Für eine Gesellschaft des Trostes
Mit diesem Andrang hatte wohl niemand gerechnet: Die Stühle reichten am Donnerstag, 14. März, in der Stadthalle in Hofheim nicht aus, obwohl beim ökumenischen Podiumsgespräch über Sterben und Tod schwere Kost angesagt war. Rund 200 Besucher konnte Torsten Gunnemann, Geschäftsführer des Caritasverbandes Main-Taunus, im Namen des breiten Veranstalterbündnisses aus katholischer und evangelischer Kirche im Main-Taunus begrüßen. Es gehe um Fragen, „auf die es keine leichten Antworten gibt“, wie er meinte – und die dennoch offensichtlich Vielen auf den Nägeln brennen.
Begleitung, Zuwendung, Zeit
„Sterbehilfe – oder… Von der Entscheidungsfreiheit des Menschen“ lautete das Thema, über das Moderator Meinhard Schmidt-Degenhard auf dem Podium im Gespräch war mit dem Theologenpaar Anne und Nikolaus Schneider sowie Professor Giovanni Maio, Medizinethiker an der Universität Freiburg. Mit Birgit Meyer, Leiterin eines Caritas-Altenheims in Flörsheim, und Günther Quack, ehrenamtlicher Hospizhelfer in Oberursel und Steinbach, kamen außerdem zwei Vertreter aus der Praxis zu Wort, die eingangs ein paar Stichworte dazu lieferten, was Sterbenden hilft: „Gute Begleitung, Zuwendung und einfach Dasein“, sagte Meyer. „Zeit“, ergänzte kurz und pragmatisch Quack.
Ihre beiden Statements skizzierten bereits vorweg den Spannungsbogen der Veranstaltung. So sprach Meyer von dem „Zwiespalt“, in dem sie sich mitunter befinde, weil sie den Sterbewunsch von Menschen am Ende langer Krankheiten verstehe. Den Fortschritt der Palliativmedizin stellte Quack in den Vordergrund: Er habe bislang in den fünf Jahren seines Dienstes kein unerträgliches Leiden erlebt.
„Haben wir das Recht und die Freiheit, unserem Leben selbst ein Ende zu setzen?“ Die Zuspitzung der Frage hatte wesentlich mit den Gästen zu tun: 2014 war bei Anne Schneider ein aggressiver Brustkrebs diagnostiziert worden. Ihr Mann Nikolaus trat daraufhin vom Ratsvorsitz der Evangelischen Kirchen Deutschlands (EKD) zurück. Sie machten die Krankheit und ihren Umgang damit öffentlich, so auch die Überlegung Anne Schneiders, aktive Sterbehilfe in der Schweiz in Betracht zu ziehen. Anders als erwartet und prognostiziert gehe es ihr inzwischen wieder richtig gut, sagte sie jetzt in Hofheim. An ihrer Überzeugung, mit einer aktiven Herbeiführung des Todes nicht unbedingt gegen Gottes Willen zu verstoßen, hält sie weiterhin fest.
Versorgung am Lebensende verbessern
Damals wie heute würde ihr Mann sie auch auf diesem Weg begleiten, obwohl seine theologische Position eine andere ist. "Nur in einer äußersten Extremsituation halte ich das für möglich", sagte er und betonte gleichzeitig, dass es nicht genüge, hohe moralische Ansprüche zu stellen, sondern es müsse in die Versorgung am Lebensende investiert werden. Im Anschluss an das neue Sterbehilfe-Gesetz von 2015 sei in diesem Sinne bereits viel Positives in Gang gesetzt worden. Überdies wisse er das Thema beim Bundesverfassungsgericht in guten Händen.
Gegen Suizid als Dienstleistung
Deutlich gegen einen „Suizid als Dienstleistung“ sprach sich Professor Maio aus, der eine entschiedene Gegenposition zu Anne Schneider einnahm. Engagiert plädierte er für Prävention und dafür, sich mit den Gründen und Nöten der Menschen auseinander zu setzen, die ihrem Leben ein Ende setzen wollten. Hauptmotivation sei dabei nach seiner Einschätzung der drohende Verlust der Autonomie, die Angewiesenheit auf die Hilfe Dritter und das Gefühl, damit anderen zur Last zu fallen. „Diese Situation dürfen wir nicht bagatellisieren“, betonte er und forderte eine „Gesellschaft des Trostes“.
Die Medizin muss das Zulassen lernen
Er verband damit zugleich eine harsche Kritik am Staat, der versagt habe. Dass Menschen Angst hätten, am Ende ihres Lebens in Einrichtungen und Krankenhäusern ausgeliefert und nicht gut versorgt zu sein, liege an der politisch gewollten „Durchökonomisierung“: „Wir sind ein reiches Land und sparen an sozialen Einrichtungen.“ Auch die moderne Medizin, die unter enormen Einsparungsdruck stehe, trage ihren Teil durch ihre Technikfixierung bei. „Medizin, die den Sterbeprozess behindert, ist keine gute Medizin“, sagte Maio, der selbst Internist ist. Sie müsse das „Zulassen“ lernen: „Nichts tun ist eine Kunst für sich.“
Der Tod ist nicht das Ende
Der Wunsch, selbstverantwortet das Leben zu verkürzen, müsse nichts mit angekratzter Würde zu tun haben, darauf bestand Anne Schneider: Der Tod sei schließlich aus christlicher Sicht nicht das Ende, sondern die Tür in das Reich Gottes, argumentierte sie gegen das Postulat „Hauptsache leben“. Ihrer Vorstellung, es könne eine gesetzliche Regelung wie bei der grundsätzlich verbotenen Abtreibung geben, widersprach Professor Maio energisch. Er warnte davor, aus Extremfällen ein Gesetz zu machen. Das führe unter anderem dazu, dass der große Aufwand, den das Leben am Ende erfordere, nicht mehr als selbstverständlich angesehen werde, sondern als Resultat einer Entscheidung.
Machen wir selbst genug?
Einig waren sich die Gesprächsteilnehmer bei aller Kontroverse in der positiven Bewertung der Hospiz-und Palliativarbeit, die möglichst flächendeckend ausgebaut werden sollte. Nicht nur zu schimpfen, sondern sich an die eigene Nase zu fassen, dazu riet zu guter Letzt der einzige Ehrenamtliche in der Runde: „Schauen Sie sich die Hospizbewegung an: Das ist eine Bürgerbewegung“, sagte Günther Quack. Bei aller berechtigten Kritik am Staat, „müssen wir uns auch fragen: Machen wir selbst genug?“