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02.07.2015

Ein wachsames Auge für Kinder haben

Präventionsschulungen wollen sexualisierter Gewalt vorbeugen

OBERURSEL. - Welche Form von Kindeswohlgefährdung liegt vor, wenn ein Kind ständig mit schmutziger und stinkender Kleidung in die Gruppenstunde kommt? Karin Heckle blickt fragend in die Runde. Auf einem Stuhl stehend hat die Limburger Bildungsreferentin der Deutschen Pfadfinderschaft St. Georg (DPSG) die 22 Männer und Frauen im Raum gut im Blick. Im ganzen Zimmer dürfen sie sich verteilen, doch sie drängen auf engstem Raum. Die Pfadfinder, viele tragen ihre mit Emblemen und Aufnähern bestickte khaki-braune Kluft, sind sich einig: Es besteht die Gefahr einer Vernachlässigung. Erste Nachfragen kommen auf. Schnell entwickelt sich ein Austausch. Welche weiteren Zeichen gibt es? Wann ist es wirklich ernst? Was kann getan werden, um Kinder zu schützen?

Sexualisierte Gewalt ist Grenzthema der Jugendarbeit

Um Mobbing, Demütigungen und Bloßstellungen, körperliche und psychische Misshandlung, Täterstrategien und Opfertypen geht es an diesem Juni-Samstag in einer Schulung in Oberursel. Sexualisierte Gewalt ist ein ernstes Thema. Und eines, bei dem es nur selten so eindeutige Antworten gibt. Bilder auf Facebook hochladen? Lagerüberfälle in der Nacht? Duschen und Body-Painting auf dem Zeltlager? Wann muss ein Leiter einschreiten, wenn sich Kinder Schimpfwörter an den Kopf werfen? Unter den Teilnehmern gibt es eine große Bandbreite an Meinungen. Selten sind sich alle einig. Und die beiden Referenten der Schulung, Karin Heckle und Melanie Zieger, wollen keine vorgestanzten Antworten geben, sondern Austausch und Diskussion fördern. "Sexualisierte Gewalt ist ein Grenzthema in der Jugendarbeit, das oft Auslegungssache ist. Es bedarf Klärung. Es bedarf Kommunikation", erzählt Melanie Zieger. Ein Ziel der Schulung sei es über die Thematik ins Gespräch zu kommen. Zieger arbeitet in der Katholischen Fachstelle für Jugendarbeit Taunus in Oberursel. Jedes Jahr bietet sie solche Schulungen in Zusammenarbeit mit den katholischen Verbänden, den Pfarreien oder Schulen an. "Sexualisierte Gewalt gehört leider zum Alltag in der Jugendarbeit", sagt sie. Gerade da, wo etwas vorgefallen ist, werde das Thema ihrer Erfahrung nach tabuisiert.

Verbände bemühen sich, Thema im Bewusstsein zu halten

Die Pfadfinderschaft und andere katholische Verbände bemühen sich, offen und aktiv damit umzugehen. Seit Jahren sei die Schulung Bestandteil der Gruppenleiterausbildung, die deutschlandweit einheitlich geregelt ist, erklärt Heckle. Der Verband gibt seinen Mitgliedern einen eigenen Interventionsfahrplan an die Hand, der klar machen soll, was in welchem Fall zu tun ist und wer informiert werden muss. Präventionsbeauftragte beraten und unterstützen vor Ort, wenn ein Verdacht besteht oder etwas vorgefallen ist. Jedes Halbjahr werden außerdem in Zusammenarbeit mit der Katholischen Jungen Gemeinde (KJG) Gruppenstundenideen veröffentlicht, damit das Thema immer wieder ins Bewusstsein gerufen und auch vor Ort behandelt wird. "Die DPSG hat sich das Thema schon auf die Fahne geschrieben", meint Heckle. Fachliche und finanzielle Unterstützung erhält der katholische Verband vom Bistum Limburg. Im Zuge der Missbrauchskrise in der katholischen Kirche müssen alle in der Jugendarbeit tätigen Verantwortlichen ein Führungszeugnis vorlegen und eine Selbstverpflichtung unterschreiben. Mit dem Bistum gebe es deshalb einen sehr engen Kontakt.

