LIMBURG, 02.06.2023
„Wir gehören auf das Spielfeld der Gesellschaft“
Die Kirche muss aufhören, sich um sich selbst zu drehen und gehört auf das Spielfeld der Gesellschaft. Davon ist Juliane Schlaud-Wolf überzeugt. Vier Jahre lang leitete die Theologin und systemische Beraterin das Ressort Kirchenentwicklung im Bistum Limburg und war Teil der Bistumsleitung. Bis Juni 2022 tat sie dies in der Doppelspitze mit dem verstorbenen Bischofsvikar Dr. Christof May. Zum 1. Juni 2023 wurde das Ressort nach gut fünf Jahren mit Blick auf das Bistumsstatut und damit verbundenen strukturellen Veränderungen im Bischöflichen Ordinariat aufgelöst. Kirchenentwicklung bleibt aber auch künftig der Basisprozess im Bistum Limburg, dessen Haltungen und Zielen alle anderen Prozesse und Projekte in der Diözese dienen.
„Es war eine intensive Zeit mit vielen Herausforderungen, mit Höhen und Tiefen, auf die ich insgesamt sehr dankbar zurückschaue“, resümiert Schlaud-Wolf, die künftig das Amt für Katholische Religionspädagogik in Frankfurt leiten wird. Es seien Jahre voller innovativer Projekte und Aktionen gewesen. Gerne erinnert sie an das Projekt @faithpwr, an dynamische Stellen, an Kamingespräche, Exkursionen und Erkundungsfahrten in aller Welt, an die Wohnraumoffensive, an Coachingangebote und an öffentlichkeitswirksame Aktionen wie Weihnachten auf der Raststätte oder das Bäumepflanzen im Westerwald. Von großer Bedeutung seien auch die Changekurse gewesen, bei dem Mitarbeitende im Ordinariat und in den Pfarreien miteinander Kulturveränderung und Zusammenarbeit im Team praktisch erprobt und reflektiert haben.
Kirche hat etwas zu bieten
„Wir haben das ‚mehr als du siehst‘ erlebt. Vieles, was entscheidend ist, kann man nämlich nicht sehen. Wir haben berührende Resonanzen erfahren dürfen. Wir haben erlebt, dass an vielen Orten Kirche stattfindet, obwohl gar nicht Kirche drauf steht“, so Schlaud-Wolf. All das habe ihr deutlich gemacht, dass Kirche an die Orte gehen muss, wo Menschen sind. Dies müsse in demütiger Haltung passieren. „Wir haben als Kirche etwas zu bieten, aber wir müssen offen und ehrlich anklopfen und fragen, ob wir dabei sein können und mitmachen dürfen.“ Das Ressort Kirchenentwicklung habe die Aufgabe gehabt, experimentell, innovativ und außerhalb des Zentrums zu sein. Dazu habe genau dies gehört. Das Team habe kirchliche ‚Blasen‘ und eigene Komfortzonen verlassen und sich hinaus in die Welt gewagt. So seien Kontakte zu Künstlern, zu Netzwerken in der Gesellschaft, zu Führungsnetzwerken, zu Unternehmen und Personen geknüpft worden. „Wir haben erlebt, dass eine Kirche, die sich zu den Menschen aufmacht und sich auf die Fragen der Zeit einlässt, anspricht“, sagt die Theologin.
Großartig sei auch das Leitungsmodell der Doppelspitze gewesen. „Christof May und ich haben es erprobt und erlebt, wie bereichernd ein komplementäres Miteinander sein kann. Das Leitungsmodell fördert den Austausch, steigert die Qualität und Kreativität, schafft Transparenz und stärkt Positionen“, berichtet Schlaud-Wolf. Beschenkt worden sei das Ressort auch mit vielen wunderbaren Begegnungen und Kooperationen mit „vielen engagierten Leuten im Bistum und außerhalb, die tolle Ideen haben und sehr zeitgemäß Kirchesein leben wollen.“ Diese Menschen seien ein wirklicher Schatz, mit dem das Bistum wuchern könne.
