FRANKFURT, 25.04.2024
Nicht mit allen per Du
Pia Arnold-Rammé hat keine Angst davor, sich zu streiten. „Ich war immer vorneweg mit lautem Mundwerk“, sagt die heute 66-Jährige über sich selbst. Die eigene Meinung vertreten, Missstände und Ungerechtigkeit klar benennen, sich auch mal mit Ranghöheren anlegen, ohne größere Ängste, : Wer Pia Arnold-Rammé kennt, weiß, dass sie gerade in Konfliktsituationen besondere Stärke entwickelt – und vielleicht, heimlich, sogar eine gewisse Freude dabei empfindet.
Nun geht die streitbarste Frau der Stadtkirche, Vorreiterin der Sozialpastoral und erste Leiterin der katholischen Region Frankfurt, in den Ruhestand. „Ich reibe mich gern, das ist kein Geheimnis, aber dafür werde ich mir künftig ein anderes Feld suchen müssen“, kündigt sie an. Drei Kinder, vier Enkelkinder, ein fünftes unterwegs, und natürlich langjährige Freundschaften – potenzielle Gegenüber gibt es genug. Viele Wegbegleiterinnen und Wegbegleiter sind ihr bis heute eng verbunden, sie ist hervorragend vernetzt und vielseitig interessiert. Andere, die ihr nicht ganz so herzensnah waren, ließ sie ganz bewusst auf Distanz: „Ich war nicht mit allen per Du.“
„Ich wollte nie Pfarrerin werden“
Die Fähigkeit, stark für die Sache aufzutreten und sich wenig zu Herzen zu nehmen, kam ihr vor allem in den vergangenen eineinhalb Jahren zugute. Denn im Dezember 2022 wurde Arnold-Rammé gemeinsam mit dem nun ebenfalls scheidenden Stadtdekan Johannes zu Eltz zur vorläufigen Vertretung der im Entstehen begriffenen katholischen Region Frankfurt gewählt. Für sie auch ein persönlicher Meilenstein, wie sie offen zugibt: „Ich wollte nie Pfarrerin werden, wohl aber Stadtdekanin“, sagt Arnold-Rammé mit einem Augenzwinkern, wohl wissend, dass der Titel „Stadtdekanin“ für die Katholiken nicht existieren kann. Das hinderte aber andere nicht daran, sie scherzhaft so zu bezeichnen; immerhin ist sie das, was einer „Stadtdekanin“ bisher am nächsten kam.
Zwischen Zärtlichkeit und Wut tut das Leben richtig gut.
17 Monate vor der Rente nochmal etwas Neues anfangen, und nicht nur das: Chefin der Stadtkirche zu werden, davor hatte sie Respekt, aber keine Scheu. Im Gegenteil: „Das hat sich gut angefühlt“, sagt sie offen. Denn nach Jahrzehnten der Frauen in der katholischen Kirche automatisch zufallenden Arbeit in der zweiten Reihe, war Arnold-Rammé selbst in einer Position, in der sie mitgestalten konnte. „Wenn man nur Männer in der ersten Reihe sieht, kann man schon Zorn kriegen.“
Sich nicht kleinmachen lassen
Dieses Sich-Nicht-Kleinmachen-Lassen ist ein Motiv, das die gebürtige Frankfurterin ihr langes Leben hindurch geleitet hat. 1958 geboren, verbrachte sie die ersten vier Jahre ihres Lebens im Gallus, wo die Familie mit den Großeltern in einem Haus wohnte, eine glückliche Zeit. Nach dem Umzug nach Griesheim besuchte sie dort die Grundschule und machte ihr Abitur am BiKuZ, heute als Friedrich-Dessauer-Gymnasium bekannt. Ihr Elternhaus war katholisch geprägt und ihre Sozialisation in der katholischen Kirche sei ein positives Erlebnis gewesen, mit zugewandten Menschen, starken weiblichen Vorbildern wie Gruppenleiterinnen und Seelsorgehelferinnen, viel Zusammenhalt, voller Aufbruchsgeist, wie sie selbst erzählt. Sie und andere Mädchen wollten Messdienerinnen werden, der Pfarrer schrieb sogar nach Rom, aber nichts zu machen – weibliche Messdiener, wer hatte so etwas jemals gehört?
