Kindergarten-Alltag mit unklarer Zukunft
Myroslawa malt am liebsten Herzen. Aber so ganz klappt das noch nicht, deshalb übt die Dreijährige fleißig. Was ihr sonst noch am Kindergarten gefällt? „Ich spiele gern mit den anderen Kindern – und mit den kleinen Autos“, sagt das blonde Mädchen im blauen Kleid.
Myroslawa besucht an vier Tagen die Woche die Katholische Kindertagesstätte St. Bonifatius in Bonames. Ihre Gruppe, in der sie eins von 18 Kindern ist, ist etwas Besonderes. „Seit Juli gibt es hier eine ukrainisch-sprachige Gruppe, in der geflüchtete ukrainische Kinder von ehrenamtlichen ukrainischen Erzieherinnen und Lehrerinnen betreut werden“, erklärt Kita-Leiterin Maria Albert.
Die Kita und die Pfarrei Katharina von Siena stellen dabei „nur“ den Raum zur Verfügung; verantwortet wird die Kita-Gruppe vom Ukrainischen Verein Frankfurt, unterstützt von der Katholischen Stadtkirche. „Als kurz nach Kriegsbeginn ein Aufruf der Stadtkirche kam, dass für die Betreuung dringend ein Raum benötigt wird, haben wir uns gleich gemeldet“, berichtet die stellvertretende Kita-Leiterin Yvonne Funken. Bis zu diesem Zeitpunkt wurde der schöne helle große Raum im Untergeschoss des Baues am Oberen Kalbacher Weg von Kita und Pfarrei gemeinsam genutzt. Maria Albert und Yvonne Funken setzten sich mit Brigitta Sassin von der Stadtkirche in Verbindung, es gab eine erste Begehung, schließlich waren auch der Verwaltungsrat der Pfarrei und der Träger einverstanden – und im Juli konnte die Gruppe mit den ersten zehn Kindern starten. Mittlerweile sind einige von ihnen bereits in die Grundschule weitergezogen, neue Kinder sind hinzugekommen.
Die Kinder lieben ukrainische Märchen
Olga Shendryk leitet die ukrainische Gruppe. Jede Woche setzt sie sich mit ihren Kolleginnen Maryna Zakharenko, Juliia Frye, Iryna Bilous und Ganna Rakhimova zusammen und bespricht den Plan für die nächste Woche. „Wir lesen Märchen vor und üben die Feinmotorik, indem wir mit den Kindern schneiden und kleben“, erzählt sie. Natürlich wird auch viel gespielt und getobt. Zu Nikolaus haben die Kinder gemeinsam mit den Erzieherinnen liebevoll verzierte Plätzchen für die deutschsprachigen Kindergartenkinder gebacken. Auch an das Erntedankfest erinnert sich Olga Shendryk gerne, dafür haben die Frauen mit den Kindern Tänze eingeübt.
Doch im Alltag gibt es natürlich auch Tücken. „Es ist sehr schwer, an ukrainische Bücher und Zeitschriften zu kommen“, berichtet Roksolana Rakhletska, stellvertretende Vorsitzende des Ukrainischen Vereins, der sich vor dem Kriegsausbruch als Kulturverein in Frankfurt engagierte und bereits seit 2006 die ukrainische Samstagsschule an zwei Standorten anbietet. Denn der Buchhandel aus der Ukraine heraus ist nachvollziehbarerweise aktuell schwierig. Die einzige Möglichkeit sind kleine Busse, mit denen Freiwillige hin und her fahren, um Bücher außer Landes zu bringen. Roksolana Rakhletska freut sich sehr, dass es ihr zuletzt gelungen ist, auf diese Weise gleich eine ganze Tonne Bücher nach Frankfurt zu bringen. Und sie ist glücklich über die Unterstützung der Kita St. Bonifatius, die mit Material aushilft, wo es nur geht – zum Beispiel mit einer großen Schachtel Wachsmalstifte.
Der Ukrainische Verein Frankfurt zahlt den Erzieherinnen und Lehrerinnen eine Aufwandsentschädigung. Weil diese rein aus Spendengeldern finanziert wird, ist das Projekt in Bonames bislang einzigartig – auch wenn es überall Bedarf gäbe. „Wir hoffen, dass wir genug Geld aufbringen können, um es mindestens bis zum Sommer weiterlaufen zu lassen“, sagt Roksolana Rakhletska. Denn für die Kinder erfüllt der tägliche Kontakt zu anderen Kindern, die die gleiche Sprache sprechen, natürlich eine wichtige soziale Funktion. Und auch für die Mütter ist es nötig, die Kinder gut betreut zu wissen, denn sie besuchen in dieser Zeit vom Jobcenter organisierte Deutschkurse.
Wenn der Hund krank ist
Roksolana Rakhletska und ihre Mitstreiterinnen hoffen, dass durch die Betreuung unter einem Dach auch Kontakte zu deutschsprachigen Kindern entstehen. Doch das gestaltet sich aktuell noch schwierig. „Ich würde gerne mit den anderen Kindern spielen, aber ich verstehe sie nicht“, erzählt die fünfeinhalbjährige Katheryna auf Ukrainisch und kuschelt sich dabei an den Gruppenhasen, ein niedliches braunes Stofftier namens „Karotte“. Die Hoffnung ist, dass die Mädchen und Jungen nach und nach ganz automatisch ein wenig Deutsch lernen. Das wäre wichtig, denn obwohl die meisten Familien gerne sobald wie möglich in die Ukraine zurück möchten, weiß aktuell niemand, wie lange der Krieg dauern wird. Und ob die Kinder, die jetzt die ukrainische Gruppe in Bonames besuchen, nicht auch noch in Deutschland eingeschult werden.
Myroslawa sitzt am Tisch und malt mit den neuen Wachsmalstiften, aber sie sieht traurig dabei aus. Ist es der Krieg, der das dreijährige Mädchen beschäftigt? Nein, etwas viel Alltäglicheres: „Mein Hund ist krank“, erklärt die Kleine auf Ukrainisch. In der Tat haben viele Kinder und Familien mittlerweile in eine neue Normalität gefunden, die neben den ganz großen auch alltägliche Sorgen beinhaltet. Am Anfang, direkt nach der Flucht, seien viele Kinder schon durcheinander gewesen von dem, was sie erlebt haben, sagt Erzieherin Olga Shendryk. Aber mittlerweile kennen sie die neue Umgebung, haben sich an die Situation gewöhnt und neue Freunde gefunden: „Ich würde sagen, sie sind jetzt entspannt.“
Weitere Informationen über den Ukrainischen Verein Frankfurt und die Möglichkeit zum Spenden für das Projekt gibt es auf www.ukraine-frankfurt.de.