Publik-Forum: Herr Bischof, Sie sind im März zum Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz gewählt worden. Wie soll Ihre Kirche in ein paar Jahren aussehen? Welche Vision haben Sie? Georg Bätzing: Ich bin nicht der Typ für Visionen. Unser Auftrag als Kirche ist es, den Glauben daran unter die Menschen zu bringen, dass Jesus lebt, dass das Leben stärker ist als der Tod. Und dass Gott Menschen sammelt. Meine Aufgabe als Vorsitzender der Bischofskonferenz ist es, zu moderieren und zusammenzuführen, damit wir Bischöfe gemeinsame Beschlüsse und Entschlüsse fassen können. Das ist schwer möglich ohne weitreichendes gemeinsames Ziel. Deshalb hat sich die katholische Kirche Anfang des Jahres auf einen synodalen Weg gemacht. Beim ersten Treffen in Frankfurt war die Forderung nach einer konkreten Vision vehement. Ich bin dankbar dafür, dass wir eine kraftvolle, lebendige Synodalversammlung hatten, und hoffe, dass es so weiter- geht. Es entstanden Bilder von der Zukunft der Kirche. Das fand ich großartig. Also doch: Vision! Ja, aber nicht meine persönliche Vision, sondern die einer ganzen Versammlung! Da haben Katholi- kinnen und Katholiken, die einen Querschnitt unserer Kirche abbilden, begonnen, sich untereinander zu vergewissern, was heute katholisch zu nennen ist. Wenn es darum geht, stehe ich ganz auf der Seite der Visionäre! Nur wenn Sie mich persönlich fragen – und das haben Sie ja getan –, bin ich sehr zurückhaltend. In einer Zeit, die Autoritäten gegenüber skeptisch ist, gerade der Autorität der Kirche gegenüber Zweifel hegt – was kein Wunder ist nach der Geschichte des Missbrauchsskandals –, möch- te ich mich nicht hinstellen und eine Vision für die katholische Kirche in Deutschland verkünden. Ein solcher Habitus passt nicht zu mir. Was die Synodalversammlung beschließt, muss am Ende eine Zweidrittelmehrheit in der Bischofs- konferenz finden. Sind Sie sicher, dass sich da wirklich etwas bewegen kann? Ich bin überhaupt nicht sicher. Aber wir müssen diesen Weg gehen. Er besteht darin, dass wir ehrlich miteinander umgehen, die Argumente austauschen, sie wägen, forcieren und in Beschlussvorlagen fassen. Das ist auch ein politisches Geschehen. Es gibt eine große Ungeduld. Aus katholischen Verbänden landauf, landab, auch von Theologin- nen und Theologen ist zu hören: Wir haben schon lange genug diskutiert, nun muss gehandelt werden! Brauchen wir Bischöfe, die den Mut aufbringen, voranzugehen? Neues zu wagen? Ich frage zurück: Was ist die Alternative, wenn es nicht dazu kommt? Die Alternative zeigt sich doch schon deutlich. Seit vielen Jahren treten jährlich rund 150.000 Ka- tholikinnen und Katholiken aus der Kirche aus. Es gibt eine Abstimmung mit den Füßen. Wir erleben in der Tat schon lange, dass es eine Spannung zwischen der Lebenswirklichkeit der Men- schen und der Lebenswirklichkeit der Kirche gibt. Viele erleben eine Entfremdung. Es kann nicht Ziel eines Mitglieds des Synodalen Weges sein, dass das so weitergeht. Aber gerade deshalb wäre es fatal, wenn Gruppen den Druck auf die Bischöfe hochfahren. Wenn die Erwartungen ins Extrem gehen, werden wir unter Umständen mit allem, was wir beim Synodalen Weg zustande bekommen, unter der Latte durchlaufen. Aber wenn jeder Bischof nur auf den anderen wartet … Nein, so ist es nicht! Wir Bischöfe haben den Synodalen Weg beschlossen und gehen ihn mit. Am Ende wird es im Sinne der Beschlüsse Koalitionen geben, die Veränderungen setzen. Welche zum Beispiel? Etwa die Zulassung von Christen anderer Konfessionen zur Eucharistiefeier aufgrund ihrer Gewis- sensentscheidung. Ich bin Mitunterzeichner der Erklärung des Ökumenischen Arbeitskreises evan- gelischer und katholischer Theologen und überzeugt: Christinnen und Christen können mit guten Argumenten und nach eigenem Gewissen entscheiden, an der Eucharistie- oder Abendmahlsfeier der je anderen Konfession teilzunehmen. Weil es im Sinngehalt dessen, was wir glauben und feiern, doch mittlerweile so viel Übereinstimmung gibt. 4 INFORMIEREN