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LIMBURG, 28.10.2022

Die katholische Kirche weltweit ist angefragt

Studierende aus Deutschland besuchen eine Sommerschule in Kenia zum Thema Synodalität. Für das Bistum war Clemens Hermann Wagner dabei. Im Interview spricht er von seinen Eindrücken.

Im August und September besuchten Studierende aus Frankfurt und darüber hinaus eine internationale Sommerschule in Kenia zum Thema Synodalität im weltkirchlichen Kontext. Für das Bistum reiste auch Clemens Hermann Wagner mit. Im Interview spricht er von seinen Eindrücken, wo er Gemeinsamkeiten aber auch Unterschiede im Verständnis von Synodalität in Deutschland und Kenia wahrgenommen hat.  

Herr Wagner, sie haben zusammen mit weiteren Studierenden aus Frankfurt im August und September Kenia besucht, das kirchliche Leben dort kennengelernt und an einer internationalen Sommerschule teilgenommen. Was hat sie an dem Besuch besonders beeindruckt?

Mit den Menschen dort, meiner Gastfamilie, deren Freundinnen und Freunden, den Studierenden und Lehrenden an der Hochschule für Philosophie und Theologie in Nairobi in solch guten und offen Gesprächen sein zu können, habe ich als ein großes Geschenk empfunden. Sehr bewegend war eine Szene, die sich in einer der Schulen in Elburgon, einer Kleinstadt etwa 200 Kilometer von Nairobi entfernt, ereignet hat: Gemeinsam mit Schülerinnen und Schülern einer 10. Klasse habe ich dort recht spontan Religionsunterricht gestaltet. Wir haben gemeinsam den schönen Text aus dem Lukas-Evangelium gelesen, in dem erzählt wird, wie die Jünger die ganze Nacht gefischt haben und nichts gefangen haben. Auf das Wort Jesu hin fahren sie erneut hinaus und die Netze sind übervoll (Lk 5, 1-11). In der englischen Übersetzung, mit der wir gearbeitet haben, heißt es hier: „Put out into the deep“ und so war dies der Anlass, in aller Offenheit über „tiefe Fragen“ ins Gespräch zu kommen. Es hat mich sehr bewegt zu sehen, wie sehr für die Schülerinnen und Schüler dieses Ringen um Tiefe untrennbar mit der Sehnsucht nach einem gelingenden und selbstbestimmten Leben verbunden ist. Dabei stand ihre konfessionell-katholische Bindung überhaupt nicht im Vordergrund. Im Gegenteil: Zwar ist die Autorität der katholischen Kirche in Kenia groß, den Schülerinnen und Schüler aber ging es darum, über menschliche Erfahrungen zu sprechen und es klang immer wieder an, wie sehr sie dabei von Haltungen der katholischen Kirche irritiert werden und diese für die Tiefe ihres Lebens nicht wirklich etwas auszutragen vermögen. 

Was irritiert hier die Jugendlichen?

Die Lebensrealität der Jugendlichen, mit den ich in Elburgon sprach, ist zutiefst von dem Wunsch geprägt, eigenverantwortlich das Leben zu gestalten. Dies betrifft etwa die Frage danach, wie sie ihr Verhältnis zu den Familien gestalten, aus denen sie stammen. Wie viel Verantwortung können sie für ihre Familien und deren Lebensunterhalt übernehmen? Was bedeutet dies für die von ihnen vielfach gewünschten Bildungswege, die außerhalb der Stadtgrenzen von Elburgon liegen? Und weiter ist es die gesamte Dimension der eigenen Planung von Familie, die für die Jugendlichen virulent ist. Dass die Fragen von Liebesbeziehungen, Sexualität und verantwortungsvoller Familienplanung dabei tabuisiert sind, weil dies nach Ansicht der Vertreter der katholischen Kirche in Kenia der richtige Umgang mit diesen Themen ist, verunsichert die Jugendlichen sehr. 
 

Wie unterscheidet sich christliches Leben in Kenia von dem in Deutschland?

