25.10.2015
Zwischen Ideal und Wirklichkeit
LIMBURG. Mit Blick auf die Familiensynode in Rom hat sich Weihbischof Manfred Grothe, der Apostolische Administrator im Bistum Limburg, mit 20 Praktikerinnen und Praktikern aus der Familienpastoral, der Familienberatung, der Familienbildung und aus Kindertagesstätten zu einem Erfahrungsaustausch im Bischofshaus in Limburg getroffen. "Sie stehen in ihrer Arbeit mitten im Spannungsfeld von Ideal und Wirklichkeit", sagte Grothe. Die Spannungen lägen auf der Hand und es gebe nur wenige andere Felder, die so bewusst werden lassen, wie vermittlungsbedürftig katholische Glaubensüberzeugungen seien.
Das kirchliche Ideal von Familie besagt: Ein Mann und eine Frau, die miteinander verheiratet sind, bilden mit ihren Kindern eine Familie. Diesem Ideal werde, so Grothe, in den wenigsten Fällen widersprochen. Dennoch stehe fest, dass dies keineswegs die einzige Lebensform ist, in der Partnerschaft gelebt und in der Kinder erzogen würden. "Für die Vielfalt der Situationen, denen wir heute als Kirche begegnen, finden wir keine einfachen Antworten aus der Heiligen Schrift oder dem Lehramt der Kirche und dennoch sind wir gefordert, aus unserem Glauben heraus eine Antwort zu versuchen", sagte der Apostolische Administrator. Dabei müsse die Lehre der Kirche von der Ehe, die auf Einzigkeit und Unauflöslichkeit ausgerichtet ist, eine Grundlage sein. In ihr komme das Ideal zum Ausdruck, auf das hin die Verbindung von Ehepartnern ausgerichtet ist. "Wir müssen uns aber auch der Realität stellen, dass es eine Vielfalt von Lebensformen gibt, in denen nur Elemente dieses Ideals verwirklicht werden. Wir müssen wahrnehmen, dass Lehre und Leben nicht mehr in einer Weise aufeinander bezogen sind, die das Evangelium für die Menschen als befreiende und lebendige Botschaft erfahrbar macht", so Grothe. Die Kirche müsse sich sehr davor hüten, bestimmte Lebensformen, die ihrer Überzeugung nach nicht bejaht werden können, zu verurteilen. Vielmehr gelte es, andere Lebensformen zu akzeptieren und wertzuschätzen, ohne dabei das Ideal aufzugeben.
Nicht nur defizitär auf Lebensformen jenseits der Ehe blicken
Grothe plädierte dafür, den defizitären Blick auf Lebensformen jenseits der Ehe zu überprüfen. "Es kommt nicht nur darauf an zu beschreiben, was sie nicht sind, sondern auch, wo von ihnen Werte verwirklicht sind, die wir vom Evangelium anerkennen können, etwa bei der Übernahme der Verantwortung für den Partner oder für Kinder oder einer Liebe, die die Ausschließlichkeit und Dauerhaftigkeit der Beziehung sucht", sagte der 76-Jährige. Der Kirche fehle an diesem Punkt vielfach noch eine geeignete Sprache. Ebenso wenig wie die Ehe nicht immer ideal sei, seien andere Formen nicht ausschließlich defizitär. Dies erleben auch die Familienberaterinnen und -berater in allen Bezirken der Diözese. Die Vielfalt der verschiedenen Lebensformen findet sich auch in den Beratungen wieder. Viele Paare entschieden sich für eine Beratung, weil ihnen ihre Partnerschaft wichtig sei und sie dafür kämpfen wollen. "Die Paare, egal in welcher Lebensform, wollen, dass ihr Miteinander gelingt und zwar in Treue, Verlässlichkeit und Verantwortung", berichtet eine Beraterin. Die Marke "Katholisch" sei kein Hemmnis und kein Problem. Die Menschen schätzten die Seriosität und Professionalität in den Beratungsstellen. In einem Beratungsprozess gehe es oft auch um die Vermittlung und um die Suche nach Werten. Die Konfrontation mit dem kirchlichen Partnerschaftsideal stehe am Ende einer Beratung, nicht direkt am Anfang.
Kirche ist da, wo die Menschen sind
Vielfältige Anknüpfungspunkte an die Lebenswirklichkeit von Partnerschaften und Familien bilden auch die Kindertagesstätten, die größtenteils in Trägerschaft der Kirchengemeinden sind. "Es ist ganz wichtig, dass sich Kinder und Erziehungsberechtigte in unseren Einrichtungen willkommen fühlen", erklärt eine Kita-Leiterin. Diese "Willkommenskultur für Kinder und Familien" sei nicht an das "Katholischsein" gebunden. Vielmehr gehe es Eltern und Paaren darum, wie in den Einrichtungen mit den Kindern gearbeitet werde und welches Menschenbild vermittelt werde. "Viele Menschen spüren, dass sie in der Kita Hilfe bekommen", so die Kita-Leiterin. "Erziehungspartnerschaft" sei dabei ein wichtiger Punkt.
Eine Verbindung zwischen Familienalltag und dem Glauben stellen die Angebote der Familienpastoral und der Familienbildung dar. Auch in diesen Bereichen ist die Bandbreite und Vielfalt der Lebensformen erlebbar. Und auch hier gehe es darum, auf die Ressourcen und nicht zu stark auf die Defizite zu blicken. Es sei wichtig, zu vermitteln und aufzuzeigen, dass der Glaube Ehe, Partnerschaft und Familie noch wertvoller machen kann. "Es tut der Kirche gut, wenn sie gute Beziehungen stärkt, egal in welcher Lebensform", so ein Teilnehmer. Wegweisung und Wegbegleitung sind hier wichtige Maximen. (StS)