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27.10.2011

Das Normale ist die Vielfalt

Forum Sozialpastoral setzt sich mit Behinderung auseinander

WIESABDEN/Naurod. Wenn es bei einer Tagung um „Menschen mit Behinderung“ geht, ist üblicherweise nicht mit sehr viel fröhlichem Gelächter zu rechnen. Doch das ernste Thema verträgt durchaus Humor, ziemlich viel Humor sogar, wie die Teilnehmer des 18. Forums Sozialpastoral am Mittwoch, 26. Oktober, im Wilhelm-Kempf-Haus lernten. Es braucht dafür nur den richtigen Referenten. Mit dem evangelischen Pfarrer Rainer Schmidt aus Bonn war den Veranstaltern des Forums, Caritasverband und Dezernat Pastorale Dienste, ein echter Glücksgriff gelungen. Schmidt, ohne Unterarme und mit einem verkürzten rechten Oberschenkel geboren, war jahrelang einer der erfolgreichsten Tischtennisspieler im Behindertensport. Er verstand es, seine persönlichen Erfahrungen mit einem engagierten Plädoyer für die Teilhabe aller Menschen zu verknüpfen und dabei die Zuhörer auch noch zum befreienden Lachen zu bringen.

„Kein Mensch ist perfekt“: Dieses Motto der Jahreskampagne des Deutschen Caritasverbandes nahm Schmidt gleich zu Beginn zum Anlass, den „Spieß“ gewissermaßen umzudrehen und für die Einsicht zu werben, dass „die Behinderten“ nicht „die anderen“ sind. Jeder Mensch sei begrenzt und in irgendeiner Weise eingeschränkt, jeder Mensch brauche Hilfsmittel, sagte er, und sprach die rund 50 Zuhörer in diesem Sinne als „meine schwer versehrten Damen und Herren“ an. 14 Leitsätze zum Thema „Inklusion“ hatte Schmidt mitgebracht, wobei er seiner eigenen Forderung nach Barrierefreiheit auch in der Sprache selbst gerecht wurde. Den sperrigen Begriff, der seit Inkrafttreten der Behindertenrechtskonvention in aller Munde ist, definierte er kurz und bündig als „die Kunst des Zusammenlebens von sehr verschiedenen Menschen.“

Engagiert wandte sich Schmidt gegen die Einteilung von Menschen in zwei Gruppen, mit oder ohne Behinderung, gegen die Beurteilung anhand einer angeblichen Norm. „Das Normale ist die Vielfalt“, setzte er seine Überzeugung dagegen. „Wir sollten den Menschen von seiner Ressourcenseite her ansehen und nicht von seinen Grenzen her“, sagte er. Er sieht dabei besonders die Kirche in der Pflicht als Gegenmodell zum allumfassenden Konkurrenzdenken ringsum, als Parallelgesellschaft, in der nicht der Vergleich und der Wettbewerb oberster Maßstab sind. „Unsere Gemeinden sollten Orte des Entdeckens und Wertschätzens sein“, wünschte sich der Pfarrer, der den Tagungsteilnehmern, darunter viele ehrenamtliche Engagierte, wichtige Ansatzpunkte dazu mit auf den Weg gab. Vor allem aber ermutigte er die Anwesenden dazu, neue Erfahrungen zu sammeln, sich dabei auch die eigene Unsicherheit einzugestehen und trotzdem den Mut zu haben, aufeinander zuzugehen. „Wir müssen die Lösungen suchen, aber wir müssen sie noch nicht haben“, lautete das Resümee seines Vortrags, für den er langen herzlichen Applaus erhielt.

In den Workshops am Nachmittag stand die Praxis im Bistum Limburg im Mittelpunkt. Anregungen für die eigene Arbeit konnten sich die Teilnehmer anhand bereits bestehender Projekte holen. Im "Brückenmodell" wird die aktive Kooperation von Kirchengemeinden mit bestehenden Einrichtungen der Behindertenhilfe praktiziert. Neue Herausforderungen und neue Chancen gehen mit der Dezentralisierung des St. Vincenzstiftes Aulhausen einher: „Wenn wir Behinderung als lebenswerte Form des Lebens sichtbar machen wollen, ist es wichtig, dass Betroffene sich nicht verstecken, sondern gesellschaftlich präsent sind“, unterstrich Martin Pappert, Bereichsleiter Kinder und Jugend im Vincenstift, den damit verbundenen Anspruch. (rei)

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