Ein starkes Stück Kirche
OBERURSEL. ? Den Ritterschlag gab es zum Abschluss des Visionstages der Pfarrei St. Ursula von den philippinischen Gästen: „Sie haben hier Geschichte gemacht“, sagte Pater Mark Lesage. Wer künftig etwas über den Aufbau einer „gemeinsam geteilten Vision“ lernen wolle, müsse nicht mehr nach Manila in das Pastoralinstitut Bukal ng Tipan reisen, sondern könne auch gleich nach Oberursel und Steinbach gehen. Rund 200 Teilnehmer waren an diesem Samstag, 18. Juni, der Einladung gefolgt, gemeinsam Puzzlesteine zusammenzutragen zu einer Vision davon, wir „wir hier vor Ort unser Leben und unsere Kirche gestalten möchten“. Zur selben Frage waren im Vorfeld 350 persönlichen Interviews geführt worden, deren Ergebnisse am Vormittag in der Stadthalle vorgestellt wurden.
Gastgeber an Thementischen
„Jetzt sind Sie dran“ gab zum Nachmittag Pastoralreferentin Susanne Degen das Motto aus, bevor sie die Moderation an Sabine Soeder, Barbara Kruse und Ursula Hillbrand übergab. Die führten professionell und herzlich durch den Tag und ermunterten die Teilnehmer, zu Zettel und Stift zu greifen, ihre Träume und Visionen zu benennen und „Gastgeber“ für diesen Aspekt zu werden ? oder sich als „Besucher“ an den jeweiligen Gesprächsrunden zu beteiligen. Von der Kirche im Alltag über Glauben teilen bis zu anderer Sprache, Frauenordination und mehr Einsatz für Gerechtigkeit reichte die Bandbreite der zusammengetragenen 19 Themen.
Proaktiv auf junge Leuge zugehen
„Als ich hier nach Oberursel gekommen bin, habe ich überhaupt keinen Einstieg in die Gemeinde gefunden“, erzählte Simone Fijolk (29), zusammen mit Claudia Baier (28) Gastgeberin für das Anliegen, die „junge Generation abzuholen und zu integrieren“. Erst durch ihre Heirat und die kirchliche Hochzeitsvorbereitung habe sie endlich den erwünschten Kontakt herstellen können. Die ganze Generation der 15- bis 30-Jährigen gehe verloren, hieß es an dem Tisch, an dem zugleich engagiert und lebhaft mögliche konkrete Handlungsschritte auf einem großen Poster notiert wurden: sich Anregungen bei der Jugendkirche holen, bei der Firmung ansetzen, proaktiv auf junge Leute zugehen, mehr Werbung, junge Leute über Technik interessieren.
Kritische Fragen ansprechen
Eine große Runde diskutierte ein paar Tische weiter über pastoralen Nachwuchs und Frauen in der Kirche. „Wir müssen den Mut haben, diese Dinge anzusprechen“, ist Susann von Winning zum Thema Frauenordination überzeugt. Es gehe dabei nicht um das große Wunschkonzert, sondern um die Vision, dass die Pfarrei genau der richtige Ort sei, um solche kritischen Fragen kontrovers zu diskutieren, als Motor, „um das voran zu bringen“. Männer und Frauen seien gleichermaßen von Gott berufen, sagt sie später unter großem Beifall bei der Vorstellungsrunde, bei der die 19 Themen in jeweils einer Minute präsentiert werden, eben so, als „sei man mit Papst Franziskus im Aufzug und könnte seinen Herzenswunsch an die Kirche formulieren.“
Meeting Point und Kirchencafé
Kirche müsse gewissermaßen Füße haben, um sich auf die Menschen zuzubewegen, lautete einer dieser Wünsche. Andere forderten bessere Andockmöglichkeiten für „Nicht-Insider“, zum Beispiel ein Meeting Point oder ein Café. Mehr Einsatz für eine gerechtere Weltordnung: „Da müssen wir hier in Oberursel Druck machen, dass die Kirche dafür ihre Macht und ihren Einfluss besser nutzt“. Der Spielraum für Laien bei der Gottesdienstgestaltung sollte erweitert werden, hieß es. Es müsse mutig auch zu überkonfessionellen spirituellen Begegnungen eingeladen werden unter dem Aspekt „Was verbindet uns als Menschen“, war das Anliegen einer anderen Gruppe.
Hoffnung und Zuversicht
In der Schlussrunde zeigte sich nicht nur Pastoralreferentin Susanne Degen „ganz gerührt von dem großen Reichtum und dieser Vielfalt.“ Auch Harald Schwalbe von der Projektgruppe resümierte kurz und knapp: „Toll! Ich bin überrascht!“ Es habe keine Regieanweisung gegeben, verwies er noch einmal auf den Anspruch, möglichst vielen Menschen Beteiligung zu ermöglichen: „Alles, was gesagt worden ist, haben Sie gesagt.“ Auch den Teilnehmern selbst fiel durchweg Positives zum Mitnehmen ein: Mut, Gemeinschaft, Hoffnung, Aufbruch, Inspiration und Freude. „Boah. Danke!“ kommentierte Pfarrer Andreas Unfried. „Wir sind miteinander Kirche, das haben wir heute erfahren und das werden wir nicht vergessen“, sagte er: „Ein starkes Stück Kirche, heute, hier.“ (rei)
Der Visionsprozess in der Pfarrei geht weiter. Nächster Termin wird ein Klausurtag von Pfarrgemeinderat, Pastoralteam und Projektgruppe sein. Angedacht ist dann eine weitere offene Einladung, um die gemeinsam entwickelte Vision vorzustellen. Interessenten, die in der Projektgruppe oder an bestimmten Themen mitarbeiten wollen, können sich per Mail melden: degen@ kath-oberursel .de.