Kirche in Paris erleben
Im Rahmen der Exkursionen der Kirchenentwicklung des Bistums Limburg machen sich 22 Teilnehmer und Teilnehmerinnen unter dem Motto „Kirche findet Stadt“ auf den Weg nach Paris. Von Donnerstag, 27. Juni, bis Sonntag, 30. Juni, gewinnen sie Einblicke in das christliche Leben in Frankreich und erfahren mehr über die Rolle der katholischen Kirche in der Megametropole.
TAG 1 – Christliche Präsenz in der französischen Gesellschaft
Nach nur vier Stunden Zugfahrt mit dem Hochgeschwindigkeitszug TGV haben die Teilnehmer Paris erreicht. Das Programm startet mit einem Vortrag vom Theologen Prof. Dr. Christoph Theobald SJ mit anschließender Diskussion im Plenum. Unter dem Titel „Christliche Präsenz neu denken angesichts einer Exkulturation des Christentums in der gegenwärtigen französischen Gesellschaft“ spricht der emeritierte Professor für systematische Theologie der Centre Sèvres in Paris über das Christsein in einem säkularen Land wie Frankreich.
Laut Jesuitenpater Theobald sind nur rund vier Prozent der Bevölkerung Frankreichs (66 Millionen) praktizierende Katholiken. Die Zahl der Menschen, die sich mit christlich-katholischen Werten identifizieren, liege hingegen bei circa 49 Prozent. Für ihn lässt sich die besondere Situation der Kirche in Frankreich nur durch die historische Entwicklung erklären. Ein Beispiel hierfür ist das Trennungsgesetz aus dem Jahr 1905, welches für die strikte Trennung von Staat und Kirche in Frankreich sorgte und bis heute wirkt. Die Freiheit des Gewissens und die Ausübung eines Kultus (im Sinne des Glaubens) sind erlaubt, jegliche Finanzierungen von Religionsgemeinschaften (mit Ausnahmen für Krankenhaus- und Gefängnisseelsorge) sind jedoch nicht gestattet. Im Unterschied zu Deutschland sind Kirchen und Glaubensgemeinschaften demnach privatrechtliche Vereine und keine Körperschaften des öffentlichen Rechts.
Auch die Wahrnehmung und Notwendigkeit des Glaubens hat sich für den Jesuiten verschoben. „Für viele Menschen braucht es Gotteserfahrungen und Begegnungen, um zu glauben“, sagt Theobald. Der christliche Glaube sei für die Menschen zunehmend nicht mehr selbstverständlich. Christen und Christinnen würden sich schon bald als Wahlchristen des Wahlchristentums etablieren. In seinem Vortrag prägt Theobald zudem den Begriff „Lebensglaube“: Ein Glaube, der nicht unbedingt an christliche Glaubensüberzeugungen gebunden ist, sondern bei dem die Einzigartigkeit und Unbegreiflichkeit des Lebens grundlegend im Vordergrund steht und zugleich im biblischen Kontext begründbar ist. Theobald betont: „Dem Lebensglauben fehlt nichts.“
Dr. Matthias Lehnert engagiert sich bei der Frankfurter Stadtkirche und ist bei der Exkursion dabei:
Welcher Aspekt hat Sie in dem Gespräch mit Christoph Theobald SJ überrascht?
Mich hat überrascht, wie konzentriert und konstruktiv die große Gruppe trotz enormer Hitze (rund 30 Grad) diskutiert und mitgewirkt hat. Christoph Theobald ist für mich auch als Person eine spannende Überraschung. Ich kannte ihn davor nicht. Ich bin beeindruckt von seinem umfassenden Wissensschatz, seiner Erfahrung und seinen lebensnahen und weltoffen Anschauungen. Das war eine ganz tolle Begegnung. Und inhaltlich hat mich total überrascht, wie Theobald den Begriff „Lebensglaube“ erklärt und ins Spiel gebracht hat. Die Idee, da gibt es einen Glauben, der nicht unbedingt christlich sein muss, aber seinen eigenen Wert hat und trotzdem auch biblisch begründbar ist.
Welche Fragen sind Ihnen zum Weiterdenken gekommen?
Ich denke über die praktischen Fragen jetzt nach. Denn für mich ist letztlich noch nicht ganz klar geworden, wenn es diesen Lebensglauben gibt, was dann die Rolle der Kirche und die des christlichen Glaubens noch ist. Wenn wir an Theobalds These festhalten, dass dem Lebensglauben nichts fehlt, weiß ich noch nicht, wie wir dann den christlichen Glauben als Kirchen anbieten und verbreiten sollen. Vielleicht erfahren wir es in den nächsten Tagen.
Was ist Ihr persönliches Highlight heute?
Ich fand das Gespräch sehr interessant, ich könnte gar nicht einen Punkt herausgreifen, denn diese drei Stunden waren für mich gesamt gesehen einfach ein Highlight. Eine runde Sache und mit all seinen Aspekten unheimlich aufschlussreich.
Was für weitere Erwartungen haben Sie an die kommenden Tage?
Ich möchte nach diesem Vortrag und Gespräch in den kommenden Tagen noch mehr erfahren, wie Kirche hier funktioniert und wie die Christen in der Praxis wirklich aufgestellt sind. Finden wir hier bei den französischen Gemeinden Beispiele und Angebote, die die Menschen wirklich erreichen, den Glauben näherbringen und man für die Menschen da ist? Mich interessiert sehr, was das auch für Menschen sind, die sich in einem säkularen Land für die Kirche engagieren, die ohne die Ehrenamtlichen wohl nicht so funktionieren könnte.
