„Religionsgemeinschaften sind die Avantgarde der Friedensbewegung“
Christen, Muslime und Juden leben gemeinsam in Bosnien und Herzegowina. Allen gemeinsam sind auch die Verletzungen und Verbrechen, die sämtliche ethnischen Gruppen in diesem Land während des Krieges 1992 bis 1995 erlebt haben. Noch immer sind die Wunden nicht verheilt. Als ein Weg der Versöhnung wird der interreligiöse Dialog von den Glaubensgemeinschaften vorangebracht. Fachliche Expertise bietet seit 2017 ein weltweit einzigartiger Studiengang im Erzbistum Sarajevo, dem Partnerbistum des Bistums Limburg. „Master of Interreligious Studies and Peace-Building“ heißt das Zertifikat, das sich als Zusatzqualifikation an Studierende der Fachbereiche Theologie und anderer Fachwissenschaften richtet. Dekan des Studiengangs ist Prof. Dr. Vladislav Topalović. Am Rande einer Fachtagung der Katholischen Erwachsenenbildung Hessen (KEB) Mitte September traf Annette Krumpholz ihn zu einem Gespräch.
Herr Prof. Dr. Topalović, wie leicht fällt Ihnen ganz persönlich der interreligiöse Dialog? Sie haben doch sicher ebenfalls eigene Kriegserlebnisse – wie können Sie ganz persönlich davon Abstand nehmen?
Als der Krieg begann, war ich 18 Jahre alt. Ich war damals zutiefst überrascht über den Hass, der zwischen Menschen bestand, die doch durch eine Sprache und eine gemeinsame Lebensweise miteinander verbunden waren und auch heute noch sind. Nur die Religion unterscheidet die Bewohner. Daher war der Krieg der Beweggrund für mein Theologiestudium. Durch den Krieg habe ich verstanden, dass der interreligiöse Dialog unsere einzige Hoffnung für einen Neubeginn ist. Denn der Frieden in meinem Land kann nur von den religiösen Gemeinschaften ausgehen. Religionsführer müssen die Fundamente für den Frieden legen. Der Master Studiengang soll nun eine fachlich-professionelle Basis für eine gelingende Friedensinitiative legen.
Wie wichtig ist das Verzeihen für die Gesellschaft und für ein gutes Zusammenleben in Bosnien und Herzegowina?
Bosnien und Herzegowina ist ein Ort, an dem sehr viele Kriegsverbrechen geschehen sind. Die Benennung dieser Kriegsverbrechen ist schwierig und die Frage, ob man von einem Genozid sprechen kann und muss, wird in der Gesellschaft ganz unterschiedlich beantwortet. Auch die serbisch-orthodoxe Gemeinde muss lernen, mit ihrer Vergangenheit umzugehen. Dabei darf man nicht außer Acht lassen, dass die Opfer des Krieges in allen drei Ethnien sehr verwundbar sind.
Gibt es aus Angst, Falsches zu sagen, eine Art Sprachlosigkeit?
Das kann unter Umständen sein. Es wäre aber schlecht, alles Negative unter den Teppich zu kehren. Die Opfer müssen gehört werden. Derzeit sind noch viele politische Fragen offen und auch der Weg, den Bosnien beschreiten wird, ist noch offen. Dadurch können natürlich Spannungen entstehen. Deshalb ist es ganz wichtig, mit viel Sensibilität und vor allem Geduld Fragen unseres Zusammenlebens zu klären.
Die Religionsgemeinschaften können da ein Vorreiter sein. Wir sind quasi die Avantgarde der Friedensbewegung. Das zeigt sich auch daran, dass die beiden Universitäten in Sarajewo, die aufgrund politischer Entwicklungen sonst nur periphere Berührungen haben, in diesem einen Bereich des interreligiösen Dialogs eng zusammen arbeiten.Unser nationaler Kontext ist der Konflikt. Mit dieser noch sehr frischen Spannung haben wir eine einzigartige Situation in Europa. Der interreligiöse Dialog ist beispielsweise in Deutschland sehr viel leichter. Gerade auch deswegen ist unser Projekt sehr mutig.
Welche Akzeptanz für den neuen Studiengang erleben Sie? Sind Politik und Zivilgesellschaft eher offen oder skeptisch hinsichtlich des neuen Ansatzes?
Die Resonanz in der öffentlichen Meinung ist sehr positiv. Gemessen an der Gesamtzahl der Studierenden in Bosnien und Herzegowina ist die Anzahl der Absolventen hoch. Wie bieten den zweisemestrigen Studiengang seit Oktober 2017 an und jährlich schreiben sich etwa 25 Studierende für diese Zusatzqualifikation ein. Von den also bisher 50 Studierenden haben 30 die Fakultät mit einem Master absolviert.
Der Studiengang richtet sich in erster Linie an Theologen, aber auch an Sozialarbeiter und Sozialpädagogen. Die Studentenschaft ist ebenso ethnisch und religiös gemischt wie die Zivilgesellschaft in unserem Land. Muslime, Katholiken und Orthodoxe studieren gemeinsam. Da Menschen jüdischen Glaubens in Bosnien und Herzegowina zahlenmäßig sehr gering vertreten sind, umfasst die Gruppe der interreligiös Studierenden derzeit die drei Hauptbekenntnisse des Landes.
Durch die Absolventen soll der interreligiöse Dialog von der Ebene der Führungspersönlichkeiten weiter in die Gesellschaft getragen werden.
Wer lernt am meisten während des neuen Studiengangs – die Studierenden oder die Dozenten?
(lachend) Auch wir Dozenten lernen jede Menge! Als ich eingeladen wurde, mit Muslimen das Opferfest zu feiern, konnte ich erleben, dass religiöse Identität andere nicht ausschließen muss. Die religiöse Bedeutung und der theologische Sinn des muslimischen Opferfestes können sich mir als Christ erschließen, ohne dass sich die Religionen vermischen. Ich kann an diesem Fest nicht nur als Gast teilheben sondern auch in Dankbarkeit den spirituellen Sinn mitempfinden.