„Eine Art Gewerkschaft für pflegende Angehörige“
Pflegenden Angehörigen eine Stimme geben und ihnen die Möglichkeit bieten, um ihre Anliegen in die Öffentlichkeit und die Politik zu tragen: Als 2008 die Frankfurter „Interessenselbstvertretung pflegender Angehöriger“ als eine von bundesweit vier Gruppen des Deutschen Caritasverbandes ins Leben gerufen wurde, waren Menschen, die Angehörige zu Hause pflegen, oft nicht im Blick: „Es gab bundesweit kaum eine Lobby für pflegende Angehörige“, erinnert sich Ingrid Rössel-Drath, Referentin beim Caritasverband für die Diözese Limburg. Dabei werden in Deutschland vier von fünf Bedürftigen mit Pflegegrad von Angehörigen betreut. „Unser Pflegesystem kann ohne die Pflege in der Familie überhaupt nicht funktionieren. Da wird eine enorme Leistung unentgeltlich erbracht und die Angehörigen bezahlen diese Leistung nicht selten mit einem hohen Preis. Altersarmut, körperliche und psychische Probleme oder die Gefahr in die Arbeitslosigkeit abzurutschen.“ Oft seien gerade Frauen betroffen, die einen Großteil der Pflege leisten.
Mit Bundesgesundheitsminister diskutiert
Aktionen in der Öffentlichkeit durchführen, Informationen für pflegende Angehörige bereitstellen, Gespräche mit Politikerinnen und Politikern und Parteien führen, Forderungen in den politischen Diskurs einbringen: So machte sich die Gruppe mit neun Betroffenen, die vom Caritasverband Frankfurt und vom Diözesancaritasverband unterstützt wurde, für pflegende Angehörige stark. IspAn sei wie „eine Art Gewerkschaft für pflegende Angehörige“, meint Rössel-Drath. In Frankfurt, Hessen, Rheinland-Pfalz und auf Bundesebene habe die Frankfurter Gruppe viel bewegen und mitgestalten können: Auf Einladung des Zentralkomitees der deutschen Katholiken diskutierten IspAn 2019 sogar mit dem damaligen CDU-Gesundheitsminister Jens Spahn über ein gerechteres Pflegesystem. Aber auch an den Demenzempfehlungen der rheinland-pfälzischen Landesregierung war die Gruppe beteiligt oder konnte Projektideen, wie die Einführung eines Gemeindepflegers in Hessen oder Erleichterungen bei der Abrechnung von Pflegeleistungen einbringen.
Zwischen Dauerstress und Bürokratie
„Wir haben die Erfahrung gemacht, dass pflegende Angehörige wenig bis gar nicht unterstützt werden“, erzählt Rita Wagener. Oft schwiegen die Betroffenen und suchten keine Hilfe. „Das wird gesellschaftlich erwartet. Viele der Probleme bleiben so im Verborgenen.“ Wagener arbeitete in der Demenzberatung für pflegende Angehörige der Caritas Frankfurt. Von 2008 bis 2020 leitete sie zudem als Koordinatorin auch die IspAn-Gruppe und engagiert sich auch nach ihrem Renteneintritt ehrenamtlich weiter. Als ihre eigene Mutter pflegebedürftig wurde, erlebt sie, was viele pflegende Angehörige durchmachen. „Die Pflege eines Angehörigen bedeutet Dauerstress“, sagt die Rodgauerin. Beruf, Familie und Pflege müssten unter einen Hut gebracht werden, der Tagesablauf ist mehr und mehr fremdbestimmt, es gibt Konflikte in der Familie, die Bürokratie bei Pflegeversicherung und Krankenkassen frustriert: „Es hat mich richtig zornig gemacht, wenn die Krankenkasse trotz guter Vorbereitung Anträge einfach abgelehnt hat und ich dann wieder Widersprüche schreiben musste“, erzählt Wagener. Mehrere Stunden habe sie das jedes Mal gekostet - neben der Arbeit und der eigentlichen Pflege. „Ich habe meine eigene Familie und mich in dieser Zeit vernachlässigt. Das erleben viele Angehörige.“
Kampf für eine gerechtere Pflege
„Der Kampf für eine bessere und gerechtere Pflege verbindet alle Beteiligten bei IspAn“, sagt die heutige Koordinatorin, Susanne Söllner. „Pflegende Angehörige befinden sich oft in einer Art Isolation und wir wollten dazu beitragen, dass sich die Situation für sie insgesamt verbessert“, erklärt die Psychologin vom Caritasverband Frankfurt. Gerade in den vergangenen Jahren hätte sich vieles verändert. „In den Medien ist jetzt häufiger von der Gruppe pflegender Angehörigen die Rede. Da sind wir einen Schritt weiter als vor zehn Jahren. Das ist aber nur der erste Schritt und es müssen viele weitere folgen.“ Bürokratie müsse abgebaut werden und die Pflegeversicherungen besser über ihre Leistungen aufklären. IspAn forderte schon seit Jahren die Einführung eines ausreichenden Pflegebudgets, über das pflegende Angehörige frei verfügen und Leistungen begleichen könnten. Hier wurde immerhin ein Teilerfolg erzielt: Die Politik hat mit dem Pflegeunterstützungs- und Entlastungsgesetz die Zusammenlegung der Budgets für die Verhinderungs- und Kurzzeitpflege ab Juli 2025 beschlossen. Besonders wichtig sei aber auch, Beratungs- und Unterstützungsangebote auszubauen, etwa mehr Plätze in der Tagespflege oder mehr Pflegestützpunkte in Hessen. „Pflegende Angehörige sind erschreckend oft nicht informiert, worauf sie überhaupt Anspruch haben“, sagt Söllner.
„wir pflegen e.V.“ tritt künftig für Belange ein
Mit Blick auf den Fachkräftemangel erwarten die IspAn-Engagierten, dass sich die Situation in der Pflege noch verschärfen wird. Auch deshalb ist aus Sicht der Gruppe wichtig, ein gerechteres Pflegesystems mit finanziellem Ausgleich und mehr Entlastung für pflegende Angehörigen in der häuslichen Pflege zu entwickeln. Diese Aufgabe aber wird IspAn nicht mehr angehen. „Wir geben nach 16 Jahren gemeinsamer Arbeit den Staffelstab weiter“, sagt Rössel-Drath. Im April 2024 wurde der hessische Landesverband von „wir pflegen e.V.“ gegründet, ein Zusammenschluss pflegender Angehöriger, der sich ebenfalls stark macht für die Betroffenen Anliegen. Darauf hatte IspAn auch hingearbeitet. Ingrid Rössel-Drath vom Diözesancaritasverband ist bereits Mitglied und wünscht sich, dass der neue Verein und die Perspektive pflegender Angehöriger von Anfang an und selbstverständlich in Gremien auf Landes- und Kommunalebene vertreten sein wird. „Pflegende Angehörige werden immer wichtiger. Wir brauchen sie und dürfen es uns nicht mehr länger leisten, über sie hinweg zu gehen. Die Pflege in Deutschland kann nur miteinander und nicht gegeneinander aufrechterhalten werden.“