TAG 2 - Video
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TAG 2 - Bildergalerie
TAG 3 - Über den Tellerrand hinausschauen
Der dritte Tag führt das Exkursionsteam zum Forum 104. Dieses Haus versteht sich als interreligiöser und interspiritueller Begegnungsraum, der zusammen mit rund 300 externen Vereinen kulturelle und spirituelle Veranstaltungen anbietet. Menschen, die im Leben auf der Suche sind, sollen sich hier über ihre Gedanken austauschen können und Inspiration finden. „Kommunikation und Austausch auf Augenhöhe ist uns sehr wichtig“, sagt Catherine Lapoute-Ramacciotti, stellvertretende Direktorin des Forums 104. Im Anschluss treffen die Teilnehmer am Nachmittag auf die 1975 gegründete Ordensgemeinschaft Fraternités de Jérusalem und nehmen nach einem Gespräch an der Vesper in der Pfarrkirche Saint-Gervais-Saint-Protais in Paris teil.
Exkursionsteilnehmer Moritz von Wedel engagiert sich in St. Bartholomäus in Frankfurt und fasst seine Einblicke des Tages zusammen:
Was hat Sie nachhaltig beeindruckt heute?
Ehrlich gesagt haben mich viele Sachen heute beeindruckt, aber vor allem fand ich Catherine Lapoute-Ramacciotti vom Forum 104 inspirierend. Diese Frau hat eine tolle Haltung und ein gesundes Verhältnis zum lieben Gott. Die Ordensgemeinschaft Fraternités de Jérusalem hat mir aber auch sehr gut gefallen, vor allem wie die Ordensbrüder und Schwestern zusammen beten und einerseits eine gewisse Distanz wahren, aber andererseits auch einen sehr herzlichen Umgang mit ihren Mitmenschen pflegen. Die gemeinsamen Gebete und Gesänge in der Vesper fand ich klasse, geradezu paradiesisch.
Welche Fragen sind Ihnen zum Weiterdenken gekommen?
Man versucht natürlich ganz viel mitzunehmen für die eigene Arbeit in Bistum. Heute ist mir besonders aufgefallen, wie offen das Forum 104 Glaubenshaltungen, die in irgendeiner Form weiter entfernt sind vom Katholizismus, anerkennt. In dieser Hinsicht kann das Forum 104 für uns ein Vorbild sein. Denn ernsthafte Suche, Innehalten und sich selbst in Frage stellen sind Haltungen, die alle Gläubigen gemeinsam haben.
Was ist Ihr persönliches Highlight?
Für mich war das stärkste Bild des Tages die Kirche Saint-Gervais-Saint-Protais. Ich fand diese Stille, die akkurate Aufreihung der Stühle (die haben keine Bänke) und die Ästhetik der sakralen Räumlichkeiten sehr beeindruckend. Diese Kirche hat etwas Besonderes ausgestrahlt, was die anderen Orte des Tages nicht konnten.
Was hat Sie heute irritiert?
Mich hat es zunächst irritiert, dass sich die Ordensbrüder und Ordensschwestern nicht wie die Benediktiner beispielsweise die Gebetet zugesungen haben, sondern direkt in der Gemeinschaft zum Christusbild hingewandt gesungen haben. Das kannte ich in dieser Form so noch nicht. Ich hab das zunächst als Störfaktor wahrgenommen, aber beide Formen haben ja auch ihre Daseinsberechtigung. Mir hat das gemeinsame Beten und Singen im Stehen aber trotzdem sehr gut gefallen.
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TAG 4 - Auf den Spuren von Madeleine Delbrêl
Der vierte und letzte Tag der Reise steht ganz im Zeichen einer besonderen Frau namens Madeleine Delbrêl. In der französischen Gemeinde Ivry-sur-Seine (vor 1897 Ivry) in der Region-Ile-deFrance wirkte die Schriftstellerin mit großem sozialem Engagement in der Kirche, weshalb sie noch dieses Jahr selig gesprochen werden soll. Madeleine Delbrêl entschied sich in jungen Jahren dafür, ihr Leben nach den evangelischen Räten zu leben, leitet eine Pfadfindergruppe in ihrer Gemeinde und begann eine Ausbildung als Sozialarbeiterin. In der Pfarrei Sainte Croix feiert die Exkursionsgruppe zusammen mit der Gemeinde den Sonntagsgottesdienst und bekommt vom Pfarrer Einblicke in Delbrêl Leben, ihren Glauben und ihre Bedeutung für die Kirche und Menschen vor Ort. Im Anschluss erkunden alle das Haus, in dem Delbrêl gleich gleichgesinnten Frauen in einer Gemeinschaft lebte und im Jahr 1964 verstarb.
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Exkursionen der Kirchenentwicklung
Unter dem Leitwort „Mehr als du siehst“ gibt es im Jahr 2019 im Bistum Limburg sechs Exkursionen in verschiedene Städte Deutschlands und ins Ausland. Teams aus Haupt- und Ehrenamtlichen aus Pfarreien, Einrichtungen und Arbeitsfeldern sind zusammen mit Personen aus der Bistumsleitung und dem Ordinariat unterwegs. Ziel ist es, über den eigenen Tellerrand hinauszuschauen und neue Ansätze von Kirche weltweit zu erkunden und Inspiration für den Prozess Kirchenentwicklung im Bistum Limburg zu sammeln.