Wie gelingt die Versöhnung von Ökologie und Ökonomie?
Genehmigungsverfahren für nachhaltige Industrieprojekte müssen schlanker, kürzer und effektiver werden. Das forderte Christian Ferber, Prokurist der Beton- und Natursteinfirma Rinn, beim Forum Wirtschaft, zu dem der Sozialpolitische Arbeitskreis des Bistums Limburg am Mittwochabend ins Haus am Dom eingeladen hatte. Ferber kritisierte die langen Wege der Bürokratie auf dem Podium, auf dem er mit Volker Schmidt-Sköries von der Firma „Biokaiser“ diskutierte: „Wir haben acht Jahre auf die Genehmigung einer Geothermieanlage gewartet – und eine Windkraftanlage, die wir auf einem Grünstreifen neben der Autobahn bauen wollten, kriegen wir gar nicht genehmigt. Was solche nachhaltigen Projekte betrifft, müssen wir insgesamt offener werden.“
Die Frage des Abends lautete: „Ist Ihre Organisation enkeltauglich?“ Jörg Klärner, Diözesancaritasdirektor, führte in das Thema ein und sagte: „Klar ist, dass nachkommenden Generationen etwas bleiben soll. Das bedeutet aber auch, dass Greenwashing oder minimale Korrekturen nicht ausreichen, sondern grundlegende und auch Ursachenadäquate Veränderungen gefragt sind. Wenn man nur kurzfristig reagiert, geht das zulasten der Sozialsysteme, der Sozialstruktur und unserer Gesellschaft.“ Wenn es darum gehe, ein Erbe zu sichern, seien mittelständische Unternehmen oft Experten, denn sie wollten ihre Unternehmen in einem guten Zustand übergeben. „Da geht es dann um Wirtschaftlichkeit, langfristige Perspektiven, Versöhnung von Ökologie und Ökonomie“, zählte Klärner auf.
Umgang mit der Ressource Mensch
Moderator Dr. Georg Horntrich, Studienleiter der Katholischen Akademie Rabanus Maurus im Haus am Dom, stellte dazu fest: „Mit dem bisherigen ökonomischen Denken kommen wir nicht gut in die Zukunft. Wir haben einen Arbeitnehmermarkt, das ist noch nicht bei allen angekommen.“ Ferber und Schmidt-Sköries gaben interessante Einblicke in ihre Unternehmen, bei denen deutlich wurde, dass Naturschutz, klimaschützende Produktionsweisen, aber auch ein nachhaltiger Umgang mit der Ressource Mensch wichtige Faktoren sind. Volker Schmidt-Sköries, Mehrheitseigentümer der Bäckereikette „Biokaiser“, war deshalb gleich in mehrfacher Hinsicht ein interessanter Gast auf dem Podium, denn er hat jüngst bei Droemer Knaur das Buch „Der Bäcker und sein Brot - Wie beseeltes Arbeiten und nachhaltiges Wirtschaften gelingen“ veröffentlicht.
Aktie ist nicht der einzige Wert
„Wenn ich ein Unternehmen führe, ist das nicht eine Maschine, in die ich wenig oben rein gebe und möglichst viel unten rausziehe. Im Unternehmen tun Menschen etwas für andere Menschen, das muss gewürdigt werden“, so Schmidt-Sköries, der mit einer Gedankenübung zur eigenen Sterblichkeit in seinen Impulsvortrag einführte. Natürlich könne das zu Widersprüchen führen – „dann sagt der Betriebswirt in mir das Eine und mein Herz das andere.“ Dann komme es darauf an, die richtige Balance für das „neue Wirtschaften“ zu finden. „Ich möchte kein Unternehmen führen, in dem die Aktie den einzigen Wert bestimmt. Die Arbeit der Leute, die Dienstleistung, das gute Produkt – das gehört alles dazu. Wir brauchen Wirtschaftlichkeit, aber wir brauchen auch ein Produkt, mit dem die daran beteiligten Menschen wachsen können, persönlich, fachlich und sozial.“ Wie Schmidt-Sköries berichtete, begrenze „Biokaiser“ den Gewinn bewusst seit vielen Jahren auf fünf bis sieben Prozent, damit niemand, der an der Wertschöpfungskette beteiligt sei, „überdimensional“ zahlen müsse. Über 50 Prozent des Gewinns fließt über Stiftungen in soziale Zwecke zurück.
