"Mit großer Furcht und zitternder Aufmerksamkeit"
LIMBURG - 43 Jahre ist sie alt, als die benediktinische Äbtissin Hildegard von Bingen im Jahr 1141 mit "großer Furcht und zitternder Aufmerksamkeit" eine bedeutsame Offenbarung erlebt: "Ein lebendiges Licht" überkommt sie. Ein Licht, das sie "entflammt", ohne sie zu "verbrennen". Es fordert sie unmissverständlich auf, alle ihre Zweifel zu überwinden und das Gesehene und Gehörte niederzuschreiben. Zehn Jahre lang arbeitet sie an ihrem Erstlingswerk, der umfangreichen visionären Schrift "SCIVIAS - Wisse die Wege". Nach dem Tod Hildegards im Jahr 1179 entsteht die so genannte Rupertsberger "SCIVIAS-Handschrift" mit ihren berühmten Buchmalereien.
Diese Prachthandschrift hat die Künstlerin und Theologin Marie-Luise Reis zur eigenständigen künstlerischen Auseinandersetzung inspiriert. Sie entwirft einen 11-teiligen Bildzyklus "Hildegard-Variationen", der bis Ende November von 9.00 Uhr bis 16.30 Uhr im Kreuzgang des Bischöflichen Ordinariats, Roßmarkt 4, zu sehen ist.
Die Malerin bemerkt eine Diskrepanz zwischen den flächigen mittelalterlichen Miniaturen auf der einen und der Dynamik sowie räumlichen Tiefe von Hildegards Visionen auf der anderen Seite. Deshalb sind ihre zwischen 2012 und 2013 entstandenen Hildegard-Variationen, für die sie Acryl und Farbstift verwendet, durch expressive Farbigkeit und dynamische Bewegung geprägt. Auf diese Weise nähert sich die Künstlerin den Visionen der Seherin, die diese selbst keineswegs als harmlos, sondern als faszinierend und erschreckend zugleich erfahren hat.
Mit Blick auf ihre eigens künstlerisches Schaffen schreibt Marie-Luise Reis im Limburger Magazin für Religion und Bildung EULENFISCH 1_2013: "Die Verbindung von Theologie und Kunst bedeutet für mich Sichtbarmachung von Verkündigung und ist Ausdruck eines in Bildsprache gefassten Gottesdialoges."
Am Dienstag, 12. November, findet von 13 bis 14 Uhr eine öffentliche Führung mit der Künstlerin statt. (SFi)