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FRANKFURT, 05.05.2023

„Dabeizusein ist unser verdammtes Recht!“

Menschen mit und ohne Behinderung haben auf Einladung der Bistums-Stabsstelle Inklusion vor der Paulskirche in Frankfurt für Chancengleichheit demonstriert. Dabei waren Wut und Frustration deutlich spürbar.

Ihr ist anzuhören, wie sehr die Ungerechtigkeit sie aufwühlt: Lisa Berner ist am Freitagvormittag aus Darmstadt nach Frankfurt gekommen, um bei einer Demonstration vor der Paulskirche zu sprechen. Und das tut sie: Mit lauter Stimme, viel Gefühl und unendlicher Frustration macht sie den Umstehenden klar, worum es ihr geht: „Wir sind unterschiedlich, aber wir haben die Gemeinsamkeit, dass wir ausgegrenzt werden. Wir wollen mitten rein, das ist unser verdammtes Recht!“, ruft sie unter lautem Jubel und Klatschen ins Mikrofon.

Zur Demo eingeladen hat die Stabsstelle Inklusion des Bistums Limburg. Demonstriert wird am offiziellen Europäischer Protesttag zur Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen unter dem Titel "Chancengleichheit Leben". Entsprechend stehen auf selbstgemalten Plakaten in schwarzer, roter und bunter Schrift Sätze wie: „Ihr könnt mich nicht in Sonderwelten einsperren, aber ich bin auch nicht Eure Versuchsratte für Inklusion!“ und „Wenn das Leben dir Exklusion reicht, mach Inklusion draus – mit Rahmenbedingungen!“

„Es ist eine Schande!“

Rahmenbedingungen; ein Thema, um das es Lisa Berner und vielen anderen, die an diesem Tag vor der Paulskirche demonstrieren, geht. Denn eine Behinderung wird vor allem dann zum Problem, wenn man behindert wird, also nicht die Unterstützung bekommt, die benötigt wird, um gut zurechtzukommen und an Gesellschaft und Beruf teilhaben zu können. „Chancengleichheit ist nicht gegeben, wenn die Voraussetzungen nicht da sind und wenn ich zum Beispiel um eine Assistenzleistung kämpfen muss“, sagt Lisa Berner. Und fügt an: „Es ist eine Schande, dass es im Jahr 2023 noch solche Probleme gibt!“

Dem können die Teilnehmerinnen und Teilnehmer, teils mit, teils ohne Rollstuhl, nur zustimmen. Menschen erreichen mit ihren Anliegen, das möchten Bianca Schultheiß, Andreas Schneider und Magdalena Schmidt von der Stabsstelle Inklusion, die die Demo organisiert haben. „Inklusion ist nicht einfach nur Nice to have, sondern ein Menschenrecht“, stellt Bianca Schultheiß klar. „Dazu stehen wir hier: Um deutlich zu machen, was dafür nötig ist.“ Die Stabsstellenleiterin und ihr Team verteilen Flyer und bunte T-Shirts, führen Gespräche und hören zu – und machen auf ihre am selben Tag gestartete Petition „Chancengleichheit Leben“ aufmerksam (weitere Infos auf https://inklusion.bistumlimburg.de).

Gespräche gut genutzt

Andreas Schneider, bei der Stabsstelle in der Verwaltung tätig, erhofft sich von der Demo vor allem, mit vielen Menschen ins Gespräch zu kommen. „Und wenn wir nur eine Person mit unseren Themen erreichen können, hat es sich schon gelohnt“, meint er. Schneider war schon bei verschiedenen Demos der Stabsstelle in Limburg dabei und auch in Frankfurt beim Rollstuhlparcours vor dem Punctum in der Liebfrauenstraße. „Dabei sind immer viele Passanten stehengeblieben und haben neugierig nachgefragt“, berichtet er. „Das Gleiche hoffe ich nun auch für unseren Standort hier vor der Paulskirche, immerhin sind hier ja viele Leute unterwegs.“ Und wirklich kommen immer wieder Interessierte an den Stand heran und fragen nach, um was es geht.

Bianca Schultheiß, Andreas Schneider, Magdalena Schmidt und ihre Mitstreitenden freuen sich über jede Möglichkeit für ein Gespräch. Dann kommen auch Themen auf den Tisch, die bei der Frage von Gleichberechtigung vielleicht nicht immer auf der Hand liegen. Ein wichtiges Anliegen der Demonstrierenden ist zum Beispiel die berufliche Barrierefreiheit. Denn noch immer scheut sich so manches Unternehmen, Bewerberinnen und Bewerber mit Beeinträchtigung einzustellen. „Wir möchten ein Bewusstsein dafür schaffen, dass Menschen mit Behinderung im Berufsleben oft motivierte und pflichtbewusste Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind“, so Bianca Schultheiß. Dazu macht ihr Team bei der Demo auf eine Zusammenstellung von zehn guten Gründen, Menschen mit Behinderung zu beschäftigen, aufmerksam. „Die Barrieren in den Köpfen haben in den vergangenen Jahren eher zugenommen als abgenommen. Bauliche Barrierefreiheit wurde ignoriert oder gar ins Negative geändert. Den Arbeitsmarkt betreffend wurden Hintertüren geschaffen, so dass es sich kaum rechnet, einen Menschen mit Behinderung auf dem ,ersten‘ Arbeitsmarkt' anzustellen“, so Schultheiß. In den vergangenen Jahren habe sich gezeigt, dass die Ratifizierung der Behindertenrechtskonvention nicht in der Geschwindigkeit umgesetzt wird, wie von den Vereinten Nationen und den Unterzeichnenden gedacht.

Das Team weiß, dass es auch im Bistum Nachholbedarf gibt, was Barrierefreiheit und Teilhabe für alle betrifft. „Wir werden deshalb im Herbst eine Befragung aller Pfarreien und Einrichtungen starten, inwiefern ihre Gebäude barrierefrei sind, so dass es dazu endlich eine Übersicht geben wird“, erklärt Schultheiß.

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