Segen für alle?
Paare, die nicht katholisch heiraten können, bitten um den kirchlichen Segen. Was tun? Bischof Dr. Georg Bätzing hat einen Prozess gestartet und will mit dem Bistum Antworten auf diese Frage, in der viel Spannung steckt, entwickeln. Spannung, da das Lehramt der Kirche auf die Frage Antworten bietet, die mit den Anforderungen der Pastoral und der Lebenswirklichkeit der Menschen heute scheinbar nicht zusammenzubringen sind. Erstmals hat Bischof Bätzing deshalb alle Ehren- und Hauptamtlichen aus den synodalen und kurialen Gremien sowie die Vertreter der verschiedenen Berufsgruppen zu einem Hearing und damit zu einem gemeinsamen Hören, zum Austausch und zur Diskussion darüber eingeladen.
Hinter Paaren, die nicht katholisch heiraten können, verbergen sich zum Beispiel Menschen, die nicht heiraten wollen, Menschen, die nach einer Scheidung wieder geheiratet haben oder Menschen, die in einer gleichgeschlechtlichen Beziehung leben. Beim Hearing bekamen sie zuerst das Wort und gaben Zeugnis von ihrem Lebensweg.
„Gott will mich als ganzen Menschen“
Luitgard erzählte von ihrem Leben in einer katholischen Familie, in der Fragen oder Zweifel an der katholischen Kirche nicht gestellt werden durften. Sie trat in eine Ordensgemeinschaft ein und spürte, dass diese Lebensform nicht ihr Weg war. Während der Ausbildung zur Kinderkrankenschwester verliebte sie sich dann das erste Mal in eine Frau. „Das Coming-Out war für mich keine einfache Sache. Für mich war klar: Christin sein und lesbisch leben geht nicht zusammen“, sagte sie. Zunächst versuchte sie sich verstärkt in der Gemeinde zu engagieren und dachte, dass ihre Liebe zu Frauen wieder vorbeigehe. Als das nicht klappte, versuchte sie ihr Glaubensleben zu minimieren und hat sich in lesbischen Kreisen aufgehalten. „Ich fühlte mich jedoch immer nur als halber Mensch.“ Sie lernte dann das Netzwerk katholischer Lesben kennen. „Es war sehr befreiend, dort beide mir wichtigen Themen ansprechen zu können: mein Glaubensleben und mein lesbisches Leben. Ich wurde immer sicherer: Gott will mich als ganzen Menschen und das bedeutet lesbisch und katholisch“, sagte sie.
Ihre Frau lernte sie dann bei einem sogenannten Regenbogengottesdienst in Frankfurt in der Heilandsgemeinde kennen. Die Frau war Gemeindereferentin und gab diesen Beruf, der ihr sehr wichtig war, auf, da es keine Option für sie war, sich verstecken zu müssen. In der Kirche habe sie sich lange Zeit nicht willkommen gefühlt und darunter sehr gelitten. „Viele unserer Gespräche hatten und haben unseren Glauben, die Kirche und unseren weiteren christlichen Weg als Inhalt. Unser Glaube ist eine tragende Säule in unserem gemeinsamen Leben“, sagte Luitgard. 2008 entschied das Paar eine eingetragene Lebenspartnerschaft einzugehen. Ihnen war klar, dass ihnen eine kirchliche Segnung am wichtigsten war. „Wir überlegten hin und her, wie wir das gestalten könnten. Die uns bekannten Priester sprachen wir nicht an, da wir ihnen keine Schwierigkeiten machen wollten. So fragten wir einen befreundeten laisierten Priester, ob er mit uns diese Feier gestalten würde. Uns war es wichtig, mit Gottes Hilfe und Gottes Segen unseren gemeinsamen Weg bewusst weiterzugehen“, sagte sie. Mittlerweile ist ihre Frau aus der Kirche ausgetreten. Die Berufsaufgabe und die Unbeweglichkeit der Kirche seien zu schmerzhaft für sie gewesen. Nun engagiere sie sich als evangelische Christin in einer Gemeinde und hoffe darauf, ihre seelsorgerlichen Fähigkeiten als Bestatterin einbringen zu können. Luitgard wünscht sich, dass die Kirche Heimat für junge lesbische katholische Frauen sein kann und dass sie keine Angst haben müssen, abgewiesen zu werden. Und sie wünscht sich Priester, Ordensfrauen und pastorale Mitarbeiter, die ohne Angst lesbische Frauen auf ihrem Weg begleiten können.
