Wider das absolutistische System Kirche
Eigentlich sind es gerade zwei Skandale, die die katholische Kirche bis in die Grundfesten erschüttern: Die sexualisierte Gewalt, derer sich katholische Priester schuldig gemacht haben, und das Unvermögen der Kirchenleitungen, dem fortgesetzten Kindesmissbrauch entschieden Einhalt zu gebieten, Täter zu benennen und der staatlichen Rechtsprechung zu überantworten. Die kirchlichen Strukturen begünstigen so die Vertuschung von Verbrechen. Und bei diesen Strukturen muss sich einiges ändern, soll die Kirche nicht immer mehr geschwächt werden.
Das ist die Quintessenz aus einem kurzfristig anberaumten Domgespräch, zu dem das katholische Bildungszentrum Haus am Dom in Frankfurt am Montag, 1. Oktober, eingeladen hatte. Im vollbesetzten Großen Saal zeigt zunächst das Filmdrama „Verfehlung“ von 2015, wie offenbar allerorten Missbrauch durch Priester und Bischöfe vertuscht wurde, um Schaden von der Institution Kirche zu wenden und die eigene Karriere nicht zu beschädigen.
Männerbündische Strukturen werden im Priesterseminar grundgelegt
Im Anschluss stehen der katholische Stadtdekan Johannes zu Eltz und der Pastoraltheologe Wolfgang Beck von der Jesuitenhochschule Sankt Georgen gemeinsam mit dem Direktor des Hauses am Dom, Joachim Valentin, Rede und Antwort. In bedrückter Atmosphäre, aber sehr besonnen und sachlich, ernsthaft und die Fassungslosigkeit, die sich nach dem Film breit gemacht hat, nicht verbergend, läuft die Diskussion.
Wolfgang Beck brandmarkt vor allem die „männerbündischen Strukturen“ in der katholischen Kirche als „hochgefährlich und problematisch“. Wer Missbrauch offen anspricht, werde ausgegrenzt und diffamiert. Schon im Priesterseminar lebten die Studenten in einer Sonderwelt, separiert vom Rest der Welt: „Hier wird der Korpsgeist grundgelegt: Wir Kleriker gegen die Welt da draußen“, weiß Beck.
Zölibat als freiwillige Entscheidung
Auch Stadtdekan zu Eltz warnt vor „taktischem Verhalten, um Schaden vom Apparat abzuwenden“. Verbrechen müssten geahndet, nicht vertuscht werden. Nicht die Integrität der Institution dürfe im Vordergrund stehen. Vielmehr müsse die Kirche den Schaden sehen, den Menschen durch das Verhalten von Klerikern oft lebenslang davontrügen: „Wir können das nicht aussitzen, wir müssen von Grund auf neu aufbauen!“
Der Stadtdekan erneuert seine Vorschläge, mit denen er gleich nach Bekanntwerden der neuen Missbrauchsstudie an die Öffentlichkeit ging: Das Zölibat für Priester müsse eine freiwillige Entscheidung werden, Frauen müssten zum Diakonat zugelassen und eine Priesterweihe für Frauen geprüft werden. Auch die Haltung der katholischen Kirche zur Homosexualität müsse neu bewertet werden. Und schließlich müssten Elemente von Gewaltenteilung, vor allem in der Personalführung, implementiert werden.
Kleine Schritte zu mehr Demokratie
Kleine Schritte wären jetzt schon möglich, prophezeit Beck, etwa mehr Transparenz bei der Ämtervergabe. Auch helfe staatlicher und öffentlicher Druck, damit die Kirchenleitung sich bewege. Das unterstreicht auch Joachim Valentin, der vor „rechtsfreien Räumen“ in allen Religionsgemeinschaften warnt und vor allem die „Unbarmherzigkeit gegenüber den Opfern sexualisierter Gewalt“ in der Kirche beklagt.
Die Stimmen aus dem Podium sichern den Diskussionsteilnehmern durchweg Unterstützung zu. Sorgenvoll äußern sich vor allem Christen, die ehrenamtlich in ihren Gemeinden aktiv sind. Auch sie stünden unter äußerstem Rechtfertigungsdruck, sich noch für dieses „hierarchische System“ und seine Priester, „die sich für was Besseres halten“ zu engagieren. In der Kirche, so der Tenor, müssten endlich demokratische Strukturen einziehen und Mitbestimmung und Mitverantwortung gestärkt werden.
Was davon allerdings in der weltweit agierenden katholischen Kirche mit, wie Beck sagt, „absolutistischem System“ tatsächlich umgesetzt werden kann, bleibt auch nach diesem Abend unklar: „Es wäre ein mittleres Wunder, aber darauf kann man hoffen!“ schließt Stadtdekan zu Eltz unter dem Applaus des Publikums den Abend.