Werden, was wir sind
Wenn in der Kirche alles so bleibt, wie es ist, dann wird sich vieles „von Kirche“ in zehn Jahren erledigt haben. Davon ist Bischof Dr. Georg Bätzing überzeugt. Es brauche daher dringend eine Wandlung, denn Wandlung sei das Wichtigste in der Kirche, sagte der Bischof beim Tag der Pfarrgemeinderäte in der Limburger Kreuzwoche am Sonntag, 9. September, in Limburg.
„Kirchenentwicklung meint, die nötigen Wandlungsprozesse heute anzugehen, damit wir in unserer Zeit den Auftrag als Kirche erfüllen zu können. Kirchenentwicklung meint eine neue Dynamik und Beweglichkeit, die uns wegführt vom ewigen Jammern. Kirchenentwicklung meint, ehrlich zu sein, Altes aufzugeben, Neues sehen und entdecken zu lernen“, so Bätzing. Es müsse gelingen, als Kirche nicht um sich zu kreisen, sondern zu einer neuen Selbstlosigkeit zu kommen, die die Menschen in den Blick nehme. „Kirchenentwicklung meint, dass wir endlich das werden, was wir als Kirche sind. Die eine, heilige, katholische und apostolische Kirche. Da steckt alles drin“, erklärte der Bischof. Wenn im Glaubensbekenntnis von der einen Kirche gesprochen werde, sei damit keine Kirche des Einheitsbreis, keine Kirche in der alles gleich ist oder gar Zentralismus gemeint. Es gehe vielmehr um Einheit in der Vielfalt. Diese Vielfalt gelte es anzunehmen, sie zu lieben und zu gestalten.
Pluralität und Individualität
„Unsere Zeit ist geprägt von Pluralität und Individualität. Die Herausforderung liegt darin, diese beiden Pole zusammenzukriegen. Dies gilt für die Gesellschaft und für die Kirche“, so der Bischof. Dabei gehe es nicht um einen Kompromiss, sondern um ein fruchtbares Miteinander und um ein Zusammenbringen, das den Frieden befördere. „Heute kommt niemand mehr zum Glauben durch Konvention oder bloßer Zugehörigkeit. Der Glaube wird nicht mehr vererbt. Der Glaube ist ein Geschenk der freien Gnade Gottes. Wir können den Glauben nicht machen. Gott schenkt ihn uns frei und unverdient“, so der Bischof. Die Zeit der Milieukirche sei vorbei und man müsse Abschied nehmen vom Denken einer einfachen Glaubensweitergabe.
Auch deshalb sieht der Bischof in den Pfarreien neuen Typs eine Chance für ein neues Zusammenkommen. Die Pfarrei neuen Typs dürfe allerdings nicht versuchen, Einheitsbrei zu produzieren oder Zentralismus zu leben. Es gelte vielmehr an einem großen Haus zu bauen unter dessen großem Dach Vielfalt und Vernetzung befördert würden. „Die Pfarrei neuen Typs bietet die Chance von Weite. Sie braucht aber auch unbedingt die Nähe zu den Menschen. Diese Nähe gilt es auf neue Weise, mit neuen Ideen und neuen Zielgruppen zu gestalten“, sagte Bischof Georg. Ein wichtiges „Wasserzeichen der Kirchenentwicklung“ ist für den Bischof die Ökumene. Das Nachdenken über Kirchenentwicklung müsse den ökumenischen Blick auf vielfältige Weise schärfen.
Ansporn gegen Mittelmäßigkeit und Bürgerlichkeit
Viele Menschen heute tun sich, so Bischof Georg, heute schwer mit dem Glaubensbekenntnis zur heiligen Kirche. „Die Kirche ist schuldig und unvollkommen, weil Menschen in ihr wirken. Sie ist nicht aus sich heraus heilig, sondern weil wir Volk Gottes sind und Gott heilig ist“, so der Bischof. Für ihn ist der Anspruch und das Bekenntnis heilig ein „Ansporn gegen Mittelmäßigkeit und Bürgerlichkeit, die sich so sehr in das System Kirche eingeschlichen haben“. „Wir brauchen wieder eine wirkliche Sehnsucht nach dem Heiligen und wir müssen uns neu klar machen, was uns heilig ist“, sagte der Bischof. Welchen Stellenwert habe beispielsweise die Feier des Heiligen in den Pfarreien am Sonntag? Gibt es dort noch eine wahre Sehnsucht nach dem Heiligen, nach der Eucharistie, fragte der Bischof. Er machte deutlich, dass für ihn die Eucharistiefeier und der Sonntag zusammengehören. Die Vielfalt in der Kirche drücke sich auch in der Vielfalt an Möglichkeiten aus, Gottesdienste zu feiern. „Ich wünsche mir, dass unsere Kirchen an allen Tagen, Orte des Gebetes und des Zusammenkommens sind“, so der Bischof. Bei der Vielfalt an Gottesdienstformen dürfe es kein gegeneinander von Ehren- und Hauptamtlichen geben.
