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DARMSTADT / KASSEL / MAINZ / LIMBURG, 21.01.2021

Erstmals ökumenisches Spitzentreffen mit jüdischen Gemeinden

Ein Zeichen gegen Antisemitismus und für mehr Verständnis setzten die leitenden Geistlichen der Bistümer Limburg und Mainz, der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau und von Kurhessen-Waldeck und der jüdischen Gemeinden in Hessen.

Im 1700. Jahr des jüdischen Lebens in Deutschland haben jüdische Gemeinden und christliche Kirchen in Hessen bei einer digitalen Spitzenbegegnung ein Zeichen für mehr Verständnis und gegen Antisemitismus gesetzt. Im Zentrum der Begegnung am Mittwochabend (20. Januar) stand der regionale Auftakt der Initiative „#beziehungsweise – jüdisch und christlich: näher als du denkst“. Mit Plakaten, Unterrichtsmaterialien und Online-Angeboten sensibilisiert die bundesweite Aktion für die Gemeinsamkeiten der Glaubensrichtungen. Sie setzt vor allem bei den jeweiligen religiösen Festen ein und vergleicht etwa das jüdische Purim-Fest, das die Rettung des jüdischen Volkes traditionell mit viel Alkohol und Maskerade feiert mit dem christlichen Karneval, der herrschende Verhältnisse auf den Kopf stellt und auf die Fastenzeit blickt. 

Das ursprünglich in der Darmstädter Synagoge vorgesehene Spitzentreffen wurde aufgrund der Corona-Pandemie als Videokonferenz abgehalten. Daran nahmen Daniel Neumann, Direktor des Landesverbandes der Jüdischen Gemeinden in Hessen, Beate Hofmann, Bischöfin der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck, Volker Jung, Kirchenpräsident der Evangelische Kirche in Hessen und Nassau, Peter Kohlgraf, Bischof des Bistums Mainz und Thomas Löhr, Weihbischof im Bistum Limburg, teil. Es war die erste Begegnung in dieser ökumenischen Zusammensetzung. 

Daniel Neumann: Was Juden und Christen zusammenführt

Nach Worten von Daniel Neumann, Direktor des Landesverbandes der Jüdischen Gemeinden in Hessen ist „man auf dem Weg in eine neue Realität, die durch ein verändertes Verhältnis der Glaubensrichtungen in Hessen gekennzeichnet ist“. Es sei inzwischen ein „vertrauensvolles und freundschaftliches Verhältnis entstanden“, das aufgrund der „schlechten historischen Erfahrungen von Juden noch vor wenigen Jahrzehnten so nicht denkbar gewesen“ wäre. So hätten sich Juden und Christen in der Vergangenheit häufig über die Abgrenzung zu dem jeweils anderen definiert. Inzwischen sei jedoch der „vorsichtige Versuch eines neuen Anfangs gemacht worden, der all das Geschehene in das Gedachte einbringt und gleichzeitig neue Wege eröffnet.“ Neumann würdigte die Aktion #beziehungsweise als gelungenen Versuch, „das zu konzentrieren, was Juden und Christen zusammenbringt“. 

Volker Jung: Aktuellen Entgleisungen etwas entgegensetzen

Der hessen-nassauische Kirchenpräsident Volker Jung erklärte, dass die Kirchen mit der gemeinsamen Aktion „ein öffentlichen Zeichen der Verbundenheit mit den jüdischen Gemeinden setzen wollen“. Es bleibe nach wie vor erschütternd, dass Antisemitismus gegenwärtig wieder zum „Repertoire von manchen Verschwörungstheorien gehören“. So sei es „unerträglich“, dass auf Anti-Corona-Demonstrationen beispielsweise Davidsterne getragen worden seien. Jung: „Wir wollen solchen widerwärtigen Aktionen etwas entgegensetzen.“ Jung erinnerte auch an die Änderung des Grundartikels der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau vor 30 Jahren, der deutlich macht, dass mit dem Glauben an Jesus Christus das Bekenntnis zur bleibenden Erwählung der Juden verbunden sei. Es sei deshalb auch konsequent gewesen, dass sich die evangelische Kirche vor dem Reformationsjubiläum 2017 klar von den antijüdischen Aussagen Martin Luthers distanziert habe. Da in diesem Jahr das 500-Jahr-Jubiläum des Reichstags in Worms anstehe, sei es wichtig, auch daran zu erinnern, um eine „problematische Heroisierung“ zu vermeiden. 

