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Dernbach/Montabaur/Limburg, 21.02.2024

Frieden schaffen – ohne Waffen!?

Wir müssen wieder mehr über Frieden und Friedenspolitik sprechen. In diesem Punkt war sich das Podium, besetzt mit der Europapolitikerin Dr. Irene Lorisika, mit dem Autor Dr. Johannes Ludwig und dem Weltpolitik-Experten und Journalisten Andreas Zumach, einig.

Auf Einladung der katholischen Erwachsenenbildung Westerwald – Rhein-Lahn (KEB) wurde am 19. Februar 2024 im Resonanzraum des Klosters Dernbach genau dies getan: über Friedenspolitik geredet und diskutiert. Mehr als 40 Menschen sind zu der Veranstaltung mit dem Titel „Abschied vom Pazifismus? Wie sich die Friedensbewegung neu erfinden kann“ gekommen. Lorisikas eindringlicher, ja emotionaler Appell, mehr über Frieden zu sprechen, machte deutlich, wie existentiell dieses Thema ist – und wie hochaktuell; sie zitierte Alexej Nawalny mit seiner letzten Botschaft, seinem Vermächtnis, dass die Guten nicht untätig sein dürfen.

Diskussionsgrundlage des Abends war Johannes Ludwigs aktuelles Buch „Abschied von Pazifismus?“. Johannes Ludwig ist beim Bistum Limburg Referent für globale Vernetzung und Solidarität und setzt sich intensiv mit Fragen von internationaler Sicherheit- Wirtschafts- und Friedenspolitik auseinander. In seinem Buch erörtert er, warum die Stimme der Friedenbewegung zu verstummen droht, warum sich die Friedensbewegung klar positionieren und abgrenzen muss und wie ein wirkungsvoller Friedensaktivismus heute aussehen kann. Moderator des Podiums war Dr. Georg Poell von der KEB Westerwald – Rhein-Lahn.

Ludwig konstatiert, dass sich die Friedenbewegung keinen Gefallen tue, wenn sie sich nicht klar abgrenze. Denn es gebe „schrille Stimmen“, die in populistische, verschwörungstheoretische oder gar antisemitische Diskurse abdriften. Außerdem bräuchten friedenspolitische Forderungen klare Adressatinnen und Adressaten und realistische Umsetzungsstrategien. Ludwig wirbt dabei für eine Politik der "kleinen", aber effektiven Schritte. Gerade um junge Menschen für die Friedenbewegung zu begeistern, bräuchte es neue Methoden. Und vielleicht müsse insgesamt, nicht nur bei den Jungen, noch mehr der „Friedenswille“ geweckt werden. Eine Vertreterin der Generation Z, Keana Müller, die diesen Friedenswillen eindrücklich mit ihrem Engagement für die „Seebrücke“ zeigt und eigentlich mit auf dem Podium sitzen sollte, musste leider krankheitsbedingt ihre Teilnahme absagen.

Christliche Perspektive ist die der Leidtragenden

In Ludwigs Buch kommt auch eine christliche Perspektive ins Spiel, wenn er seine Argumentation auf dem Primat der Perspektive der Leidtragenden aufbaut. Die christliche Perspektive ergänzte Andreas Zumach in der Darstellung der zivilen Akteure der Friedensbewegung der 1980er Jahre; hier seien viele christliche Gruppen wie auch die bekannte Bewegung „Aktion Sühnezeichen Friedensdienste“ sehr aktiv gewesen. Zumach war einer der führenden Köpfe der Bewegung. Auch verweist er in diesem Kontext auf den Katholikentag 1982 und das Engagement von pax christi. 