Sensibel sein für die Zeichen der Opfer

Eine Selbstverpflichtung hat auch Esther Assenmacher unterschrieben. Für die 23-jährige Studentin war das selbstverständlich, weil damit nur noch das bestätigt werde, "was für jeden Gruppenleiter sowieso klar sein sollte", nämlich dass das Kindeswohl an vorderster Stelle steht. Die Schulung hat Assenmacher schon zum zweiten Mal besucht. Trotzdem hat sie noch Einiges dazu gelernt: "Ich nehme ein paar Ideen für meine Gruppenstunde mit und viel Arbeitsmaterial, das bald der ganzen Leiterrunde zur Verfügung stehen wird", sagt sie am Ende des Tages. Auch der 17-jährige Hermann Lidberg will die Selbstverpflichtung noch unterschreiben. "Sie macht einem nochmal richtig bewusst, was für eine Verantwortung ein Gruppenleiter übernimmt, wenn der mit Jugendlichen arbeitet", sagt Lidberg. Was er davon hält, dass die DPSG und andere katholische Verbände sich mit sexualisierter Gewalt beschäftigen? "Ich denke, es ist unglaublich wichtig! Ich selbst habe in meinem Umfeld schon verschiedene Erfahrungen gemacht, bei denen dieses Wissen nützlich gewesen wäre", erzählt Lidberg. Es sei gut, dass sich die Pfadfinder damit beschäftigen. "Das sollte sich auf keinen Fall ändern."

Eine Garantie, dass damit nichts mehr passiert, sind Selbstverpflichtungen, Schulungen, Informationsmaterialien und alle anderen Bemühungen natürlich nicht. "Fälle gab und gibt es", sagt Heckle. Die Jugendarbeit lebe von Nähe. Und Täter nutzten dieses Vertrauensverhältnis gezielt aus. Deshalb sei das Sensibel sein für die oftmals kleinen, kaum wahrnehmbaren Zeichen, die betroffene Kinder aussenden, so wichtig, meint Heckle. Genau das impft sie diesen Samstag ihren Teilnehmern regelrecht ein: "Es ist ganz wichtig, dass ihr ein wachsames Auge für die Kinder habt." (CLM)

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Hintergrund-Info: Die Aufdeckung von Fällen sexuellen Missbrauchs in der katholischen Kirche hat im Bistum Limburg einen andauernden Präventionsprozess angestoßen. Neben der zeitnahen Ernennung eines Präventionsbeauftragten wurde ein diözesanes Netzwerk geschulter Fachkräfte etabliert und zahlreiche Schulungen und Informationsveranstaltungen durchgeführt. Außerdem wurden Präventionsinstrumente wie eine Selbstverpflichtungserklärung und die Abgabe eines erweiterten Führungszeugnisses eingeführt. Bei einer Schulung von Verantwortlichen des Bistums im Juni 2015 wurde über neue Instrumente zur Prävention und einer Ausweitung der Präventionsarbeit nachgedacht. Der Ständige Vertreter, Domkapitular Wolfgang Rösch, hat dabei unterstrichen, dass das Bistum entschieden und konsequent den Weg der Prävention vor sexualisierter Gewalt weitergehen und eine Kultur des Hinschauens, der Aufmerksamkeit und Sensibilisierung zur Gefahrenvermeidung etablieren will. Ab dem 4. Quartal sollen flächendeckende Schulungen für die Schulen in katholischer Trägerschaft und ab 2016 auch für Kita-Personal angeboten werden. Ab den 2.Quartal 2016 müssen haupt- und ehrenamtliche Mitarbeiter des Bistums, die mit Jugendlichen arbeiten, erneut ein Führungszeugnis abgeben.

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