"Herr Bischof, steht der Dom noch?"
Morgens eine Diskussion mit Sechzehnjährigen über den Religionsunterricht, am Nachmittag Begegnung und Bibelstunde mit älteren Menschen mit einer geistigen Behinderung: Sehr viel größer hätte die Bandbreite kirchlicher Präsenz nicht sein können, die Bischof Georg Bätzing am Freitag, 17. Mai, in Idstein im Rahmen seiner Visitation im Untertaunus hautnah erlebt hat. Er selbst erwies sich dabei als wandlungs- und anpassungsfähig. In der Limesschule entfaltete er in seiner Rolle als Schülersprecher durchaus aufmüpfiges Potential. In der Einrichtung Vitos Teilhabe, ehemals Kalmenhof, wo in gemütlicher Kaffeerunde lockeres Duzen angesagt war, stellte er sich unkompliziert mit den Worten „Ich bin der Georg“ vor.
Ein Podiumsgespräch zum Thema „Religion im Schulalltag“ kann eine wirklich unterhaltsame Angelegenheit sein, zumindest dann, wenn alle mit Vergnügen dabei sind. An diesem Vormittag stand ein Experiment auf dem Stundenplan. Schüler aus insgesamt vier Schulen aus der näheren Umgebung, allesamt in Religionsklassen, schlüpften in verschiedene Rollen, gut vorbereitet, wie sich schnell zeigte. „Klasse“, meinte nachher anerkennend der Bischof, der zum Schülersprecher der imaginären Burg-Schule Idstein avancierte und eingangs gleich für einen Lacher sorgte. Er sei ja in Wirklichkeit nur der Stellvertreter und die Schülersprecherin bei „fridays for future“ in Frankfurt. Dass dieses Projekt mindestens so wichtig sei wie der Religionsunterricht bekundeten nachher zum Erstaunen der Schüler die beiden anwesenden „Bischöfe“, verkörpert von den Gemeindereferentinnen Maria Friedrich und Martina Jüstel.
Moralunterricht für alle
Zum Religionsunterricht in der Burg-Schule gab es die bekannten unterschiedlichen Auffassungen - nicht überraschend, dafür aber kurz und knackig auf den Punkt gebracht. Richtig spannend wurde es beim Schlagabtausch zwischen "Elternbeirat" und „Schulleitung“. Die Eltern würden es begrüßen, wenn der konfessionelle Unterricht – „der ist veraltet“ - durch eine Art Moralunterricht ersetzt würde, damit alle Schüler im Klassenverband teilnehmen und gemeinsam lernen könnten. Zumal, wie später „ein Vater“ aus der Gruppe ergänzte, er selbst aus der Kirche ausgetreten sei.
Daran erinnern, dass da oben jemand ist
Umso wichtiger sei das Angebot des Religionsunterrichtes, konterte eine der "Schulleiterinnen". Jedes Kind sollte die Chance haben, selbst entscheiden und seinen eigenen Weg gehen zu können, argumentierte die junge Frau. Mit dem Unterricht werde wenigstens einmal die Woche daran erinnert, „dass da oben jemand ist“. Für die Beibehaltung der jetzigen Form sprachen sich auch die „Religionslehrer“ aus. Im Religionsunterricht vermittle die Lehrkraft ihre eigene Glaubensüberzeugung. Diese Dimension würde in einem reinen Moralunterricht fehlen. Da konnten die beiden „Bischöfinnen“ natürlich mit Überzeugung zustimmen.
