürfnis und nicht die oder den Betroffenen. Die Bedürfnisse sind individuell und es ist wichtig, immer im Austausch zu sein, wie man den unterschiedlichen Bedürfnissen gerecht werden kann. Man kann voneinander lernen.

Und welche ist Ihrer Meinung nach die größte Herausforderung?

Es gibt schon jetzt klare Ansprechpartner und Stellen im Bistum. Ich sehe mich nicht zu ihnen in Konkurrenz, sondern als Ergänzung. Zu den größten Herausforderungen gehört es für mich, bei den Betroffenen Vertrauen zu schaffen, dass sie sich verstanden fühlen und mit ihren Anliegen gehört und gesehen werden.

Was wünschen Sie sich für Ihre neue Aufgabe für die Zukunft?

Ich wünsche mir die Unterstützung und den Freiraum, den es für die Aufgabe braucht, die Betroffenensicht zu etablieren. Die Rückendeckung der Bistumsleitung, dass es wirklich eine Veränderung der Kultur geben soll. Aber da bin ich sehr zuversichtlich. Unser Bischof Georg Bätzing hat einmal gesagt: Es kann nicht sein, dass die Menschen, die schon so sehr verletzt worden sind, noch einmal verletzt werden.

Hintergrund: Zur Person und Kontakt

Dagmar Gerhards ist Absolventin des Studiengangs Pastorale Dienste an der Katholischen Akademie Würzburg und Beraterin für Ethik im Gesundheitswesen (cekib). Neben ihrer Tätigkeit beim Bistum arbeitet die zertifizierte Mediatorin, Trainerin, Coach und Dozentin in ihrer eigenen Agentur im Bereich Konfliktmanagement und Kommunikation, die sie gemeinsam mit ihrem Ehemann leitet.

Erreichbar ist Dagmar Gerhards jeweils dienstags, donnerstags und freitagvormittags beim Bischöflichen Beauftragten für die Umsetzung der MHG-Projektergebnisse, Bischöfliches Ordinariat Limburg, Rossmarkt 4, unter der Telefonnummer (06431) 295 755 sowie per E-Mail (d.gerhards@bistumbistumlimburglimburg.de).

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