Weibliche Perspektive unverzichtbar
Moderator Georg Horntrich, der den Abend konzipiert hatte, entschuldigte sich dafür, keine Frau auf dem Podium zu haben – keine der angefragten Unternehmerinnen habe Zeit gehabt am Termin, berichtete er. Um die unverzichtbare weibliche Unternehmerinnen-Perspektive dennoch einzuspielen, hatte er zuvor Statements von fünf Unternehmerinnen abgefragt. Eine von ihnen war Miriam Schilling, Leiterin Personal und Organisation beim Online-Ausrüster Vaude, die auf die Frage nach einer Zukunftsvision für in zehn oder 20 Jahren notiert hatte: „Es braucht Systemveränderungen, die nicht mehr auf Freiwilligkeit von ein paar engagierten Unternehmen setzen, sondern Anreize schaffen für ein tiefgreifendes Umdenken. Nachhaltigkeit muss im Sinne von Mehrwertkreisläufen und auch in der Art, wie wir miteinander arbeiten, im Fokus stehen. Profit wird nur noch als eine von mehreren Größen betrachtet.“ Damit entspricht ihre Erwartung an die Zukunft in Teilen dem Konzept des „beseelten Arbeiten“, das Schmidt-Sköries schon jetzt präsentierte.
Mehr möglich machen – und dafür die Bürokratie wenigstens ein Stückweit reduzieren, das wünscht man sich bei „Biokaiser“. So plant die Kette, eine Kulturbäckerei auf der Bergerstraße in Frankfurt zu eröffnen, in der einmal im Monat Diskussionsveranstaltungen zu gesellschaftlichen Themen stattfinden sollen – doch die bürokratischen Hürden seien nervenaufreibend. „Ich bin insgesamt nicht dafür, dass wir die Verantwortung an die Politik delegieren, immerhin sind wir ja deshalb Unternehmer, weil wir eine Selbstverantwortung haben und gestalten wollen“, so Schmidt-Sköries. Aber: „Wir begreifen das als Gemeinwohlorientierten Impuls und es darf nicht sein, dass es für solche Projekte Hindernisse gibt.“
„Es klemmt von oben“
Auch Ferber diagnostizierte in deutlichen Worten: „Es klemmt von oben.“ Das Unternehmen Rinn, seit 123 Jahren in Familienbesitz und gerade im Übergang von der vierten in die fünfte Generation, hat laut seiner Aussage bereits vor über zehn Jahren mit der Umstellung auf langfristige Perspektiven begonnen und 2011 als erstes Betonwerk einen Nachhaltigkeitsbericht veröffentlicht. Bis 2030 soll die Produktion mit 100 Prozent erneuerbarer Energie laufen, zum Beispiel durch Photovoltaik und der eingangs erwähnten Geothermie. Außerdem wurde und wird auch die Rohstoffgewinnung genau analysiert und fortgeschrieben: „Wir sind dabei, ein Kreislaufsystem für Pflastersteine aufzubauen, bei dem aus alten neue Steine generiert werden“, erläuterte Ferber. Seit 2016 habe Rinn einen Betonstein auf dem Markt, für den 40 Prozent Recyclingmaterial genutzt werde. Dafür habe man ein Pilot-Rücknahmesystem mit der Stadt Rödermark etabliert, von der man 40.000 Tonnen Reststoffe zurückgekauft und zu 40.000 Tonnen Rohstoffmaterial umgewandelt habe. „Wir haben uns in diesem Kontext dazu entschieden, eine eigene Recyclinganlage aufzubauen, in der wir selbst Betonbrüche aufbereiten und neue Gesteinsarten herstellen können.“ Das zahlt sich aus: 2020 bekam das Unternehmen dafür den Deutschen Rohstoff-Effizienzpreis, 2018 den deutschen Nachhaltigkeitspreis – und noch weitere Auszeichnungen. Aktuell ist es Rinn gerade gelungen, den umweltschädlichen, weil CO2-intensiven Zement im Beton von neuen Pflastersteinen zu ersetzen. „Das sind Schritte, die man als Unternehmen gehen muss, um von den CO2-Zahlen runterzukommen – ohne Investitionen geht das nicht“, so der Prokurist.
Social Media ist unverzichtbar
Investieren tun beide Unternehmen übrigens auch in den Nachwuchs: Rinn bildet derzeit 32 Azubis in acht Berufen aus, „Biokaiser“ hat 34 Azubuis. „Ganz wichtig ist, dass Unternehmen digital sind und auf Social Media Präsenz zeigen, denn dort erreicht man die jungen Menschen“, sagte Ferber.
Prof. Hildegard Wustmans, Pastoraltheologin, Leiterin des Bereichs Pastoral und Bildung und Mitglied im das Bistum Limburg leitenden Bistumsteam, hielt eine Response auf das Gehörte. „Die Frage, für wen wir da sind, gilt für Unternehmen gleichermaßen wie für die Kirche. Geld verdienen ist nett, aber das reicht nicht für ein anständiges Leben“, stimmte sie den Diskutierenden zu. Bei Zukunftsfähigkeit und Enkeltauglichkeit gehe es „um Umgestaltung von Vorhandenem, das an neuen Kriterien ausgerichtet wird.“ Das brauche Mut, Kreativität und Zuversicht. Da könne auch ein Blick in die Bibel helfen, die durchzogen sei von Überraschungserzählungen. Die Botschaft: „Seid mutig, traut Euch, riskiert was!“