Römer, Rentner und Raketen
Dr. Wolfgang David steht zwischen Säulen und Vitrinen, zeigt auf mit Buchstaben beschlagene Steine und Täfelchen aus Wachs. „Auf Wachs zu schreiben hatte, anders als in Stein, den Vorteil, dass man die Oberfläche wieder glatt ziehen und erneut nutzen konnte“, sagt der Direktor des Archäologischen Museums zu den um ihn stehenden Zuhörerinnen und Zuhörern. „Vielleicht haben Sie noch auf der Schiefertafel das Schreiben gelernt?“ Viele der Frauen und Männer aus der Gruppe, die an diesem Nachmittag ins Museum gekommen sind, nicken, der Museumsdirektor fährt fort: „Heute kennt das keiner mehr – es ist in Vergessenheit geraten, wie nachhaltig diese Art des Lernens ist. Auf eine Tafel schreiben mit der Hand, einen Zirkel benutzen, da geht das Gelernte in den Kopf. Dass man heute nur noch digital schreibt, bedeutet, dass man eine Kulturtechnik aufgibt.“
Die 22 Seniorinnen und Senioren, die an diesem Nachmittag von Dr. David durch die Ausstellung des Archäologischen Museums geführt werden und viel Spannendes über die römische Stadt Nida lernen, die bis 260 nach Christus in der Gemarkung des Stadtteils Heddernheim lag, nehmen an einer Premiere teil. Am ersten kulturgeragogischen Angebot im Bistum Limburg nämlich. Geragogik – auch „Alterspädagogik“ genannt – ist die Wissenschaft von der Bildung im Alter sowie der Weiterbildung älterer Menschen. Initiiert wurde das Angebot von Theologe Hubertus Pantlen, der als Alten- und Altenheimseelsorger auf dem Gebiet der Pfarrei St. Franziskus unter anderem zuständig für fünf Altersheime ist. Er hat kürzlich an der FH Münster die Hochschulzertifikatskurse Kulturgeragogik und Musikgeragogik abgeschlossen. Sein Wissen möchte er nun darauf verwenden, älteren Menschen in seiner Pfarrei und darüber hinaus Angebote zu machen, die ankommen.
Wach und neugierig bleiben
„Man erreicht ältere Menschen am besten, indem man sie ernst nimmt und ihnen etwas anbietet, das sie interessiert“, sagt Pantlen. „Natürlich habe ich nichts gegen Kaffee und Kuchen und auch nichts gegen gesellige Beisammensein, aber viele Seniorinnen und Senioren sind aufgeschlossen, möchten dazulernen, Neues sehen, Anregungen und Impulse bekommen.“ Eine hochwertige Seniorenarbeit, davon ist er überzeugt, verbessert auch die Lebensqualität. Gemeinsam etwas Interessantes zu unternehmen hält wach und neugierig – und so letztlich auch fit im Kopf. Das an sich ist keine Raketenwissenschaft, immerhin altert die Gesellschaft immer weiter, viele Senioren von heute sind noch eher „Silver Surfer“ als alte Leutchen. Und doch sucht man inhaltsstarke Veranstaltungen für Ältere in vielen Stadtteilen und Pfarreien oft vergeblich.
So erleben es auch die Seniorinnen und Senioren, die an diesem Nachmittag dabei sind. Helene Müller ist 96 Jahre alt und fährt mit ihrem Rollator zwischen den Vitrinen hindurch. Ins Museum ist sie mit ihrer Enkelin Stefanie Mösges gekommen. „Meine Oma hat Lust auf Kultur, aber geht bei anderen Führungen nicht gerne mit, weil sie fürchtet, gehetzt zu werden“, erklärt die 23-Jährige. Und Teilnehmerin Dorothea Knödler-Bunte erklärt augenzwinkernd: „Ich war zuletzt vor mehr als 40 Jahren hier in diesem Museum, da wollte ich doch mal sehen, ob es was Neues gibt bei den alten Steinen.“
Eine feste Säule
Gehetzt werden, das braucht beim Angebot speziell für ältere Menschen niemand zu befürchten, darauf legt Alten- und Altenheimseelsorger Hubertus Pantlen Wert. In der Pfarrei möchte er die geragogischen Angebote als feste Säule in der Seniorenpastoral neben Gottesdiensten und geistlicher Begleitung aufbauen. Kulturangebote und Musikgruppen dienen dabei einerseits als Mittel gegen die bei vielen älteren Menschen vorherrschende Einsamkeit, aber auch als Türöffner, um mit ihnen ins (seelsorgerische) Gespräch zu kommen.
Theologe Pantlen ist begeistert von seinem Arbeitsfeld, das ist auch über den Museumsbesuch hinaus deutlich zu spüren, wenn er mit Altenheimbewohner:innen beim Drumcircle trommelt oder ungewöhnliche Instrumente wie die Veeh-Harfe mit ihnen ausprobiert. Bereits seit 2017 gibt es immer am ersten Mittwoch im Monat das Erzählcafé in St. Christophorus in Preungesheim, das Pantlen mit Studierenden der Philosophisch-Theologischen Hochschule Sankt Georgen ins Leben gerufen hat. Die neue Reihe, die die Gruppe und alle weiteren Interessierten ab sofort regelmäßig mit Kunst und Kultur in Berührung bringen soll, baut darauf auf, daher der Titel „Das Erzählcafe geht ins Museum“. Nach und nach möchte der Geragoge mit den Seniorinnen und Senioren nun verschiedene Museen besuchen, auch Wünsche dürfen geäußert werden. Noch steht kein nächster Termin fest; wenn es einen gibt, wird er auf www.franziskus-frankfurt.de angekündigt. Das Zentrale Pfarrbüro ist telefonisch zu erreichen unter (069) 9511 679 0, auch dort kann gefragt werden.
Hubertus Pantlen hofft, mit seinem Konzept auch andere Pfarreien in und über Frankfurt hinaus inspirieren zu können, ihre Seniorenarbeit abwechslungsreich zu gestalten. Die Nachbarpfarrei St. Katharina von Siena hat ihn bereits einmal nach St. Edith Stein am Riedberg geholt für einen Musiknachmittag mit Senioren; in Rücksprache mit Pfarrer Hans Mayer sind auch Kooperationen mit weiteren Frankfurter Pfarreien denkbar. Wer Interesse hat, die Seniorenarbeit in der eigenen Pfarrei auszubauen, kann sich bei Hubertus Pantlen Tipps holen. Er ist per Mail erreichbar unter h.pantlen@ franziskus-frankfurt .de.