Beate Hofmann: Verantwortung füreinander übernehmen

„Nach wie vor ist es leider nicht selbstverständlich, die positiven Beziehungen zwischen Judentum und Christentum wahrzunehmen. Deswegen ist es wichtig, aufzuzeigen, was uns verbindet“, sagte die Bischöfin der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck, Beate Hofmann. Verbundenheit schaffe Verantwortung füreinander. „In Kassel war es nach den Anschlägen in Halle und dem Mord an Walter Lübcke die Sorge umeinander“, ergänzte Hofmann und erinnerte an die christlichen Wächterdienste vor der dortigen Synagoge. „Corona hat diese Mahnwachen beendet, aber nicht die Beziehungen, die dadurch entstanden sind“. Ein Ergebnis sei die Sonderausgabe des Gemeindebriefs „Die Brücke“, die gemeinsam von jüdischer, evangelischer und katholischer Gemeinde entwickelt wurde. Zur Begegnung würden auch die Plakate der Kampagne #beziehungsweise einladen, „voneinander zu lernen und Glaube in diesen schwierigen Zeiten zu leben“, so die Bischöfin.

Peter Kohlgraf: Kampf gegen Antisemitismus

Der Mainzer Bischof Peter Kohlgraf ist „sehr dankbar dafür, dass die Beziehung zwischen Juden und Christen heute von einer Kultur des Miteinanders und des Dialogs geprägt ist“. Kohlgraf: „Wenn ich sehe, was in den vergangenen Jahrzehnten, seit dem Zweiten Weltkrieg, gerade hier in Deutschland gewachsen ist, bin ich fast versucht, von einem Wunder zu sprechen.“ Dieser Weg der Versöhnung sei nicht zuletzt ein Weg der Theologie gewesen, die „an die Wurzeln des christlichen Glaubens ging und zu einer Neuorientierung der christlichen Theologie in Bezug auf das Judentum führte“. Zugleich erfülle es ihn „mit Sorge, dass Antisemitismus in unserer Gesellschaft weiterhin ein großes Problem ist, in den vergangenen Jahren sogar wieder in steigendem Maße.“ Antisemitismus als „gesellschaftliches Krisensymptom rührt an den Grundlagen unserer Gesellschaft“, so der Bischof. Das Eintreten gegen Antisemitismus in allen seinen Formen sei eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Er begrüße daher sehr die ökumenische Kampagne #beziehungsweise. Es hoffe, dass aus der Aktion auch eine neue Haltung erwachse.

Weihbischof Löhr: Sensibler Umgang mit der Schrift

Der Limburger Weihbischof Dr. Thomas Löhr erinnerte bei dem Treffen an gemeinsames Erbe. „Es ist klar, es gibt uns Christen nicht ohne Sie, nicht ohne die jüdischen Ursprünge und das jüdische Erbe“, sagte Löhr. Er warb für mehr Sensibilität im Umgang mit den gemeinsamen Schriften. „Wenn wir als Christen die Texte der Bibel von den Evangelien her auslegen, muss uns bewusst sein und bewusst bleiben, dass diese Auslegung nicht exklusiv ist“, so der Weihbischof. Gleichzeitig dankte er auch für den Impuls, den Jüdischen Gemeinden als Kirchen gemeinsam zu begegnen. „Keine Kirche kann sich aus der Geschichte stehlen“, so Löhr. Dies sei allen bewusst. 

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