Trotzdem blieb die junge Katholikin motiviert, engagierte sich in der Jugendarbeit, in der Diözesanleitung der Katholischen Jungen Gemeinde (KJG), im Jugendring, war Vorsitzende des Stadtjugendrats und in Zusammenarbeit mit dem Jugendpfarrer. „Das war meine Welt, dazu hatte ich ein ungebrochenes Verhältnis“, sagt sie rückblickend. Nach dem Abi ging sie ohne Umwege an die Philosophisch-Theologische Hochschule Sankt Georgen um Theologie zu studieren.
Weibliche Studierende stürmen Sankt Georgen
Es waren andere Zeiten, Zeiten des Aufbruchs: „Ich habe 1977 angefangen, und zwar mit einem ersten großen Schwung ,Externer‘“ – darunter viele Frauen, erinnert sie sich. Denn dass der Studiengang Theologie auf Diplom auch Frauen offenstand und Männern, die keine Priester-Laufbahn anstrebten, war etwas Neues, entsprechend groß mit 60 Neulingen ihr Studienjahrgang. „Vorher gab es fast nur Priesteramtskandidaten und uralte Jesuiten in Sankt Georgen, nun liefen plötzlich Studentinnen über die Flure“, erzählt Pia Arnold-Rammé. Noch immer schmunzelt sie bei dem Gedanken, dass so mancher Priesteramtskandidat seine Karrierepläne anschließend doch nochmal einer Gewissensprüfung unterzogen hätte. Doch das Neue, Aufregende hatte auch Schattenseiten: „Es gab damals keine Damentoilette in Sankt Georgen, dafür mussten wir Studentinnen uns erst einsetzen.“
Nach dem Diplom 1983 ging sie in die Gemeinde St. Ignatius ins Westend, wo sie insgesamt vier Jahre als Pastoralreferentin blieb. „Damals gab es diese Ausbildung noch nicht wie heute, wir hatten volle Planstellen, die Pfarrer waren unsere Mentoren und wir hatten zusätzlich Ausbildungswochen in Limburg“, erklärt sie. Nach der Geburt ihrer ersten Tochter wechselte sie 1987 nach Seckbach in die Gemeinde Maria Rosenkranz. Und erlebte dort zunächst so etwas wie einen Kulturschock: „Es war da völlig anders, eine ganz klassische Gemeinde“, erinnert sie sich. Dazu kam, dass der dortige Pfarrer kurz nach ihrem Start lange krankheitsbedingt ausfiel und sie das erste halbe Jahr praktisch alleine klarkommen musste. Eine schwierige Zeit, und auch danach blieb es schwierig. Die Suche nach einem freien Arbeitsfeld, das sie selbst gestalten konnte, brachte sie zur Sozialpastoral. Im Stadtteil gab es dazu viele Möglichkeiten: „ einen sozialen Brennpunkt, zwei Altersheime und viele andere Andockstellen.
Sie bekommt ihre Traumstelle
1996 kam Bischof Franz Kamphaus zur Visitation nach Frankfurt. „Er zeigte sich beeindruckt von der Pfarrei und der Arbeit der Pastoralreferentin. Und als ein halbes Jahr später die Stelle der Referentin Grundseelsorge zu besetzen war, die dann übergeleitet wurde in die Bezirksreferentinnen-Position, wollte der Bischof sie dafür. Für Pia Arnold-Rammé eine wunderbare Gelegenheit: „Die Stelle fand ich schon immer super, das war meine Traumstelle“, erinnert sie sich.
