Europa muss offen und tolerant bleiben


Europa darf sich nicht abschotten und isolieren. Dies hat Annette Schavan, deutsche Botschafterin beim Heiligen Stuhl, in ihrer Predigt am fünften Fastensonntag, 18. März, im Limburger Dom betont. Europa dürfe mit Blick auf seine Geschichte keine Angst vor der Begegnung mit Menschen aus anderen Ländern haben, die wegen Not, Gewalt und Perspektivlosigkeit nach Europa flüchten.
Ein Kontinent der Vielfalt
„Europa kennt das. Jetzt ist die Stunde der Wahrheit und es gilt die Zeichen der Zeit wahrzunehmen und neue Wege zu gehen“, sagte Schavan. Europa müsse sich öffnen, wenn auch nicht ungeregelt. Und Europa müsse neugierig sein, neugierig auf neue Ideen und auf den Geist, der neue Gemeinschaft stifte. Christen könnten enorm viel tun, denn ihre Verantwortung ende nicht an nationalen Grenzen und höre niemals bei sich selber auf. „Die katholische Kirche ist seit jeher ein Globalplayer und weltweit in allen Kulturen präsent“, so die ehemalige Bundesbildungsministerin. Papst Franziskus ermutige immer wieder dazu, andere Wege einzuschlagen und das Neue nicht zu fürchten. Christen könnten wie Navigationsgeräte sein und anderen bislang unbekannte Wege zeigen. Sie könnten Menschen Angst vor Neuem nehmen. „Europa ist ein Kontinent der Vielfalt. Christen können helfen, dass Türen und Fenster in Europa offen bleiben. Sie können helfen, dass Dialoge geführt werden und Erneuerung stattfindet“, sagte Schavan. Es müsse neu gedacht werden mit der Verbindung zur Erinnerung. Europa brauche neue Begegnungen, neue Dialoge und neue Impulse. „Papst Franziskus ermutigt uns dazu. Er will uns vor allem im Dialog mit Menschen sehen, die am Rand der Gesellschaft stehen“, so Schavan.
Europa ist ein Kontinent der Vielfalt. Christen können helfen, dass Türen und Fenster in Europa offen bleiben. Sie können helfen, dass Dialoge geführt werden und Erneuerung stattfindet.
Botschafterin Annette Schavan
Es braucht ein hörendes und verständiges Herz
Wer Zukunft gestalten und die Zeichen der Zeit erkennen will, brauche vor allem ein hörendes, weises und verständiges Herz. „Wer ein Gespür entwickeln will für den Unterschied zwischen den vielen Trends und den wirklichen Zeichen der Zeit, der muss zuhören können“, sagte Schavan. Der Blick in die Geschichte Europas mache deutlich, dass es wichtig ist, dass es Menschen gibt, die die Zeichen der Zeit zu deuten wissen. Und die bereit sind, aufzubrechen, um mit diesen Zeichen umzugehen. In aller Regel gingen diese Menschen neue Wege. Das gelte auch für Europa. Nach dem Zweiten Weltkrieg hätten sich sechs Länder auf einen neuen Weg gemacht mit der Vision eines friedlichen und werteorientierten Miteinanders auf dem Kontinent. 1957 unterzeichneten die Staatschefs dieser sechs Länder die römischen Verträge und damit die Grundlage für eine Werte- und Wirtschaftsunion. In der Geschichte Europas habe es aber auch immer wieder Krisen gegeben. 1980 hätten die Menschen beispielsweise von einer Eurosklerose gesprochen. Europa sei gespalten gewesen. Dennoch gründete sich in Polen Solidarność, eine Bewegung, die maßgebend an der Wende 1989 beteiligt gewesen sei. Papst Johannes Paul II. habe die Bewegung unterstützt und Menschen ermutigt, den Weg der friedlichen Revolution mitzugestalten.
Die Gründung der Europäischen Union war das größte Friedenswerk, das Europa je gesehen hat.
Botschafterin Annette Schavan
Es braucht Menschen, die die Zeichen der Zeit erkennen
„Es gibt keinen Automatismus in der Entwicklung von Gesellschaft. Es gibt keinen Automatismus in der Entwicklung Europas. Es braucht Menschen, die die Zeichen der Zeit erkennen. Die neue Wege einschlagen und die sagen, dass nicht alles so bleiben soll, wie es ist, nur ein bisschen besser“, so Schavan. Heute hadere Europa wieder. Scheinbar werde nicht gesehen, dass eine gute Entwicklung in der Europäischen Union mit einer guten Entwicklung im eigenen Land korrespondiere. „Die Gründung der Europäischen Union war das größte Friedenswerk, das Europa je gesehen hat“, sagte die Politikerin, die in der Europäischen Union eine der großen Kraftquellen des Kontinents sieht. Es brauche neue Ideen, um die große Friedensidee Europas wieder zu entdecken. Zudem gelte es, sich bewusst zu machen, dass das Wissen und das Können der Menschen der Reichtum Europas sei. Es brauche den Mut, der jungen Generation etwas zuzutrauen und ihr in Europa eine Perspektive zu geben. Die junge Generation müsse entdecken, dass sie mitgestalten und Verantwortung übernehmen kann. „Europa braucht eine neue Solidarität der Generationen. Wir dürfen die alten nicht vergessen und die jungen nicht ignorieren. Nur gemeinsam kann es gelingen. Und wir brauchen eine Solidarität der Kulturen. Europa ist ein Kontinent der Toleranz und Vielfalt. Das müssen wir deutlich machen“, sagte Annette Schavan.