Redet nicht über uns, sondern mit uns
Der „Schülersprecher“ erzählte, er habe sich – gegen den Willen der Eltern - für den Ethik-Unterricht entschieden und nutzte dieses Statement für ein kleines Plädoyer für Vielfalt und Wahlmöglichkeiten. Das sei doch allemal besser als ein „stromlinienförmiges Angebot“. Mit seinem Appell: „Redet nicht über uns, sondern mit uns und hört auf unsere Anliegen, vielleicht klärt das manches.“ sprach er dann zum Schluss wohl wirklich den anwesenden Schülern aus dem Herzen, die ihrerseits mit viel Spaß und Engagement die Chance genutzt hatten, zu Wort zu kommen. Zum Dank gab´s Schokolade und das Versprechen, dass die Erwachsenen in dieser Frage auch künftig auf sie hören und von ihnen lernen wollen. „Wir haben ein Ohr für Euch“, versicherte der Leiter des Amtes für katholische Religionspädagogik, Thorsten Klug, der das Podiumsgespräch als "Moderator mit Hut" begleitet hatte.
Ein bewegender Nachmittag im Rudolph-Ehlers-Haus
Wer von wem lernen kann, das war am Nachmittag im Rudolph-Ehlers Haus, in dem rund 20 ältere Menschen mit Behinderung leben, keine Frage. Die herzerwärmende Begrüßung, die liebevolle Aufnahme des Limburger Bischofs und seiner Begleitung und die erfrischende Direktheit sprachen für sich. Dabei hatte der mit großer Spannung erwartete Besuch einige Aufregung verursacht - immer wieder mussten Bewohner von den Mitarbeitern umarmt und gedrückt werden. Viele der Bewohnerinnen hatten sich eigens fein gemacht. Die Älteste, 89 Jahre alt, klein und zerbrechlich wirkend, trug zur Feier des Tages rote Turnschuhe, einen rosa Reif im weißen Haar und silberne Halsketten. Auf ihrem Rollator führte sie ein großes ausgedrucktes Konterfei des Bischofs mit sich.
Herzliche Atmosphäre
Am Kaffeetisch ging es dann gleich umstandslos zur Sache. „Herr Bischof, steht der Dom noch?“ lautete die erste Frage. „Heute Morgen war er noch da“, antwortete der schmunzelnd. Spätestens damit war der Grundton für die herzliche Atmosphäre dieses Zusammentreffens gesetzt. Bei aller Heiterkeit blitzte in der Unterhaltung aber auch das schwere Schicksal einiger Bewohner auf. Wo sie zuhause sei, fragte Georg Bätzing eine der Frauen. Nirgends, antwortete diese. Sie sei als Baby vor einem Heim ausgesetzt worden und kenne ihre Eltern nicht. "Meine Familie ist hier", fügte sie nach kurzem Nachdenken hinzu.
Malprojekt und Bibelstunde
Seit einigen Monaten gibt es von Seiten der Pfarrei St. Martin gute Kontakte in die Einrichtung. Diakon Moritz Hemsteg betreut hier ein Malprojekt. Andreas Morzan, ein junger Mitarbeiter des Hauses, wird zum sogenannten Brückenkopf ausgebildet und ist damit Mittler zwischen den von ihm Betreuten und der Gemeinde vor Ort. Alle zwei Wochen gestaltet Gemeindereferentin Martina Jüstel eine Bibelstunde. In Anwesenheit des Bischofs ging es diesmal um die Geschichte des Zachäus, die anhand bunter Bilder erzählt und von den Bewohnern lebhaft diskutiert wurde. Vor allem die Lieder zur Gitarre stießen auf große Resonanz: „Gottes Liebe ist so wunderbar“ wurde mit so viel begeistertem Körpereinsatz mitgesungen, dass sich der Bischof gerne davon anstecken ließ.
Des Undenkbaren gedenken
Zum Ausklang stand ein ernster und nachdenklicher Moment auf dem Programm. An der Gedenkstätte, die ein paar Schritte hinter den Häusern der Einrichtung den Taubenberg hinauf liegt, wurde des „Undenkbaren“, so der Bischof, gedacht: Der über 700 Kinder, Jugendlichen und Erwachsenen, die in der Klinik des Kalmenhofes zur Zeit des Nationalsozialismus ermordet worden sind.