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LIMBURG, 11.09.2024

Wohnungslose Menschen fallen oft durch das Hilfenetz

Jessica Magnus vom Caritasverband für die Diözese Limburg e.V. fordert im Interview mehr Hilfen für psychisch- oder suchtkranke Wohnungslose.

Jessica Magnus vom Caritasverband für die Diözese Limburg e.V. (DiCV Limburg) fordert im Interview mehr Hilfen für psychisch- oder suchtkranke Wohnungslose.

Frau Magnus, die Zahl der Wohnungslosen ist in Hessen im vergangenen Jahr auf ein Rekordniveau gestiegen. Was bedeutet es, wohnungslos zu sein? 

Wohnungslos zu sein bedeutet, kein Zuhause zu haben, wo man einfach hingehen und bleiben kann. Betroffene leben entweder auf der Straße oder in Notunterkünften, manchmal hausen sie in vollkommen unzulänglichen Wohnungen, Baracken oder Wohnwagen. Einfach mal die Tür abschließen, geht nicht. Es fehlt an Sicherheit und Privatsphäre. Das ist auch besonders traumatisch für Kinder. Sie erleben im schlimmsten Fall eine Zwangsräumung und verlieren dabei nicht nur ihre Habseligkeiten, sondern auch ihren Rückzugsort, an den sie zum Beispiel auch Freunde einladen oder in Ruhe ihre Hausaufgaben machen können. Wohnungslosen Menschen fehlt es an vielem, was für uns ganz selbstverständlich ist, und sie erleben soziale Ausgrenzung.  

Wie kommt es, dass die Zahlen gerade jetzt so hoch sind?  

Wir merken seit vielen Jahren, dass die Zahlen steigen und das hat natürlich viel mit dem Wohnungsmarkt, also knappem Wohnraum und Hürden zu tun, überhaupt eine Wohnung zu erhalten. Wer zum Beispiel einen negativen Schufa-Eintrag hat, hat kaum eine Chance irgendeine Wohnung zu kriegen, auch nicht im Sozialwohnungssektor. Zusätzlich zu den Kündigungen wegen Mietschulden nehmen wir durchgehend eine Steigerung von Eigenbedarfskündigungen wahr. Dann bemerken wir auch eine Zunahme von Suchterkrankungen und psychischen Erkrankungen, die die Wohnungssuche erschweren. Obdachlosigkeit oder Wohnungslosigkeit sind immer nur die Spitze eines Eisberges an Problemen, die die Menschen mit sich herumtragen. Deswegen setzen wir uns auch sehr dafür ein, zusätzlich zu den Hilfen für wohnungslose Menschen ein präventives Angebot vorzuhalten, um zu verhindern, dass Menschen überhaupt zu Wohnungsnotfällen werden. 

Die Caritas ist Träger von stationären und ambulanten Einrichtungen. Stellt diese Zunahme an Sucht- und psychischen Erkrankungen eine Herausforderung dar?  

Absolut, denn die Einrichtungen sind natürlich nicht ausgelegt auf viele Menschen mit psychischen Erkrankungen oder seelischen Behinderungen. Die Einrichtungen sind auch nicht darauf ausgelegt, dass Wohnungslose zunehmend älter werden oder vorzeitig gealtert sind und deshalb auch einen erhöhten Bedarf an Pflege haben. Viele Einrichtungen sind nicht barrierefrei. Für diesen Personenkreis wären zum Teil die Hilfen der Eingliederungshilfe gut geeignet, wo auch Pflege und besondere Betreuung möglich würde.  

Wohnungslose Menschen fallen also durch das Hilfenetz und überfordern einzelne Bereiche massiv?   

Ja, das ist so. Natürlich unterstützt die Wohnungsnotfallhilfe dabei, bei Bedarf in das System der Eingliederungshilfe zu wechseln. Dafür ist aber auch eine hohe Verbindlichkeit notwendig, die diese Menschen aufgrund ihrer Lebenssituation nicht leisten können.  

Wie lässt sich auf diese Sucht- und Krankheitsproblematik reagieren?  

Wir müssen weg von der Praxis befristeter Hilfen. In Hessen sind diese in der Regel auf zwei Jahre befristet und können dann nach Begründung und im Einzelfall verlängert werden. Dann fällt die Hilfe aber weg. Im schlimmsten Fall müsste die Person dann aus dem stationären Kontext zurück auf die Straße oder in ein betreutes Wohnen. Wir müssen über Hilfeformen nachdenken, die dauerhaft sind und individuellere Ziele verfolgen. Gerade für ältere Wohnungslose ist eine Wohnung vielleicht gar nicht erstrebenswert. Da geht es beispielsweise um eine menschenwürdige Betreuung bis zum Lebensende. Außerdem bräuchten wir eine Finanzierungsgestaltung, die auch unbürokratisch Pflege in Wohnungslosen-Einrichtungen möglich macht. Und wir dürfen diese Menschen nicht vergessen, die eigentlich vor allem eine Wohnung brauchen und dort mit einem mehr oder weniger intensiverem Unterstützungsangebot auch allein klarkommen.  

Die Bundesregierung will bis 2030 Wohnungslosigkeit in Deutschland überwinden. Wie realistisch ist das?  

Überhaupt nicht realistisch. Der nationale Aktionsplan ist ein stumpfes Schwert, in dem zwar – und das muss man zugutehalten – das Problem und die Stellschrauben, an denen man drehen müsste, erkannt sind. Da der Aktionsplan aber nicht mit eigenen Mitteln ausgestattet ist, bleibt es zunächst ein Lippenbekenntnis. 

Hintergrund  

Am 11. September ist der Tag der Wohnungslosen Menschen. Die Caritas im Bistum Limburg lädt zum Aktionstag unter dem Motto “WOHNUNG_LOS: Gemeinsam mehr erreichen” an verschiedenen Orten zu einem Besuch in Einrichtungen und Diensten für wohnungslose Menschen ein. Unter anderem lädt der Caritasverband für den Bezirk Limburg zu einem Erfahrungspodium ins Kalkwerk in Diez ein. Der Caritasverband Frankfurt veranstaltet einen Tag der offenen Tür im Tagesaufenthalt in der Bärenstraße in der Mainmetropole.  

Zur Person

Jessica Magnus leitet das Kompetenzfeld Politik. Sozialpolitik. Caritasprofil. Engagement im Caritasverband für die Diözese Limburg und ist zudem als Referentin für die Wohnungsnotfallhilfe für das Thema Wohnungslosigkeit zuständig. 

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