Erste Hilfe für die Seele
WESTERWALD.- Wenn sich der Piepser meldet, dann sind sie da: Notfallseelsorger. Größtenteils ehrenamtlich kümmern sie sich um Menschen, über die gerade eine Krise einbricht. "Wir versuchen, die Leute festzuhalten, wenn sie nach unten stürzen", sagt Rainer Dämgen, Pastoralreferent und Notfallseelsorger im Westerwald. "Wenn mein Piepser geht, dann weiß ich, es sind Menschen gestorben." Das kann sein, wenn ein schwerer Verkehrsunfall passiert ist, wenn die Polizei eine Todesnachricht überbracht hat, aber auch wenn Menschen zuhause gestorben sind und die Angehörigen jemanden brauchen, der zuhört. "Ich bleibe so lange, wie es sein muss", sagt Dämgen.
In der Notfallseelsorge im Westerwald gibt es zwei Dutzend haupt- und ehrenamtliche Mitarbeiter, sowohl katholisch als auch evangelisch. Christiane Quirmbach ist seit fünf Jahren ehrenamtlich dabei. "Es ist ein tolles Gefühl, zu helfen und erdet ungemein. Man ist zufriedener mit seinem eigenen Leben", sagt Quirmbach. Zur Notfallseelsorge ist sie durch einen persönlichen Vorfall gekommen. "Ein Freund war plötzlich gestorben und ich habe gemerkt, wie wichtig es ist, dass dann jemand da ist", sagt Quirmbach. Ein Freund hat sie dann gefragt, ob Notfallseelsorge nicht etwas für sie wäre.
Jede Situation ist anders
Die Ausbildung umfasst unter anderem eine Woche Grundkurs und Tagespraktika beim Rettungsdienst, bevor die Freiwilligen als Notfallseelsorger vor Ort tätig werden. Eine wichtige Grundlage bildet dabei auch der Umgang mit dem Leid im christlichen Glauben. "Wirklich auf das vorbereiten, was passiert, ist nicht möglich", sagt Dämgen. "Jeder Mensch reagiert anders und die Situationen sind auch immer unterschiedlich." Es stelle sich deshalb eher die Frage, wie man sich auf Menschen einstellt.
Die Schichten der Notfallseelsorger sind immer mehrere Tage lang, mal zwei Tage, mal drei Tage. In dieser Zeit heißt es bereit sein. Denn wenn der Piepser losgeht, muss sich der Notfallseelsorger auf den Weg machen. Dabei ist es egal, ob er gerade zuhause ist, beim Einkaufen oder am Arbeiten. Innerhalb von 20 Minuten ist er am Unfallort. Darauf achten die Notfallseelsorger im Westerwald bei der Einteilung ihrer Gruppen in Nord und Süd. 20 Minuten klingt im ersten Moment viel, wo es doch bei den Rettungsdiensten und der Feuerwehr auf jede Sekunde ankommt. "Bei uns zählen nicht die Sekunden, wie bei den Rettungsdiensten. Manchmal warten wir eine ganze Zeit lang, bevor wir mit den Angehörigen sprechen können oder sie auf uns zugehen", sagt Dämgen. "Wir drängen uns nicht auf, achten aber darauf, dass niemand vergessen wird. Oft brauchen uns gerade die Leute, die still in der Ecke sitzen."
"Am Anfang habe ich besonders darauf aufgepasst, dass ich während der Schichten immer bereit bin und zum Beispiel nicht im Garten arbeite", sagt Quirmbach. "Mit der Zeit bin ich aber gelassener geworden. Ich gebe immer noch Acht, dass ich nicht aus dem Landkreis fahre, denn da funktionieren die Piepser nicht mehr, aber ansonsten sind es Tage wie jeder andere."
Ein großes Unglück führte zur Gründung
Seit 20 Jahren gibt es die Notfallseelsorge. Der Anstoß dazu kam von den Rettungsdiensten, da sie die Menschen allein lassen müssen, die nicht direkt betroffen sind, das heißt beispielsweise Angehörige von Opfern. Besonders schlimm war dies beim Zugunglück von Eschede im Jahr 1998. Damals kamen 101 Menschen ums Leben und 88 wurden schwer verletzt. "Da braucht es Seelsorger, die für die Menschen da sind und mittragen, was sie ertragen müssen", sagt Dämgen. Bei dem Unglück seien Seelsorger vor Ort gewesen, die nicht richtig wussten, was sie tun sollten. Um zu verhindern, dass dies noch einmal passiert, wurde die Notfallseelsorge ins Leben gerufen. Die Notfallseelsorger werden auf solche Situationen vorbereitet. Dazu zählt zuhören, wissen, wer in dem Einsatz das Kommando hat und sich in den Menschen hineinversetzen. "Manchmal bin ich der Prügelknabe des lieben Gottes", sagt Dämgen. Das gelte es dann auszuhalten.
Aber nicht nur die Angehörigen der Opfer, auch Rettungskräfte werden von den Notfallseelsorgern betreut. "Wir bringen die Einsatzkräfte dazu, wieder runterzukommen", sagt Dämgen. Denn wenn die Feuerwehrmänner, Polizisten oder Sanitäter den Menschen nicht retten können, werden sie auch hier gebraucht.
Abschalten und Ausschalten
Nach dem Einsatz sind auch die Notfallseelsorger im Westerwald nicht allein. "Es gibt ein Team, die Hintergrunddienst machen. Das heißt, sie rufen nach den Einsätzen an und fragen, wie es war, wie es uns geht", sagt Quirmbach. "Und den Hintergrunddienst können wir auch anrufen, wenn wir Verstärkung brauchen." Zusätzlich gibt es vier Mal im Jahr Supervisionen mit Psychologen.
Wenn die Schicht vorbei ist, kommt ein erlösender Moment. Piep, piep, piep - dann folgt Stille. "Das Geräusch, wenn man den Piepser ausmacht, ist schon schön. Da freuen sich auch immer meine Kinder", sagt Dämgen. Dann haben er und die anderen Notfallseelsorger, wie Christiane Quirmbach, auch wieder uneingeschränkt Zeit für andere Dinge, wie Arbeit und Freizeit.(fes)