Innovation gelingt nicht nebenbei
Bei allen Aufbrüchen, Erfolgen und Kulturveränderungen, die es bereits gebe, habe das Ressort auch Herausforderungen kennengelernt. „Die Verantwortlichen im Bistum nehmen Innovation als Kür sehr gerne an und befördern sie. Wir haben aber auch erlebt, dass Innovation schwer ist, wenn sie ins Mark der Institution geht, wenn es also um gewohnte Abläufe, Denkweisen und Strukturveränderungen geht“, so Schlaud-Wolf. Innovation, das Neue, müsse sich immer in besonderer Weise rechtfertigen, während das Gewohnte unhinterfragt bestehen bleibe und erhalten werde. Der neuen Bistumsleitung wünscht Schlaud-Wolf, dass sie ein gemeinsames Verständnis von Innovation entwickelt. „Innovation hat in meinem Verständnis etwas Disruptives. Es muss um eine wirkliche Unterschiedsmarkierung gehen, in der man auch Dinge lässt, die noch erfolgreich sind, dies auf Zukunft hin aber nicht mehr sein werden“, sagte die Kirchenentwicklerin. Bei Innovation gehe es nicht um eine langsame Verbesserung des Bestehenden. Innovation, so Schlaud-Wolf, gehe nur im Netzwerk und brauche eine große Inspiration von außen sowie eine hohe Professionalität. Sie gelinge nicht nebenbei, sondern gehöre in die DNA einer Organisation. „Eine der größten Innovationen ist eigentlich die Exnovation. Und die Energie einer Kirche zeigt sich an ihren Schnittstellen in die Gesellschaft“, erklärt Schlaud-Wolf. Innovation lebe aus einem Handeln, das freigebend ist, in Räumen, in denen sich Dinge entwickeln können. In der Kirche gebe es angesichts von Missbrauch und massiven Fehlverhaltens die Notwendigkeit, ihr Handeln zu kontrollieren und rechtssicher zu machen. Um Kirche zukunftsfähig zu machen, müssten die beiden Logiken Innovation und Compliance bedient werden.
„Innovationen leben von unterschiedlichen Perspektiven und Konstellationen, deshalb ist auch hier Veränderung wichtig und notwendig, das gilt auch für den Ort in der neuen Organisation“, sagt Juliane Schlaud-Wolf. Das Transformationsprogramm und der Transformationsprozess seien eine Frucht der Kirchenentwicklung und durch die Leitlinien gerahmt. Sie bieten die Chance, die Haltungen der Kirchenentwicklung auf allen Ebenen des Bistums stark zu machen, damit Transformation gelinge. „Ich habe die Sorge, dass wir uns als Kirche zu viel mit uns selbst beschäftigen“, sagt Schlaud-Wolf. Innovation und Transformation entstünden selten durch lange Beratungswege und lange Sitzungsprotokolle, sondern eher zufällig, über Bande und müssten dann, wie der Kairos ergriffen werden. „Ich wünsche mir, dass wir den Großteil unserer Ressourcen und Energie auf das Spielfeld der Gesellschaft einsetzen und an einem solchen Ort, möchte ich wirksam sein“, so Schlaud-Wolf. Ihrer Auffassung nach ist Eile in der Kirchenentwicklung geboten. „Wir haben nicht mehr viel Zeit, unsere Rolle als Kirche zu klären. Wichtig ist, auf dem Platz zu bleiben, so würde man im Sport sagen“, stellt Schlaud-Wolf klar.
Das Team des Ressorts Kirchenentwicklung wird zum größten Teil andere Aufgaben im Bistum Limburg übernehmen. Einige Mitarbeitende wirken im Projekt Management Office im Trafo mit und werden künftig im Bereich Strategie und Entwicklung tätig sein. Andere werden in Projektstrukturen weiterarbeiten. Weitergehen wird das Projekt @faithpwr, als digitales Glaubensprojekt, und auch die dynamischen Stellen, die geschaffen wurden, um pastorale Innovationen zu befördern, werden fortgeführt und dem Bereich Personalförderung und Personalmanagement zugeordnet. Der Innovationsfonds wird zunächst in die Verantwortung des Teams der Villa Gründergeist übergehen.
Bischof Dr. Georg Bätzing nutzte die Sitzung des Bistumsteams am 30. Mai, um Juliane Schlaud-Wolf aus der Bistumsleitung zu verabschieden und ihr und dem Team für die Arbeit in den vergangenen fünf Jahren zu danken. „Sie haben mit viel Energie, mit Schaffenskraft, mit Strategie und Empathie wichtige Prozesse und Projekte im Bistum mitgestaltet und auf den Weg gebracht. Sie haben sich voll eingebracht, haben sich positioniert und etabliert. Dafür danke ich Ihnen von Herzen. Es ist sehr schade, dass Sie sich persönlich entschieden haben, aus der Bistumsleitung auszuscheiden und sich einer anderen, sehr wichtigen Aufgabe im Bistum zu stellen“, so Bätzing.
Hintergrund:
Bischof Dr. Georg Bätzing hat zum 1. Januar 2023 das Bistumsstatut in Kraft gesetzt. Darin sind die kurialen Leitungsstrukturen für die Regionen und für das Bischöfliche Ordinariat Limburg geregelt. Das Ressort Kirchenentwicklung ist im Statut nicht vorgesehen. Zum 1. Juni 2023 werden nun in einem weiteren Schritt alle Beschäftigten des Arbeitsgebers Bistum Limburg einem der neuen Bereiche zugeordnet. Damit endet die Zugehörigkeit zu einem Dezernat oder der Zentralstelle und es erfolgt eine Zuordnung zu einem Leistungs-/ Querschnitts- oder Stabsbereich.