23.11.2015
"Das auszuprobieren, wäre spannend"
WIESBADEN-NAUROD. "Man bekommt hier richtig Geschmack daran, was passieren könnte, wenn wir es mit der Partizipation ernstnehmen", sagt ein Teilnehmer des Symposiums zufrieden. "Das kann Spaß machen! Und da hat der Heilige Geist eine richtige Chance." Kirchenstrukturen neu gestalten, ausgetretene Wege in der Pastoral verlassen und Menschen bei der Entwicklung von Kirche beteiligen - darüber haben sich 200 Teilnehmer aus Deutschland, Österreich und der Schweiz beim Symposium "Praxis Partizipation" vom 19. bis 21. November 2015 im Wilhelm-Kempf-Haus in Wiesbaden-Naurod ausgetauscht.
Suchprozess mit mehreren Elementen
"Es geht darum, Anregungen zu bekommen und darüber nachzudenken, wie wir Kirche unter veränderten Bedingungen gestalten und dabei Menschen beteiligen können", erklärt Martin Klaedtke vom Organisationsteam. Diesen "Suchprozess", so Klaedtke, zeichneten mehrere Elemente aus: Die Entdeckung der Taufberufung aller Christen, das Hören auf das Evangelium zum Beispiel durch die Feier des Bibelteilens, mehr Mut zum Ausprobieren, auch wenn das mit dem Risiko des Scheiterns verbunden ist, und eine positive Grundstimmung. "Wir wollen nicht so sehr auf das schauen, was nicht mehr ist oder geht, sondern auf unsere Chancen und Möglichkeiten." Dass 60 Teilnehmer aus der Diözese Limburg kommen, freut Klaedtke besonders: "Ich glaube, dass sie Stärkung und Ermutigung erfahren haben, weiter nach neuen Wegen zu suchen."
Das Symposium hat in Workshops und Vorträgen Anregungen und Impulse für die Arbeit vor Ort gegeben: Professor Dr. Jürgen Werbick zeigte auf, dass die Volkskirche im traditionellen Sinne nicht mehr funktionieren könne. Der emeritierte Münsteraner Theologe skizzierte eine Zukunftsvision von Kirche, die auf der biblisch-fundierten Erfahrung der Teilhabe aufbaut. Jedem Menschen seien Gaben geschenkt, die er mit anderen teilen soll. Aus dieser theologischen Grunderfahrung könne Kirche gestaltet werden und leben.
Praxisnahe Workshops mit großem Themenspektrum
Praxisnähe zeichnete die rund 15 Workshops aus: Vorgestellt wurden Modelle ehrenamtlicher Gemeindeleitung, Beteiligungsformen in der Liturgie oder Methoden, Partizipation zu ermöglichen. "Es geht darum, dem Ehrenamt auf Augenhöhe zu begegnen und die Teilhabe aller Gläubigen am gemeinsamen Priestertum im alltäglichen Leben umzusetzen", erklärt Valerie Sandkämper den Weg der Pfarreiengemeinschaft Fürstenau im Bistum Osnabrück. "Drei Teams von Ehrenamtlichen kümmern sich neben dem Kirchenvorstand und dem Pfarrgemeinderat um die Anliegen und Belange der Gemeinde und versuchen zusammen mit dem Team der Hauptamtlichen Dinge anzustoßen." Wie sich das Projekt bis zu seinem Ende in drei Jahren entwickelt, sei noch nicht abzusehen. Doch Sandkämper ist bereits jetzt positiv gestimmt: "Egal, ob es eingestampft wird oder nicht: Bei uns hat sich etwas verändert." Ein neues Selbstbewusstsein sei bei den Ehrenamtlichen gewachsen, die jetzt mehr ihre Taufwürde wahrnehmen wollten, und neuer Schwung in die Pfarreiengemeinschaft gekommen. "Und ich glaube, dass lässt sich so schnell nicht wieder ersticken."
Die US-amerikanische Partizipationsform "Stewardship" wurde in einem anderen Workshop vorgestellt: In Anlehnung an die biblische Geschichte vom klugen Verwalter (1 Petrus 4,10), der mit den von Gott gegebenen Talenten haushaltet, motiviert Stewardship Ehrenamtliche, sich mit ihren Talenten und Ressourcen in das Gemeindeleben einzubringen. Und die Pfarreien ermöglichen den Ehrenamtlichen in vielen Bereichen sich einzubringen. Stewardship sei aber kein bloßes Mitmachprogramm: "Es geht auch um eine Grundhaltung." Der Gedanke, Jesus nachzufolgen, sei stark ausgeprägt, meint Referent Dr. Andreas Henkelmann. Helga Veit aus Neunkirchen im Saarland hat 20 Jahre in den USA gelebt und ist von Stewardship und der amerikanischen Kirche begeistert: "Ich bin überzeugt, dass wir hier vieles umsetzen können", glaubt die 62-jährige Gemeindereferentin.
Pfarreien neuen Typs eröffnen Chancen
Nicht nur bei Gemeindereferentin Veit, sondern auch bei den anderen Teilnehmern ist eine hoffnungsvolle Grundstimmung spürbar. "Wir haben schon ganz viele gemeinsame Wünsche, wie Kirche sein könnte. Und das sind keine Wünsche, die nur Laien oder nur Hauptamtliche oder nur Priester haben. Das sind gemeinsame Wünsche", sagt Daniel Dere, Pastoralreferent in der Pfarrei neuen Typs St. Ursula, Steinbach/Oberursel." Derzeit fehle es aber noch an Mut, einfach anzufangen. "Wir haben die Handbremse angezogen und trauen uns nicht so richtig loszulassen." Besonders mit Blick auf die Pfarreien neuen Typs sieht Dere aber großes Gestaltungspotential: "Wir haben die Möglichkeit an den acht Kirchorten ganz unterschiedlich Kirche zu sein. Das auszuprobieren, wäre spannend."