Das christliche Leben in Kenia ist äußerst facettenreich. Von Bedeutung für das Verständnis des Christentums dort ist das große Anwachsen der freien und unabhängigen Kirchengemeinden. Pfingstkirchen und charismatische Gemeinschaften gewinnen immer mehr an Einfluss und so erfreulich diese Entwicklung zunächst einmal ist, so geht mit dieser Tendenz auch das Problem von Formen einer Religiosität einher, die mitunter zutiefst dogmatisch und radikal ist.

Die Sommerschule stand unter dem Thema „Synodality: An intercultural opportunity for the Catholic Church“ und stellte die Frage nach der Synodalität in der Kirche. Die erste Woche diente dazu, in Gastfamilien kirchliches Leben und Strukturen kennenzulernen, in der zweiten Woche folgte eine Reflektion und Austausch am Hekima University College mit kenianischen Studierenden. Wie haben Sie Synodalität im kirchlichen Leben aber auch in der Diskussion mit den Teilnehmenden der Sommerschule wahrgenommen?

Ich habe den Austausch über Fragen der Synodalität sowohl in der pastoralen Praxis wie auch den theologischen Diskussionen als äußerst interessiert und bereichernd erlebt. Die kirchliche Struktur in Kenia unterscheidet sich stark von der, wie wir sie hier in Deutschland kennen. Während die deutsche Kirche als Teil der Gesellschaft viele Vorteile genießt, ist die Kirche in Kenia stetig existenziell herausgefordert, um mit ihren Ressourcen die Pastoral zu gestalten. Synodalität, verstanden als Teilhabe an kirchlichen Prozessen, ereignet sich hier ungefragt, weil sonst das kirchliche Leben nicht bestehen könnte. Dabei habe ich immer wieder wahrgenommen, dass es vielen Gesprächspartnerinnen und -partnern ein Anliegen ist, zu betonen, dass von einer kirchlich-hierarchischen Struktur keine Erwartung oder Hoffnung ausgeht. Gelebte Synodalität heißt hier, Verantwortung in der Pastoral alltäglich und in allen Bereichen zu teilen.

Wie zeigt sich das konkret?

Ein besonderes Beispiel sind etwa die Small Christian Communities, kleine Hausgemeinschaften, zu denen Menschen als Nachbarn und Freunde zusammenkommen, um gemeinsam zu beten, Eucharistie zu feiern und das Leben zu teilen. Das Auslegen der biblischen Texte obliegt dabei nicht nur dem anwesenden Priester. Vielmehr sind alle Personen der kleinen Gemeinschaften eingeladen, das zu artikulieren, was sie von der biblischen Botschaft verstanden haben und in ihrem Leben realisieren wollen. Diese Glaubenspraxis der Synodalität wird dann immer auch zum Anlass, die Haltungen, Moralvorstellungen und Forderungen der katholischen Kirche kritisch zu diskutieren. Dieses Ringen um den Weg der Kirche und der Wunsch nach Teilhabe an Entscheidungsprozessen geschieht in der Kirche von Kenia nicht weniger kritisch als bei uns in Deutschland.

Inwieweit spielt hier die Tatsache, dass in Kenia in der Regel nur Priesteramtskandidaten oder Ordenschristen Theologie studieren können, eine Rolle für die Fragen?

Im Austausch mit den Priesteramtskandidaten, den Ordensschwestern und -brüdern, die in Kenia die Möglichkeit haben, Theologie zu studieren, habe ich eine sehr große Sensibilität für die Bedeutsamkeit von Synodalität wahrgenommen. Immer wieder sprachen wir über den „Kairos“ der katholischen Kirche, einer reif gewordenen Zeit für wahrnehmbare Veränderungen. Ich habe hier eine junge Generation von Theologiestudierenden kennengelernt, die nicht klerikale Entscheidungsträger werden wollen, sondern für die Menschen in ihrem Land Seelsorgerinnen und Seelsorger sein wollen, und sich sehr selbstverständlich für eine partizipativ gestaltete Kirche einsetzen.

Kritiker des Synodalen Weges der katholischen Kirche in Deutschland sprechen meist von einem „Deutschen Sonderweg“. Welchen Eindruck haben Sie bei der Sommerschule gewinnen können?

