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FRANKFURT, 26.09.2024

Die ganze Welt trifft sich in Frankfurt

Zum Jahreskongress des „Internationalen Verbandes der zivilen Luftfahrtseelsorge“ sind Seelsorgende aus der ganzen Welt an den Main gereist. Fünf Tage lang sprechen sie übers Erinnern und lassen sich davon inspirieren, wie ähnliche Probleme andernorts gelöst werden.

Die fast 70 Menschen auf dem Mainschiff machen auf den ersten Blick den Eindruck, als hätten sie nicht viel gemeinsam. Man hört Deutsch und Englisch, Französisch und Niederländisch, viele unterschiedliche Akzente und Dialekte, sieht Anzug, Dirndl, Abendkleid, bunte Ethno-Muster. Der eine isst Schweinefleisch, die andere nicht, der Dritte bekommt sein koscheres Essen separat verpackt serviert. Doch die Menschen, die am Mittwochabend auf der „Sybilla Merian“ zusammengekommen sind, teilen intensive Erfahrungen. Sie alle sind Seelsorgerinnen und Seelsorger an Flughäfen – und sie sind aus der ganzen Welt nach Frankfurt gereist, um an der Jahreskonferenz der „International Association of Civil Aviation Chaplains“ (IACAC), zu Deutsch „Internationaler Verband der zivilen Luftfahrtseelsorge“, teilzunehmen.

Jedes Jahr treffen sich die Flughafenseelsorgerinnen und -seelsorger eine Woche lang, um sich auszutauschen, zu netzwerken, gemeinsame Themen zu bearbeiten und voneinander zu lernen. Mit dabei sind katholische, evangelische, jüdische, muslimische Seelsorgende, aber auch Vertreterinnen und Vertreter anderer Religionen. Die Gegebenheiten sind so unterschiedlich wie die Menschen: Am Flughafen in Manchester gibt es ausschließlich multireligiöse Gebetsräume, in Dallas (Texas) ein riesiges Team von 30 Seelsorgenden aus allen möglichen Glaubensfamilien. Am Flughafen Brüssel ist ein nicht-religiöser, humanistischer Verein maßgeblich an der Seelsorge beteiligt, am Flughafen Frankfurt werden regelmäßig Pilgergottesdienste angefragt, weil so viele Gruppen hier umsteigen.

Unendlicher Fundus an Flughafen-Geschichten

Doch so unterschiedlich die Gegebenheiten in den einzelnen Ländern sind, so viele Gemeinsamkeiten lassen sich auch feststellen. In der täglichen Arbeit, die oft gar nicht daraus besteht, große Tragödien abzufangen, sondern oft auch daraus, bei Alltagsproblemen zu helfen. Aber vor allem bei den Geschichten, die jede Flughafenseelsorgerin und jeder Flughafenseelsorger zu erzählen hat: Ein Mensch stirbt plötzlich während eines Fluges – die Flughafenseelsorge erwartet die erschütterten Angehörigen am Zielort. Eine Familie mit Hund muss die Nacht unvorhergesehen im Transitbereich verbringen – die Flughafenseelsorge bringt Essen und Trinken, Decken und Kissen, Hundefutter. Zwei alleinreisende minderjährige Mädchen stranden am Flughafen Melbourne und können sich, so sieht es das Gesetz vor, selbst kein Hotelzimmer mieten – die Flughafenseelsorge hilft. Der Koffer ist verloren gegangen und mit ihm die Windeln fürs Baby – im Schrank der Flughafenseelsorge gibt es stapelweise Windeln für genau diesen Fall.

Durch Hilfe die Liebe Gottes erleben

„Die Menschen wenden sich mit so gut wie allen Arten von Problemen an uns, weil sie der Kirche vertrauen, und das ist wunderbar“, sagt Bishop Donald „DD“ Hayes von der Flughafenseelsorge in Dallas (USA). Volker Jung, Präsident der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (EKHN), begrüßt die Gruppe auf dem Mainschiff und formuliert es in seiner auf Englisch gehaltenen Rede so: „Die Menschen, die zur Flughafenseelsorge kommen, profitieren von der Hilfe der Kirche, dadurch erleben sie die Liebe Gottes.“   

Gastgeber des fünftägigen Kongresses in Frankfurt sind das Bistum Limburg und die Evangelische Kirche in Hessen und Nassau. Das Titelthema heißt in diesem Jahr „Zurückblicken, um eine Zukunft zu haben – Lernen, mit unserer Verletzlichkeit zu leben“ („Looking back to have a future – Learning to live with our vulnerability“). In zahlreichen Workshops, die teils in der Evangelischen Akademie, teils am Flughafen stattfinden, werden die einzelnen Aspekte des Erinnerns entfaltet. Es geht um Erinnerungskultur, um das Erinnern schrecklicher Katastrophen, um das Aufarbeiten kollektiver Erinnerungen wie den Terroranschlägen vom 11. September 2001 oder der Covid-Pandemie. Aufgrund der deutschen Geschichte geht es auch um die NS-Zeit – so steht ein Besuch des KZ-Außenlagers in Walldorf auf dem dicht getakteten Programm. Und es geht um die Verletzlichkeit, in die Reisende sich stets begeben, um die vorübergehende Abgabe von Kontrolle, ums Obdachlossein unterwegs. „Wie viele Geschichten in der Bibel handeln von der menschlichen Verletzlichkeit? Ja, wir als Christinnen und Christen sind praktisch Experten für Verletzlichkeit“, greift auch Dr. Wolfgang Pax, Generalvikar des Bistums Limburg, den Faden in seinem Grußwort auf dem Schiff auf.

Unterschiede machen den Austausch interessant

Bei allem, was verbindet, sind es aber gerade die Unterschiede, die das fünftägige Treffen für die Teilnehmerinnen und Teilnehmer interessant machen. „Es ist spannend, die Erfahrungen weltweit zu teilen und zu sehen, wie andere Flughafenteams mit ähnlichen Fragen anders umgehen“, sagt Peter Schwaderlapp, katholischer Pastoralreferent und Flughafenseelsorger am Frankfurter Flughafen. Da stimmt seine Kollegin Bettina Klünemann, evangelische Pfarrerin am Flughafen, ihm zu: „Man nimmt aus den Gesprächen immer etwas mit – auch sehr konkret, denn sich persönlich zu kennen ist hilfreich in der Zusammenarbeit mit den Teams anderer Flughäfen. Nach einer Zeit kennt man natürlich viele, dennoch sind auch immer neue Gesichter dabei bei den Jahrestreffen.“ Immerhin versorgen die Flughafenseelsorgenden eine mobile Gemeinde, die sich kreuz und quer über den Globus bewegt – da wird schon oft geschrieben oder zum Telefon gegriffen, um das Seelsorgeteam am Ankunftsort über einen sich im Anflug befindlichen Bedarf zu informieren.

Bettina Klünemann ist zufrieden mit dem lebendigen Verlauf der Konferenz. Und auch Martyn Scrimshaw, Präsident des Internationalen Verbandes IACAC, freut sich, dass wieder so viele Kolleginnen und Kollegen angereist sind – und dass es gelingt, internationale politische Konflikte außen vor zu lassen. „Wir alle hier teilen die Leidenschaft, für die Menschen am Flughafen dazusein“, sagt er. „Das ist es, weshalb wir hier sind.“

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