Welche Rolle spielt dabei der Pfarreiwerdungsprozess? Pfarreien neuen Typs sind Orte, in denen Raum geschaffen wird für diese Erfahrungen. So entstehen, davon bin ich überzeugt, neue Möglichkeiten und Chancen. Gleichzeitig ist die Versuchung groß, im Modus des Alten zu bleiben, weil es sich früher mal bewährt hat. Die Herausforderung ist, einerseits Vertrautes wertzuschätzen und die Sorgen wahrzunehmen, es zu verlieren, aber andererseits den Mut zu haben, manches zu lassen und sich auf den größeren Raum einzulassen. Im größeren Raum lässt sich „mehr sehen“, weil er ganz andere Details enthält. Bei der Gestaltung dieser größeren Räu me kommt den Teams und den leitenden Priestern eine besondere Verantwortung zu. Dinge, die flott über die Lippen gehen, wie Absprachen und Vernetzung, müssen eingeübt und begleitet werden. Es geht um nächste sinnvolle Schritte und nicht um einen Masterplan „Kirche 2030“. Was ist Ihrer Meinung nach die größte Herausforderung in der Pastoral der Zukunft? Ich sehe eine Herausforderung darin, der Versuchung von Masterplänen nicht zu erliegen. Ich glaube, wir können nur vorläufige Pläne vermitteln und vorläufige Perspektiven entwickeln. Wir alle sind in der Gesellschaft mit einer Zukunft konfrontiert, die wir nur bedingt abschätzen kön nen. Es geht um nächste sinnvolle Schritte und nicht um einen Masterplan „Kirche 2030“. Das zeigen auch gesellschaftliche Entwicklungen. Wir werden auf einmal mit Dingen konfrontiert, die man vorher gar nicht denken konnte. Der Einschnitt schlechthin ist meiner Meinung nach 9/11. Bis zu diesem Tag waren Flugzeu ge Mittel, um Menschen von A nach B zu bringen. 9/11 hat gezeigt, Flugzeuge können zu Waffen werden. Zuvor ungedacht. Seither ist alles viel komplexer und brisanter. 9/11 ist ein Wendepunkt, der deutlich gemacht hat: Sich auf das einzustellen, was man kennt, reicht nicht aus. Das wäre naiv. Das gilt auch für die Pastoral, aber sie setzt eben darauf, dass in dem, was kommt, was wir noch nicht kennen, Gott lokalisierbar ist. Er ist mehr da, als wir alle heute sehen. Darauf hin können wir Zukunft gestalten: Das heißt achtsam sein, hinhören, die Lebenswelten und Themen der Menschen wahrnehmen. Es braucht dabei zweierlei: verlässliche Strukturen und Formen – das wäre beispielsweise eine Pfarrei neuen Typs –, und gleichzeitig muss es in diesen Zusammenhängen eine Form von Fluidität und Beweglichkeit geben, die Reaktionen und Aktio nen im Prozess ermöglicht. Das ist eine besondere Aufgabe. Das hat auch was mit den Menschen vor Ort zu tun: Wie sind sie eingestellt? Können sie das als kreativen Kontrast denken. Binäre Ko dierungen helfen hier nicht weiter, wohl aber kulturelle Kontaktzonen, auf die wir uns einlassen. Menschen kommen nicht mehr automatisch zur Kirche. Wie kann Kirche nichtsdestotrotz ein Angebot sein und präsent sein? Und dabei die Menschen in ihrer Individualität wahrnehmen? Kirche kann Diskursräume eröffnen. Kirche kann in einer freundlichen und vertrauensvollen Weise Zusammenhänge anbieten. Es gibt ein tolles Bild von Homi Bhabha, einem Theoretiker des Postkolonialismus, der sich intensiv mit dem Begriff der Hybridität auseinandergesetzt hat. Bhabhas Bild sagt: Gesellschaft ist wie ein Haus, in dem es ein Treppenhaus gibt und auf den un terschiedlichen Ebenen viele verschiedene Wohnungen. Was hinter den Türen passiert, ist privat. Hinter der einen Wohnungstür gibt es indisches Curry und in der anderen Wohnung gibt es Fish and Chips. Hinter der einen Tür lebt eine Familie, hinter der anderen Tür ein Single. Das Spannen de ist: Wie begegnen sich die Menschen im Treppenhaus und wer ist für das Treppenhaus verant wortlich? Übertragen auf Kirche ist das ein inspirierendes Bild: Ich möchte, dass Kirche so eine Kontaktzone – ein Treppenhaus – ist, das es achtsam und respektvoll mit den Menschen im Haus zu gestalten gilt. Schließlich hilft es allen, zu sich und zu anderen zu kommen. Das Interview führte Friederike Lanz. 31