Schwul und lesbisch dürfen keine Schimpfworte sein
Priester, die frei sind und gleichgeschlechtliche Paare segnen, wünscht sich auch Thomas. Er ist schwul und ist mit seinem Mann seit 2001 verheiratet. „Gleichgeschlechtliche Partnerschaften sind nicht böse und Begriffe wie schwul und lesbisch dürfen in der Kirche nicht als Schimpfworte betrachtet werden“, sagte er. Willkommen habe er sich in der katholischen Kirche nicht gefühlt. Darunter hat er aber nicht gelitten, da er dieses Nichtwillkommensein auch in anderen gesellschaftlichen Kontexten erfahren musste. Er habe sich auch nicht diskriminiert gefühlt, da schwule Männer in der Kirche einfach nicht vorgekommen seien. Der Glaube war ihm immer wichtig und trotzdem von seinem übrigen Leben separiert. An Pfingsten 1994 erfuhr er dann von einem Gottesdienst für Schwule und Lesben in Frankfurt. „Ich war total überrascht von dem Angebot und so neugierig, dass ich dort hinfuhr und teilnahm“, sagte Thomas. Weitere Gottesdienstbesuche folgten und er lernte dort seinen Mann kennen. Als sie sich 2001 verpartnert haben, habe die Gemeinde an der Partnerschaft teilhaben wollen. Nach vielen Gesprächen ist ihre Partnerschaft von einem Priester gesegnet worden. „Unsere Bitte um Segen ist damals schnell erfüllt worden und war auch für unser Umfeld und meine katholischen Schwiegereltern sehr wichtig“, berichtet Thomas.
Gott nimmt mich an, die Kirche nicht
Helga stammt aus einer katholischen Familie und fühlte sich immer in ihrer Gemeinde wohl. Sie war verheiratet und hatte mit ihrem Mann zwei Kinder. Nun lebt sie in einer neuen Partnerschaft und hat zwei Kinder dazubekommen. Der Glaube ist ihr wichtig, aber sie sieht sich nicht mehr als aktive Christin. „Nach der Trennung von meinem Mann fühlte ich mich gebrandmarkt. Ich fühlte mich schuldig und konnte deshalb etwa nicht mehr den Lektorendienst ausüben“, erzählte sie. Irgendwann habe sie dann gespürt, dass sie mit ihrem Leben, auch mit allem Scheitern, von Gott angenommen sei. „Gott nimmt mich an. Die Kirche nimmt mich nicht an“, betonte Helga. Sie habe den Wunsch wieder zur Kirche zu gehören und hofft auf Rehabilitation. Ein neues Sakrament will sie aber nicht schließen.
Wiederverheiratete Paare haben keine Lobby
Auf den ersten Blick sind Heidi und Michael ein katholisches Traumpaar. Beide sind in der katholischen Kirche groß geworden und rundum katholisch sozialisiert. Sie haben Kinder und Enkelkinder, sind gläubige Katholiken und feiern gerne Gottesdienst. Aber: Heidis erste Ehe scheiterte. Ihr Traum von Familie war geplatzt. „Ich sitze mit meiner Pflegetochter im Kindergottesdienst, rund um mich herum gute katholische Familien, ich hingegen habe versagt. Am liebsten würde ich mich verkriechen“, sagte Heidi. Sie steht im Dienste eines Bistums. Als sie nachfragt, ob sie ihren Stellenumfang aufstocken darf, bekommt sie aufgrund ihrer Lebenssituation eine barsche Absage. Sie beginnt sich mehr und mehr zu verschließen und fragt sich, ob sie in der Kirche noch am richtigen Platz ist. In den kommenden zehn Jahren hat sie viermal den Arbeitgeber gewechselt und ungewollt Karriere gemacht. Die Ehe ihres Mannes Michael scheitert nach 27 Jahren. „Scheidung ist schlimm, diese Entscheidung ist trotzdem richtig für mich. Ich lerne Heidi kennen und lieben. Dieses neue Glück heißt aber in unserer konservativen Gemeinde: kein Kommunionhelfer mehr sein, kein Lektor mehr, in der Kirche nicht mehr so gewollt sein, wie ich bin“, erklärte er. Christ sein habe für ihn immer geheißen, Teil der Kirche zu sein durch Engagement. Aber das ging jetzt nicht mehr. Gesagt habe das niemand, gefühlt habe er es aber überdeutlich. Ihre Hochzeit feiern die beiden ohne kirchliche Trauung und ohne kirchlichen Segen. „Es ist eine wunderschöne Feier, in der wir uns vor unseren Gästen gegenseitig die Ehe versprechen. Gott ist für uns immer dabei, aber leider nicht die Kirche, die uns als Paar nicht will“, so Michael. Der Ärger über die Amtskirche sei immer präsent. Die innerliche Trennung von Gottes Liebe und der Glaube an ihn auf der einen Seite und der Amtskirche auf der anderen Seite, habe er sich nicht entziehen können. „Scheitern ist überall möglich, auch als Priester oder Ordensmensch, die laisiert werden, nur in der Ehe nicht. Warum? Ich könnte schwere Verbrechen begehen, sie bereuen und wäre durch Gottes Vergebung weiter vollwertiger Christ“, sagte er. Als geschieden Wiederverheirateter habe er die Chance auf den kirchlichen Segen verspielt. Er habe keine Chance mehr auf Heilung, keine Chance auf vollwertige Mitgliedschaft in der Kirche.
