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FRANKFURT, 10.07.2024

Eine Praxis für die Ärmsten

Obdachlose, Wohnungslose, Unversicherte: In der Caritas Elisabeth Straßenambulanz in der Innenstadt von Frankfurt werden Patientinnen und Patienten medizinisch versorgt, die in anderen Arztpraxen wenig willkommen sind. Die Arbeit, die hier geleistet wird, beeindruckt auch die Vertreterinnen der gut 350 FSJler und Bundesfreiwilligendienstler im Bistum Limburg.

Nachdenklich betrachtet Johanna den bis an die Decke gefliesten Raum, die große Pflegewanne aus weißem Kunststoff, die offene Dusche mit Hocker. „Die Arbeit, die hier geleistet wird, ist beeindruckend“, sagt die 20-Jährige schließlich. Gemeinsam mit vier weiteren jungen Frauen aus dem Freiwilligendienst des Bistums Limburg besucht Johanna die Elisabeth Straßenambulanz, zusammen hat die Gruppe eine Spendenaktion für obdachlose Menschen gestartet und 300 Euro gesammelt, die sie nun persönlich übergeben. Dabei bekommt die Gruppe, die von Sebastian Frei, Leiter der Fachstelle Freiwilligendienste im Bistum Limburg, und Referentin Mareike Zimmer-Muth begleitet wird, eine Führung durch die Räumlichkeiten der Straßenambulanz.

Die von dem Caritasverband Frankfurt getragene und deshalb katholische Einrichtung versorgt in der Innenstadt von Frankfurt seit mehr als 30 Jahren obdachlose und wohnungslose Menschen, vorwiegend ohne Krankenversicherung. 1200 Patientinnen und Patienten kommen jedes Jahr, die meisten einmalig, andere täglich, um regelmäßig benötigte Medikamente einzunehmen. Wochenrationen oder noch größere Packungen werden nur selten mitgegeben, zu viel wird auf der Straße geklaut – oder verkauft.

In der Praxis und auf der „Platte“

Die Patientinnen und Patienten werden in der kassenärztlich zugelassenen Praxis, in der neben ehrenamtlichen auch festangestellte Ärzt:innen arbeiten, allgemeinmedizinisch versorgt, außerdem gibt es Pflegekräfte, Zahnärzte, Physiotherapie, ein psychotherapeutisches Gesprächsangebot, auch psychiatrische Hilfe mit Medikamenten. Dazu kommt ein Ambulanzbus, mit dem zwei Mitarbeiter:innen in die Obdachloseneinrichtungen oder auf der „Platte“ unterwegs sind und mobil behandeln. „Platte“, das ist ein gewohnheitsmäßiger Schlafplatz. Die jungen Besucherinnen lernen viel an diesem Nachmittag in Frankfurt.

Auch das: Es kostet einiges, den Betrieb der Elisabeth Straßenambulanz aufrecht zu erhalten und die zwölf Festangestellten zu bezahlen. Die Stadt Frankfurt trägt gut Zweidrittel der Kosten. „Auch, weil die Stadt selbst ein Interesse daran hat, dass die Menschen versorgt werden und zum Beispiel Läuse nicht in der U-Bahn verbreiten“, sagt Sr. Carmen Speck, Missionsärztliche Schwester, Physiotherapeutin und Öffentlichkeitsarbeiterin in der Elisabeth Straßenambulanz, die die Gruppe herumführt. Das andere Drittel der Kosten muss über Spenden und Zuwendungen abgedeckt werden (Spendenkonto DE63550205003813022001). Neben Geld werden auch Sachspenden gebraucht, vor allem saisongerechte Kleidung, Unterwäsche und Socken, Gürtel, große Schuhe, Decken und Schlafsäcke. Gut 80 Prozent der hier Hilfesuchen sind Männer, daher werden vor allem Männersachen benötigt. „Reichen tut es ehrlicherweise nie, der Bedarf endet nicht“, sagt Carmen Speck ehrlich.

Fußpilz und faulende Zähne

Die Elisabeth Straßenambulanz ist die größte ihrer Art in Deutschland. Insgesamt fünf Ambulanzeinrichtungen von verschiedenen Trägern gibt es allein in Frankfurt für Menschen ohne Krankenversicherung, aber auch obdach- oder wohnungslose Versicherte, die sich zum Beispiel die Zuzahlung zu Medikamenten nicht leisten können oder denen ihre Krankenkassenkarte geklaut wurde. Dieser Komplettverlust der Dokumente heißt im Straßenslang „Zapzarap“ und steht für „alles weg, alles geklaut“, erzählt Carmen Speck: „Das ist ein Wort, das man in der Obdachlosenhilfe schnell lernen muss.“ Einfach, weil es oft vorkommt. Genauso wie Verletzungen an den Füßen, vor allem außer Kontrolle geratener Fußpilz, der bis zur Blutvergiftung führen kann, und faulende Zähne.

