Werte vermitteln und Fremdheit aushalten
BAD HOMBURG. - Integration fängt mit der Sprache an, darin waren sich die Teilnehmer des 20. Gesellschaftspolitischen Forums Hochtaunus am Montag, 14. März, vom Start weg ebenso einig wie in der Überzeugung, dass es damit noch nicht getan ist. Was aber zu einer gelingenden Integration noch dazu gehört und was die schon vorsorglich im Titel der Veranstaltung in Anführungszeichen gesetzte "Leitkultur" damit zu tun hat, darüber gingen die Meinungen in der Stadtbibliothek in Bad Homburg auseinander.
Pluralisierung der Lebenswelten
Sie könne mit dem Begriff gar nichts anfangen, stellte Seda Basay, Rechtsanwältin im NSU-Prozess, klar. Der gebürtigen Marburgerin mit türkischen Wurzeln reicht es aus, wenn sich die Neuankömmlinge an die Gesetze halten und "respektvoll mit anderen Menschen und deren Meinung umgehen". Werte dürften anderen nicht "aufgedrängt" werden. Während die Erziehungswissenschaftlerin Christine Bär von der Philipps-Universität Marburg ihr beipflichtete und "die Pluralisierung der Lebenswelten mit verschiedenen Kulturen" gegen eine Leitkultur ins Feld führte, hielt der Unternehmensberater Dr. Asfa-Wossen Asserate ein gewohnt leidenschaftliches Plädoyer für die Wertevermittlung.
Wie ein Europäer tickt
"Ohne die Akzeptanz der europäischen Werte wird Integration nicht gelingen", sagte er entschieden und forderte den Willen, sich auf Neues einzulassen und sich in Neues zu integrieren. Nach seinen Worten ist es unabdingbar, dass sich Menschen, die nach Europa kommen, mit diesen Werten auseinander setzen und lernen, "wie ein Europäer tickt, wie er denkt". Das heiße nicht, dass man sich selbst vergessen müsse. Interkulturelle Begegnung müsse der zweite Schritt sein. Die Menschen kämen ja gerade wegen der Werte, daran erinnerte die Kreisbeigeordnete Katrin Hechler. Die europäische Freiheit sei so ein Wert, den es woanders eben nicht gebe. Die Grundrechte, insbesondere auch die Frauenrechte, sind nach ihren Worten Werte, für die es sich lohne, zu kämpfen. Nicht auf die Politik warten, lautete ansonsten der unerwartete Ratschlag der Politikerin: Es gelte, gemeinsam das Einvernehmen zu gestalten, um friedlich und gut miteinander zu leben. Optimistisch stimme sie dabei das Engagement von Kirchen und Gesellschaft und das Zusammensein der Kinder in den Grundschulen: "Die leben das bereits vor."
Wer ist deutsch?
Dass Integration "keine Einbahnstraße" sei, war ein roter Faden des von Meinhard Schmidt-Degenhard moderierten Podiumsgesprächs. Besonders eindrücklich fasste das Seda Basay in Worte, die von ihrem eigenen Werdegang berichtete, angefangen beim Abitur an einer Schule, in der von 1000 Schülern gerade einmal drei einen Migrationshintergrund hatten. Sie habe sich trotz vieler Vorurteile durchgekämpft, sagte sie, und dennoch immer wieder die Erfahrung gemacht, dass sie sich selbst als Deutsche fühle, aber trotzdem nicht dazu gehöre. "Wer ist deutsch?" fragte sie und: "Muss ich da jetzt an mir arbeiten oder die Gesellschaft an sich?" Im Zusammenhang mit den Erkenntnissen im NSU-Prozess mahnte sie darüber hinaus eine Diskussion über strukturellen Rassismus an.
Sich allerdings "vollständig Zuhause zu fühlen", das wird auch bei allerbesten Bedingungen für Integration nicht gelingen, gab Christine Bär zu bedenken, die sich in der Schlussrunde für alle Beteiligten wünschte, "dass Fremdheit ausgehalten werden kann." (rei)
Das Gesellschaftspolitische Forum Hochtaunus wurde zum 20. Mal vom Evangelischen Dekanat, dem Katholischen Bezirksbüro sowie der Katholischen Erwachsenenbildung organisiert.