Lockruf gegen das Einigeln
„Katholisch im Glaubensbekenntnis ist ein Lockruf gegen das Einigeln, gegen das Schneckenhaus und die wohlige Selbstzufriedenheit, die es in der Kirche gibt“, so der Bischof. Katholisch stehe für Offenheit und bedeute weltumfassend. Dies drücke sich im Bistum vor allem auch in den muttersprachlichen Gemeinden aus. Es müsse sich aber noch mehr auch in der Arbeit mit jungen Menschen oder auch mit Familien ausdrücken. „Binden Sie die jungen Leute nicht zu sehr an die Kirchorte. Blicken Sie über den Rand des eigenen Kirchturms und lassen sie junge Leute und Familien ziehen, denn sie brauchen Ereignisse und Orte, um Gemeinschaft zu erleben und so den Glauben zu stärken. Bilden Sie in den neuen Pfarreien Zentren für Jugendliche, für Familien und für neue Zielgruppen“, ermutigte Bischof Georg.
Bei aller Notwendigkeit nach Wandlung und Veränderung in der Kirche, brauche es auch die nötige Gelassenheit. „Wir sind eine apostolische Kirche. Das heißt auch, dass wir Kirche und Glauben nicht jedes Jahr neu erfinden müssen“, erklärte Bätzing. Apostolisch meine aber auch, unterwegs zu sein und nicht sesshaft zu werden. Apostolisch sei der Aufruf für Christen, um sich „auf die Socken“ zu machen. „Das ist für mich Kirchenentwicklung. Werden, was wir sind. Die eine, heilige, katholische und apostolische Kirche“, so Bischof Georg.
50 Jahre synodaler Weg
Für Bischof Georg war es der erste Tag der Pfarrgemeinderäte, den er als Bischof erlebte. Eine Premiere war die Veranstaltung auch für Dr. Wolfgang Pax. Als neuer Bischofsvikar für den synodalen Bereich konnte er die mehr als 80 Mandatsträgerinnen und Mandatsträger aus allen Bezirken des Bistums begrüßen. „Als Bischof Wilhelm Kempf Ende der 1950er Jahre die Situation des Bistums reflektierte, stellten sich Fragen von Identität, Zusammenhalt und Gemeinschaft in einem Bistum, das, auch durch die neu Hinzugekommenen in Folge von Flucht und Vertreibung, auf der Suche nach dem Verbindenden war. Daraus entwickelte sich die Kreuzwoche“, so Pax. Zehn Jahre später sei die Synodalordnung des Bistums Limburg unterzeichnet und in Kraft gesetzt worden. Auch hier sei die Blickrichtung die des gemeinsamen Weges von Bischof und Bistum, von Priestern und Volk Gottes gewesen. Der Blick zurück sei wichtig. Wichtiger sei allerdings der Blick nach vorn. Daher sei es gut, sich am Tag der Pfarrgemeinderäte mit dem Thema „Kirchenentwicklung“ zu befassen und ihn so aktiv mitzugestalten.
Dankbar und stolz auf 50 Jahre gemeinsamer Weg im Bistum Limburg ist auch Ingeborg Schillai, die Präsidentin der Limburger Diözesanversammlung. „Dieses gemeinsame Unterwegssein als Volk Gottes ist etwas, darauf können wir im Bistum Limburg stolz sein. Die Möglichkeiten zur Partizipation, die uns die Synodalordnung seit 50 Jahren sichert, sind zudem eine gute Basis für Kirchenentwicklung und die Suche nach Antworten auf die Frage, wozu wir als Kirche da sind“, so Schillai.