Christin zweiter Klasse
Heidi fühlte sich lange Zeit als Christin zweiter Klasse. Bei einer geistlichen Gemeinschaft in Köln fand das Paar dann eine neue geistliche Heimat und gründete eine Laiengebetsgruppe. „Doch auch hier holt es mich ein. Ich verschließe mich immer mehr. Irgendwann hatte ich Gott ausgeschlossen. Ich bin innerlich wie tot und will auch nicht mehr in die Kirche gehen“, sagte Heidi. Michael geht immer öfter allein zum Gottesdienst. Es ist für ihn schwierig, dass er und Heidi den Glauben nicht gleich empfinden und er hat Sorge, dass sie sich voneinander entfernen. Beruflich zog es das Paar dann ins Bistum Limburg. Beide empfinden diesen Schritt als großes Glück. Dennoch ist nicht alles gut. „Unsere Ehe, in der wir sehr viel Gutes teilen und leben und manches Schwere gemeinsam durchstehen, in der wir sicher nicht immer alles richtig machen, aber uns jeden Tag um Wahrhaftigkeit und liebevolle Achtsamkeit bemühen, unsere Ehe, das äußere Zeichen unserer Liebe, bleibt kirchlich gesehen ein Makel“, so Heidi. Die beiden wünschen sich, dass Kirche nicht verurteilt und ausschließt, sondern da ist, wenn Menschen scheitern und dass sie würdigt, wenn nach einem Scheitern etwas gutes Neues entsteht.
Brücken statt Gräben
Die Frage, was tun, wenn Paare wie Heidi und Michael, wie Luitgard und ihre Frau, wie Thomas und sein Mann um Segen bitten, beschäftigt auch viele Seelsorger. Auch ihre Sicht und ihr Umgang damit kamen beim Hearing zur Sprache.
Ein Seelsorger machte deutlich, dass es in der Pastoral darum gehen müsse, aufeinander zu hören und aufeinander zu achten. Es gehe darum, Brücken zu bauen statt Gräben zu schlagen. „Wir müssen in dieser Frage miteinander ringen. Aber wir dürfen keinen Keil durch die Kirche treiben“, sagte er. Es gelte, die unterschiedlichen Positionen ernst zu nehmen, dabei aber von Kategorien wie normal oder unnormal Abschied zu nehmen. Wenn Paare zu ihm kommen, die nicht katholisch heiraten können, begleite er das Paar und erkläre ihnen, wie die Lehre der Kirche und die Situation ist. Da der Segen für ihn aber unbedingt auch mit Heil verbunden ist, um das es der Kirche gehen muss, bittet er die Paare, dass sie sich dann den Segen gegenseitig spenden. Er selbst nehme an diesem Punkt eine passive Rolle ein. Als Priester wünscht er sich, dass die Frage nach Segen im Bistum weitergeführt wird. Und er wünscht sich, dass weiter gerungen wird und dass dabei keine Menschen ausgegrenzt werden. „Ich wünsche mir, den Segen zusprechen zu können und damit zu sagen, so wie ihr seid, seid ihr gut“, so der Seelsorger.
