Helden ohne Umhang
Er ist gerade mal neun Jahre alt und sein Körper ist über und über mit Tattoos bedeckt. Auf der Haut tummeln sich bereits Schlangen und schwarze Rosen. Wo soll denn nun bloß noch der handtellergroße Spiderman hin? Moritz‘ Mutter steht daneben und freut sich. Es sind ja bloß Airbrush-Bilder, die nach ein paar Tagen wieder abgewaschen sein werden. Moritz ist eins von 16 Kindern und 20 Erwachsenen, die am ersten Juliwochenende beschenkt wurden: Für die Kleinen gab es abwaschbare Airbrush-Bilder und für die Großen bleibende Tätowierungen. Diese Aktion in den Räumen des Vereins „Hilfe für krebskranke Kinder Frankfurt e.V.“ haben die Katholische Erwachsenenbildung Frankfurt (KEB), die Fachstelle Familienpastoral und die katholische Klinikseelsorge am Uniklinikum Frankfurt auf den Weg gebracht.
Krebs betrifft die gesamte Familie
Wenn ein Kind eine Krebs-Diagnose erhält, ist dies eine Herausforderung für die gesamte Familie. Über allem liegt die Sorge um das eigene Kind, einen Alltag wie zuvor gibt es nicht mehr und doch muss es irgendwie weitergehen. „Ganz wichtig war uns, dass wir nichts verheimlichen. Und dass wir gemerkt haben: Wir sind nicht allein!“. Christina Lutz aus Eschborn spricht damit weiteren Familien aus dem Herzen, die beim Verein in Niederrad Unterstützung erhalten.
Die Krebsdiagnose für ihren Sohn Niclas bekam Familie Lutz im November 2022 vollkommen aus heiterem Himmel. Müde, übel und schlapp fühlte sich der damals sechsjährige Junge. Gerade war er eingeschult worden, steckte vielleicht einfach der Wechsel von KiTa zur Schule hinter der Abgeschlagenheit? Als er auch nicht mehr auf den Spielplatz wollte, suchten die Eltern Rat beim Kinderarzt. Blutabnahme, Labortests, Einweisung in die Onkologie – das passierte alles rasend schnell an einem Tag. Die Diagnose: Niclas hatte Leukämie.
Glücklicherweise sprach er gut auf die Therapie an. Bereits seit April 2023 gilt er als krebsfrei und ist derzeit noch in Dauertherapie, bei der nur noch Medikamente in Tablettenform genommen werden. Während der ersten Akuttherapie fehlte Niclas länger in der Schule. „Aber seine Mitschüler haben ihn jetzt ganz wunderbar wieder in die Schulgemeinschaft aufgenommen“, freut sich seine Mutter. Die besonders schwierigen Zeiten scheinen nun vorbei. Jetzt ist der richtige Zeitpunkt, diesen besonderen Weg der Familie ein sichtbares Zeichen zu setzen, hat die Familie beschlossen. Sohn Niclas bekommt ein temporäres Tattoo mit Sprühfarbe. Seine Eltern Christina und Patrick lassen sich die Anfangsbuchstaben und Geburtsjahre der zwei gemeinsamen Kinder in die Haut stechen. Das macht das Bistum Limburg möglich und dafür haben die katholischen Teams den international renommierten Tätowierer Silas Becks aus Stuttgart engagiert. Seine eleganten, feinen Kalligrafie-Tätowierungen sind echte Kunstwerke.