Doch der Start in der damals noch im Haus der Volksarbeit ansässigen Stadtkirche war trotzdem holprig. „Ich saß da zwei Wochen und habe wirklich geheult, ich kam mir so einsam vor, es war ganz anders als in der Pfarrei, in der dauernd Menschen kamen und gingen“, sagt sie. Geholfen habe ihr auch ihr damaliger Chef Werner Portugall, heute Pfarrer von St. Jakobus, damals Jugendpfarrer und Bezirksvikar. „Mit ihm kam ich super aus, ich fand ihn klasse, denn er war kreativ und hatte originelle Ideen.“ Andere Akteure, mit denen sie ins Arbeiten kam, waren Hermann Josef Menne zuständig für die Sozialverbände, und Hans-Dieter Adam, damals Leiter des Synodalamtes, mit Sebastian Lindner, Pastoralassistent in der Gemeinde Allerheiligste Dreifaltigkeit, startete sie Kurse zur Ehevorbereitung. Ein Highlight war 2004 die nächste Visitation mit Bischof Kamphaus, da fuhr Pia Arnold-Rammé „oft mit ihm im Auto durch Frankfurt“: „Es war eine gute Erfahrung mit ihm., Er hat einem auch nie das Gefühl gegeben , als Frau minderwertig zu sein. Er hat sich immer bemüht, Frauen auch in der Liturgie in den Mittelpunkt zu bringen.“
Sozialpastoral und interkulturelle Pastoral waren auch in der Stadtkirche ihre Hauptschwerpunkte, außerdem setzte sie sich für die Gründung von Zentren wie den heute noch bestehenden Meditationszentrum und Trauerzentrum ein. Gemeinsam mit Rudolf Fleckenstein von der Caritas bildete sie Ehrenamtliche in Sozialpastoral weiter, insgesamt konnten auf diese Weise 30 Personen qualifiziert werden.
2008 wurde Franz-Peter Tebartz-van Elst Bischof von Limburg, und über diese Zeit könnte Arnold-Rammé ein ganzes Buch schreiben, wie sie selbst sagt. 2013 entschied sie, auch in diesem Zusammenhang, dass es Zeit für eine berufliche Veränderung war. Sie wechselte als Gefängnisseelsorgerin ins Frauengefängnis der JVA Preungesheim – „in den Knast“, wie sie es formuliert. Fünf Jahre blieb sie dort und empfand ihre Tätigkeit als „sehr diakonisches Arbeiten“. 2018 schließlich kehrte sie zurück zur Stadtkirche, die mittlerweile ins Haus am Dom umgezogen war; als Referentin für Sozialpastoral.
„Da hat sich für mich ein Kreis geschlossen“, resümiert sie. Wohnen, Armut, allgemeine Sozialberatung, die Zusammenarbeit mit Pfarreien und Caritas – all das liegt ihr, die Themen sind Herzensangelegenheiten und immer wieder auch Inhalt ihrer „Zusprüche“, die sie regelmäßig für den Hessischen Rundfunk einspricht. Als 2022 eine vorübergehende Regionenvertretung gesucht wurde, die die Leitung der Stadtkirche übernahm, ergriff sie die Chance und wurde, gemeinsam mit Stadtdekan Johannes zu Eltz, gewählt. „Das war nochmal sehr spannend, ich habe viele neue Themen kennengelernt, vor allem auch durchs Bistumsteam“, zieht sie Bilanz. Kirchenrecht, Finanzen – Arnold-Rammé arbeitete sich ein und wuchs an ihren Aufgaben. Das Bistumsteam, in dem sie die Stadtkirche Frankfurt repräsentierte, besteht aus Vertreter:innen der fünf Regionen des Bistums und berät Bischof Georg Bätzing in wichtigen Angelegenheiten.
Was ihre persönliche Entwicklung betrifft, findet Pia Arnold-Rammé, dass sie mit den Jahren milder und ruhiger geworden ist. Und zu einer grandiosen Einsicht gekommen sei, die sich am besten mit einer Songzeile von Konstantin Wecker beschreiben lässt: „Zwischen Zärtlichkeit und Wut tut das Leben richtig gut.“
Stichwort Sozialpastoral
Sozialpastoral ist einer der Schwerpunkte der katholischen Stadtkirche in Frankfurt. Konkret geht es um die Stärkung und Verbesserung der Zusammenarbeit zwischen Caritasverband und Pfarreien, aber auch die Vernetzung vor Ort von unterschiedlichen Akteuren der sozialen Arbeit. Wichtig ist außerdem die Zusammenarbeit mit den anderen katholischen Sozialverbänden in der Stadt, wie dem Haus der Volksarbeit oder dem Sozialdienst katholischer Frauen. Darüber hinaus werden die Pfarreien in der Wahrnehmung ihres diakonischen Auftrags unterstützt. Auch die Gewinnung, Qualifizierung und Unterstützung von Ehrenamtlichen in der sozialen Arbeit ist ein wichtiges Anliegen, das gemeinsam mit den Pfarreien und dem Caritasverband vorangetrieben wird. Weitere Informationen gibt es hier.