Bei einer These Ludwigs erhob Zumach Einspruch. Dass der Slogan „Frieden schaffen ohne Waffen“ heute nicht mehr als Slogan tauge, da er wenig differenziert sei, damit konnte sich Zumach nicht anfreunden und verwies auf dessen umfassende Bedeutung. „Der Slogan hat immer sehr viel mehr bedeutet als auf Notwehr zu verzichten. Er bedeutet, dass wir zivil auf Konflikte reagieren, dass wir alle zivilen Mittel ausschöpfen “ so Zumach. So sei der große Verdienst des Slogans, entstanden zu einer Zeit, in dem Sicherheitspolitik rein militärisch gedacht wurde, dass er eine breite Diskussion über Alternativen angestoßen habe. Damit Konflikte nicht eskalierten, müsse man zuerst alle politischen, diplomatischen und wirtschaftlichen Möglichkeiten nutzen und auf Versöhnung hinarbeiten. Unbestritten dabei die Tatsache, dass es ein legitimes Recht zur Selbstverteidigung gebe, so Zumach. Denn ein „radikaler Pazifismus“ könne auch nicht die Antwort sein. Als Beispiel nannte Zumach den Völkermord in Ruanda 1994. Bei solchen Verbrechen könne die Weltöffentlichkeit nicht zuschauen. Hier müsse es Waffenlieferungen und die Entsendung von UNO-Truppen geben. 

Kriege am Verhandlungstisch beenden

Am Beispiel Russlands erörterte Zumach, dass es hier eine Rückkehr zum Verhandlungstisch geben müsse. Auch wenn dieser Angriffskrieg scharf zu verurteilen ist, müsse man wieder mit Putin sprechen. Und das am besten vor den anstehenden US-Wahlen im November, damit Trump, der Wählerstimmen damit gewinnt, die Unterstützung für die Ukraine einzustellen, nicht davon profitiere. Mit Trump wäre ein radikaler Schwenk der US-Außenpolitik möglich, das würde dann die Botschaft in die Welt senden: Es lohne sich, Kriege zu führen. Schon Ende 2022 hätten führende westliche Militärs vorhergesagt, dass diesen Krieg keiner gewinnen könne und dass er nur am Verhandlungstisch beendet werden könne. Eine Dämonisierung der Angreifer habe, so Zumach, der das Politikgeschehen als UNO-Korrespondent 35 Jahre beobachtet hat, noch nie geholfen. Sonst hätte man Kriege wie beispielsweise den Vietnamkrieg nie beenden können. 

Lorisika bemerkt in den Diskussionen um den Ukrainekrieg mit Sorge eine „neue Normalität“: „Meine Nachbarn wissen nun sehr genau über verschiedene Waffensysteme Bescheid“. Das wäre noch vor drei Jahren unvorstellbar gewesen. Ludwig pflichtet ihr bei. Auch er sieht darin eine Verschiebung des Diskurses. Man rede nicht mehr über das „ob“, wenn es anstatt um Waffen um Waffenarten gehe. Dabei gingen Alternativen im Diskurs verloren. Und es müsse doch weiter, so der Tenor, um Friedensoptionen gehen.

Über Frieden reden

Bei diesem sehr dichten Abend gab es noch viele weitere Aspekte: Atompazifismus, Eurozentrismus und Doppelmoral, unnötige Aufkündigungen von Abkommen, Diffamierung der Friedensbewegung oder die Utopie eines radikalen Gewaltverzichts. Auch der durch die Zeiten sich ändernde Friedensbegriff wurde von Ludwig erörtert – von der pax romana bis heute. 

Das alles unterstrich das Fazit des Abends, das da hieß: weiter im Gespräch bleiben – weiter über Frieden sprechen. „Wir haben“, so Lorisika, „in den vergangenen zehn bis 15 Jahren zu wenig darüber gesprochen. Erst durch eine breite öffentliche Debatte können Bewegungen entstehen wie aktuell die Demokratiebewegung. Das macht Hoffnung“. Georg Poell lud dann folgerichtig zur Demokratie-Kundgebung am 2. März um 14 Uhr nach Montabaur ein, um ein Zeichen für Demokratie, Vielfalt und Gerechtigkeit zu setzen. Ein breites Bündnis aus vielen Akteuren, darunter die KEB Westerwald – Rhein-Lahn, hat dazu aufgerufen. Auch verwies Poell auf den von Irene Lorisika geschaffenen Begegnungsraum, das b-05-Cafe in Montabaur, das ab April wieder für Austausch, Vernetzung und Diskussionen geöffnet ist. Und er versprach eine Fortsetzung des Abends: „Wir werden weiter im Gespräch bleiben. Auch dass heute so viele Menschen so lange konzentriert zugehört, mitgedacht und mitdebattiert haben, zeigt die Relevanz des Themas. Johannes Ludwig hat mit seinem Buch einen Anstoß gegeben – wir werden sicher mit weiteren Veranstaltungen hier anknüpfen.“

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