Eine pastorale und moraltheologische Frage
Für einen anderen Priester des Bistums hat die Frage nach dem Segen für alle schismatische, kirchenspaltende, Kraft. Es gehe zum einen um eine pastorale und zum anderen um eine moraltheologische Frage. Naturrechtlich argumentiert habe der Vollzug der Sexualität seinen Platz in der Ehe. Natürlich dürfe gefragt werden, ob diese Argumentation noch lebensnah ist. Es gebe aber nicht wenige Menschen, die dies lebten. Auch dies müsse gewürdigt werden. „Dieser Anspruch ist nicht per se obsolet, nur weil er nicht gelebt wird. Moral bestimmt sich nicht von der Bedürftigkeit des Menschen her“, sagte er. Als Pfarrer sei er natürlich immer wieder konfrontiert mit Anfragen von Menschen, die geschieden sind und in einer neuen Partnerschaft leben. Im Gespräch mit ihnen gehe es ihm immer auch darum, die Wege aufzuzeigen, die es in der Kirche gibt. Gemeint ist damit die Möglichkeit, nach bestimmten kirchenrechtlichen Vorgaben, eine Ehe für nichtig zu erklären. Er sei auch mit gleichgeschlechtlichen Paaren im Gespräch, aber noch nie um den Segen der Partnerschaft gebeten worden. Vielmehr kenne er auch Paare, die bewusst keine neue Partnerschaft eingehen, da sie nach der Lehre der katholischen Kirche leben wollen. Für sie ist oft das gemeinsame Gebet eine große Kraftquelle. „Alles oder nichts kann bei dieser Frage nicht die Lösung sein. Wir müssen die Spannung aushalten, auch wegen der Einheit der Kirche“, sagte der Pfarrer. Es gehe vor allem auch darum, herauszufinden, was der Wille Gottes in dieser Frage ist. Dafür brauche es auch eine geistliche Auseinandersetzung.
Vertrauen in den Prozess
Beim Hearing wurde auch viel miteinander diskutiert. Bischof Georg ist noch einmal deutlich geworden, dass sich hinter der Frage Menschen verbergen, die mitten in der Kirche sind. Er ist davon überzeugt, dass der Weg, den er mit dem Prozess und mit dem Bistum gehe, um Antworten auf die Frage zu finden, der richtige sei. „So ein Hearing ist ein Statement. Ein Statement, das mir hilft, sicherer zu werden. Die Lehre der Kirche ist apostolisch. Das bedeutet, dass sie von den Bischöfen geformt und weiterentwickelt wird. Bischöfe stehen in der Lehre und ich bin so Teil des Lehramtes“, erklärte Bätzing. Er möchte sich entwickeln und er hält ein Stehenbleiben in dieser Frage für einen Fehler. Er möchte, dass beim Prozess etwas raus kommt. Was das sein wird, müsse sich entwickeln. Er machte zudem deutlich, dass er in dieser Fragestellung keine isolierte Position in der Bischofskonferenz einnehmen wird, sondern auf Allianzen und auf gemeinsame Antworten setzt.
Hintergrund
Beim Stadtkirchenforum 2016 in Frankfurt wurden Fragen der Sexualmoral und der Gleichberechtigung diskutiert und es erfolgte eine Fokussierung auf die Frage von Segensfeiern für gleichgeschlechtliche, zivil wiederverheiratete und unverheiratete Paare. Stadtdekan Johannes zu Elz erarbeitete daraufhin, einen Vorschlag zu Segensfeiern. Bischof Georg sah dieses Papier als stimmig an und beauftragte eine Arbeitsgruppe damit, einen ergebnisoffenen Prozess zum Papier und zu der Fragestellung zu gestalten. Das Hearing war der erste Schritt in diesem Prozess. Weitere Schritte werden unter anderem ein wissenschaftlicher Fachtag und ein Diskussionsforum sein.
In der Arbeitsgruppe für den Prozess aarbeiten mit: Pfarrer Joachim Braun (Hochschulpfarrer), Domkapitular Dr. Johannes zu Eltz, (Stadtdekan Frankfurt), Dr. Holger Dörnemann (Abteilungsleiter Familie und Generationen), Pfarrer Andres Fuchs (Bezirksdekan Limburg), Dr. Beate Gilles (Dezernentin Kinder, Jugend und Familie), Silke Lechtenböhmer (Theologische Referentin des Bischofs), Dr. Daniela Marschall-Kehrel (Vorsitzende der Kath. Stadtversammlung Frankfurt), Professor Dr. Peter Platen (Rechtsdirektor), Christiane Reeh (Stadtsynodalrat Frankfurt), Stephan Schnelle (Pressesprecher), Michael Thurn (Bezirksreferent Frankfurt), Georg Trettin (Ehrenamtlicher), Professor P. Dr. Ansgar Wucherpfennig (Rektor Sankt Georgen), Dr. Hildegard Wustmans (Dezernentin Pastorale Dienste).