Stärke und Zuversicht
„Diese Kraft-Zeichen geben einen Extra-Schub hin zu einem couragierten Umgang mit der Krankheit“, hebt Dr. Markus Breuer, Leiter der KEB Frankfurt, hervor. Edwin Borg von der Fachstelle Familienpastoral ergänzt: „Den Eltern möchten wir die Möglichkeit geben, ihrem Kind und allen dauerhaft zu zeigen: Wir stehen das gemeinsam durch.“ Zeit haben, zuhören, stärken – das ist auch das Leitbild der Klinikseelsorge an der Uniklinik in Frankfurt. Dort kümmert sich ein ökumenisches Team um die Seelsorge für kleine und große Patientinnen und Patienten und auch für Mitarbeitende. Birgit Losacker vom Referat Kategoriale Seelsorge freut sich, dass dieses besondere Angebot für Erkrankte und ihre Familien eine wichtigen katholischen Auftrag umsetzt: „ Wir wollen nah bei den Menschen und ihren Sorgen und Nöten sein. Wir achten die von Gott geschenkte Würde jedes Menschen und nehmen ihn in seiner Ganzheit, seinen körperlichen, seelischen, sozialen und spirituellen Bedürfnissen wahr.“
Gemeinsam unterwegs
Dass diese Bedürfnisse individuell ganz unterschiedlich sind, zeigt sich schon in den von einer Krebsdiagnose betroffenen Familien. Andreas Böhm aus Darmstadt berichtet, er sei durch die Leukämie seines heute siebenjährigen Sohnes Misha komplett kopflos geworden. Sich auf die Arbeit konzentrieren, Betreuung für Tochter Mila organisieren, die seinerzeit noch im Kleinkindalter war, und dazu die vielen Lebensaufgaben meistern – das war für ihn fast unmöglich. Zum Glück wuchs seine Frau Alexandra über sich hinaus und hielt alles zusammen. Heute ist Misha krebsfrei und ein echter Wirbelwind. „Krass, wie er das schafft!“, bewundert ihn sein Vater. Neben der Klinikseelsorge war auch der Verein „Hilfe für krebskranke Kinder Frankfurt e.V.“ eine wichtige Unterstützung für Familie Böhm. Über den Verein haben sie beispielsweise die Möglichkeit erhalten, gemeinsam als Familie Urlaub zu machen. Gemeinsame freie Zeit ist nicht leicht zu organisieren, wenn immer eine geeignete Onkologie-Station in der Nähe sein muss. Die Angebote des Vereins nimmt die Familie immer noch gerne an. Seit rund einem Jahr wollen die Kinder keinen Termin zum Basteln und Feiern in Niederrad versäumen. Dass die katholischen Teams aus Seelsorge und Bildung diese besondere Tattoo-Aktion finanzieren und möglich machen, freut Familie Böhm. „Das ist mal was ganz anderes. Echt eine tolle Sache“, lacht Andreas.
Die Sozialpädagogin Hannah Köpke, die beim Verein erste Ansprechpartnerin für die Familien ist, hat die Idee von Seiten des Bistums gerne angenommen. „Wir versuchen, das unterstützende Angebot an die Familien möglichst vielfältig zu halten. Zugleich sind wir auf Spenden angewiesen. Da habe ich sofort zugesagt, als die katholische Anfrage kam.“ Noch während sie das sagt, flitzt die zehnjährige Melina an der Pädagogin vorbei auf das Tattoo-Team zu. Melina hat eine an Krebs erkrankte Schwester. Ein großes temporäres Tattoo ziert ihren Arm. „Und auf den anderen Arm kommt jetzt noch eine große Giraffe. Das ist so cool!“, strahlt das Mädchen. Die Kooperationspartner freuen sich mit ihr. Gemeinsam an einem Strang ziehen – das stärkt Familien und auch Kolleginnen und Kollegen.
Hintergrund:
Jedes Jahr erkranken hierzulande rund 2.200 Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren an Krebs. In Frankfurt nimmt das Universitätsklinikum nahezu jeden dritten Tag ein Kind auf, das die Diagnose Krebs erhalten hat. Dank kontinuierlicher Verbesserungen in der Behandlung können Kinder und Jugendliche in der Regel erfolgreicher behandelt werden als Erwachsene. Die Prognosen sind in den überwiegenden Fällen zuversichtlicher. Etwa acht von zehn Kindern überleben eine Krebserkrankung länger als 15 Jahre, nachdem sie die Diagnose erhalten.
- Die Katholische Erwachsenenbildung Frankfurt bietet lebenslanges Lernen rund um aktuelle gesellschaftliche Fragen, unabhängig von Religionszugehörigkeit. Von Menschen – für Menschen. Weitere Infos: https://www.keb-limburg.de/frankfurt
- Die Fachstelle Familienpastoral gibt Familien pädagogische, psychologische und spirituelle Impulse für das Zusammenleben. Weitere Infos: https://familienpastoral.bistumlimburg.de/
- Die katholische Klinikseelsorge am Uniklinikum Frankfurt bietet nicht nur Beistand am Krankenbett, sondern ist für alle Menschen in der Klinik ansprechbar. Weitere Infos: https://kath-seelsorge-uniklinik-ffm.de/
- Der gemeinnützige Verein Hilfe für krebskranke Kinder Frankfurt e.V. arbeitet eng mit der Kinderkrebsklinik Frankfurt zusammen. Seit mehr als 40 Jahren ist das Motto:
Wir helfen. Wir heilen. Wir forschen. Weitere Infos: https://www.kinderkrebs-frankfurt.de/