Von Montag bis Freitag ist die Praxis in der Klingerstraße täglich vormittags von neun bis zwölf geöffnet. Wer ein Anliegen hat, klingelt. Aber nicht alle betreten anschließend auch die Räume, denn nicht alle Wünsche und Bedürfnisse sind medizinischer Natur. „Oft vermitteln wir auch weiter“, sagt Carmen Speck. An Tageseinrichtungen, Kleiderkammern, andere Hilfseinrichtungen und Anlaufstellen – das Netzwerk in Frankfurt ist gut vernetzt. „Je professioneller wir arbeiten, desto mehr profitieren die Patientinnen und Patienten“, sagt Carmen Speck.

Alkohol ist verboten

Sie zeigt der Besuchergruppe den Warte- und Empfangsbereich, die Behandlungsräume, die Zahnpraxis, den Physiotherapieraum, die Hygieneeinrichtungen, die Kleiderkammer und die große Behindertentoilette, in der die Besucherinnen und Besucher „schon mal das Läusemittel auf dem Kopf einwirken lassen können, wenn viel Andrang ist“. An den Wänden hängen intensive schwarz-weiß-Aufnahmen von ehemaligen Patientinnen und Patienten, die einst bei einer Ausstellung gezeigt wurden – „aber die hängen wir erst auf, wenn wir erfahren, dass die Menschen verstorben sind, das ist sonst komisch“. Dazwischen finden sich immer wieder Verbotsschilder, auf denen durchgestrichene Alkoholflaschen abgebildet sind. Sucht ist ein Thema auf der Straße, natürlich, und in den Praxisräumen ist Trinken verboten – doch wer illegale Drogen konsumiert, wird in der Straßenambulanz nicht behandelt, dafür gibt es eigene Einrichtungen im Bahnhofsviertel.

Wenn viele fünf Euro geben

Ordensschwester Carmen Speck, gekleidet in Jeans, Hoodie und Birkenstocks, die gerne das Du anbietet und die sich nach acht Jahren Straßenambulanz in der „Szene“ auskennt, freut sich über die 300 Euro, die die Besucherinnen mitbringen. Zoe, Esther, Johanna, Emilia und Antonia sind die gewählten Sprecherinnen ihrer Bildungsgruppen und vertreten die gut 350 Menschen, die derzeit ein Freiwilliges Soziales Jahr oder einen Bundesfreiwilligendienst im Bistum machen. Jeder Jahrgang von Freiwilligenvertretern sucht sich ein oder mehrere Projekte aus – und in diesem Jahr gehört die Spendensammlung für die Frankfurter Obdachlosenhilfe dazu. Über Crowdfunding haben die Freiwilligenvertreterinnen Geld gesammelt, ein mühsames Unterfangen bei Mitstreiter:innen, die alle freiwillig arbeiten und deshalb naturgemäß nicht viel abzugeben haben. „Aber viele haben einfach ein paar Euro gegeben und da kommt dann auch einiges zusammen“, freut sich Antonia (17), die gerade im FSJ in einer Caritas-Kita in Hofheim ist. Die ursprüngliche Idee der Gruppe lautete, Care-Pakete für Obdachlose zu packen, doch nachdem die Freiwilligenvertreterinnen bei der Elisabeth Straßenambulanz anfragten, erfuhren sie, dass dringend Geldspenden für Materialien und Medikamente gebraucht werden – und entschieden sich, das Geld lieber so und in einer hübschen Karte zu überreichen.

Nach dem Besuch in der Straßenambulanz sind die Freiwilligen-Vertreterinnen beeindruckt. „Ich habe vorher nicht darüber nachgedacht, wie viele Kleinigkeiten da dran hängen und wie viele Probleme hier jeden Tag zu bewältigen sind“, sagt die 17-jährige Zoe. Spätestens jetzt ist klar: Die Probleme, die an der Obdachlosenversorgung hängen, sind so unterschiedlich wie die Menschen selbst – und mindestens ebenso zahlreich.

Weitere Informationen über die Elisabeth Straßenambulanz gibt es hier. Wer sich für ein Freiwilliges Soziales Jahr oder einen Bundesfreiwilligendienst im Bistum Limburg interessiert, findet bei der Fachstelle Freiwilligendienste Wissenswertes unter https://soziale-dienste.net.

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