Das Narrativ von einem „deutschen Sonderweg“ habe ich nicht vor der Zeit in Kenia verstehen können – und ich kann es heute noch viel weniger teilen. Die katholische Kirche weltweit ist zutiefst angefragt. Die Gründe dafür sind vielfältige, allen voran sind es die einsamen Tiefpunkte von sexualisierter und spiritueller Gewalt in der Kirche. Dass diese systembedingt sind und sich hier Reformen einstellen müssen, ist eine Realität, die ja nicht nur die Kirche in Deutschland betrifft. Wann immer ich in den Gemeinden, in den pastoralen Kontexten oder an der Hochschule in Kenia vom Synodalen Weg in Deutschland erzählt habe, habe ich ein sehr großes Interesse wahrgenommen. Wenn ich beispielsweise die vier Synodalforen, „Macht- und Gewaltenteilung“, „Priesterliche Existenz heute“, „Frauen in Diensten und Ämtern“ und „Leben in gelingenden Beziehungen“ als die maßgeblichen und reformbedürftige Themen der katholischen Kirche in Deutschland dargestellt habe, unterstrichen die Gesprächspartnerinnen und -partner, dass dies Fragen seien, die auch sie bewegen. Sie erhoffen sich hier Antworten, die der Lebensrealität der Menschen nicht entgegenstehen, die einer weit verbreitete Doppelmoral unter dem kirchlichen Dach den Nährboden entziehen und sich endlich an der befreienden und menschfreundlichen Botschaft des Evangeliums orientieren.

Ich nehme an, dass es auch bedeutsame Unterschiede bzw. Trennendes gebeten hat, das in der Diskussion zutage gefördert wurde. Können Sie ein konkretes Beispiel nennen? 

Der Begriff der Synodalität ist in kirchlichen Kontexten gerade ja in aller Munde. Papst Franziskus hat in Vorbereitung auf die Bischofssynode 2023 einen weltkirchlichen, synodalen Prozess ausgerufen, in Deutschland ereignet sich der Synodale Weg, im Bistum Limburg schauen wir auf eine über fünfzigjährige synodale Tradition zurück und fragen uns, welche Bedeutung synodale Beratung und Entscheidung für  Reformen im Bistum haben soll. Dabei ist mein Verständnis von Synodalität untrennbar mit dem Begriff der Demokratie verbunden; dies aus zwei Gründen: Zunächst einmal ist theologisch von einem Recht aller Getaufter und Gefirmter am Aufbau der Kirche auszugehen, sodass diese gleiche, unhintergehbare Würde einer und eines jeden hier ebenfalls mit einem entsprechenden und gleichen Stimmrecht einhergehen sollte. Weiter sind es gerade die Errungenschaften der Demokratie, wie freie und sanktionsfreie Meinungsäußerungen, der Schutz von Minderheiten und in all dem das offene Aushandeln von Argumenten, die mir für kirchliche Prozesse notwendig scheinen.

Und in Kenia?

In Kenia dagegen habe ich eine große Verunsicherung wahrgenommen, wenn ich von dem Wert demokratischer Prozesse gesprochen habe. Im Austausch mit vielen Gesprächspartnerinnen und -partnern klang an, dass das Demokratische dort in großer Sorge vielfach als fehleranfällig und korrumpierbar eingeordnet wird. Ich habe hier eine starke Skepsis und Verunsicherung gegenüber demokratischen Prozessen wahrgenommen, was mit Blick auf viele politische Ereignisse innerhalb des Landes auch nicht überraschen mag. Hinsichtlich von Synodalität in weltkirchlicher Dimension scheint es mir von diesem Hintergrund insofern besonders wichtig, erneut die Bedeutung und Dignität der Ortskirchen zu betonen. Papst Franziskus spricht seit dem Beginn seines Pontifikats von einer „heilsamen Dezentralisierung“ der Kirche. Wir haben innerhalb der Weltkirche und im Leben von Synodalität unterschiedliche Schwerpunkte und Schrittgeschwindigkeiten. Diese gegeneinander auszuspielen und naiv der Illusion einer Einheit als Uniformität nachzulaufen, wäre ungerecht und würde dem Katholischen, als dem Bunten, Vielstimmigen und Offenen, widersprechen.

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