06.10.2011
Gewaltfreie Erziehung fördert Persönlichkeit von Kindern
FRANKFURT.- Kinder sollen zu selbstständigen Menschen erzogen werden, die ein Gewissen haben: Das ist nur möglich, wenn Kinder als Personen anerkannt und gewaltfrei in der Schule und Zuhause erzogen werden. Das ist das Fazit des Aktuellen Forums über Gewalt in der Pädagogik am Mittwoch, 5.Oktober, im Haus am Dom. Veranstaltet wurde das Aktuelle Forum vom Frankfurter Domkreis Kirche und Wissenschaft. Als Formen von Gewalt nannten die Kriminologin Britta Bannenberg, der Erziehungswissenschaftler Benno Hafeneger, der Hotline-Beauftrage der Deutschen Bischofskonferenz, Andreas Zimmer, und der Pastoraltheologe Udo Schmälzle Schläge oder das früher so beliebte In-die-Ecke-stellen ebenso wie psychische Erniedrigungen.
Erziehung bedeute nicht nur lernen etwas zu tun oder zu lassen und das mit Strafen Kindern beizubringen -vielmehr müsse Kindern das Wissen vermittelt werden, warum eine Handlung gut oder schlecht ist, sagte der Pastoraltheologe Udo Schmälzle. „Nur wenn Kinder wissen, welche Konsequenzen ihre Taten haben, können sie ein Gewissen entwickeln.“ Der Theologe forscht bereits seit mehr als 20 Jahren zum Thema Gewalt. Der Franziskaner vertrat die Ansicht, der Gewalt-Kreislauf könne erst dann durchbrochen werden, wenn Menschen die Bedeutung von Gewalt kennen. Schüler anerkennen, Gutes anerkennen und Kindern Aufmerksamkeit schenken ? das versteht Schmälzle unter positivem Frieden. Körperliche Gewalt zu unterlassen sei negativer Friede.
Die Kriminologin Britta Bannenberg unterschied verschiedene Gewaltformen: häusliche Gewalt, sexuelle Gewalt, psychische Gewalt. Häusliche Gewalt mache einen großen Teil aus: „Das ist bis heute ein Tabu-Thema. Nur etwa fünf bis sieben Prozent der Taten werden angezeigt. Letztes Jahr ist ein Stück Licht in das Feld gefallen.“ Seit die Missbrauchsfälle von katholischen Geistlichen bekannt seien, könnten Opfer in der Gesellschaft über Gewalt offener sprechen, meinte die Kriminologin. „Wir müssen Kinder ermutigen, sich Erwachsenen anzuvertrauen. Und wir müssen zeigen, dass Gewalt Konsequenzen hat.“ Auf diese Weise könne die Gesellschaft für dieses Thema sensibilisiert werden.
Kindeswohl und Kindeswürde gibt es noch nicht lange in Deutschland. 1992 unterschrieb die Bundesrepublik die UN-Kinderrechtskonvention, die Kindern Rechte einräumt. Noch keine 30 Jahre komme demnach das Wohl des Kindes in den Blick, sagte der Erziehungswissenschaftler Benno Hafeneger. Bis in die 1960er Jahre haben Schläge zur Erziehung gehört. Lehrer waren in dieser Zeit Stellvertreter des Vaters und sie hatten das Recht Kinder mit Gewalt zu erziehen. In den 1970er ist nach Erkenntnissen des Pädagogen die körperliche Gewalt zurückgegangen, während es mehr Tendenzen zu sexueller Gewalt gegeben habe. „Heute gibt es andere Formen der Gewalt: Kinder werden in die Ecke gestellt, mit ihnen wird nicht gesprochen, sie werden ignoriert oder mit anderen Mitteln erniedrigt.“ Erst wenn die Gesellschaft bereit sei, sich bei dem Thema „Gewalt“ in all seinen Formen zu reflektieren, könne man optimistisch sein, dass die Erziehung in Schulen und Zuhause Persönlichkeiten fördere, meinte der Erziehungswissenschaftler.
Nach Meinung von Schmälzle müssen Institutionen wie Schule oder Kirche, die Erziehungsaufträge haben, Strukturen durchbrechen, die Gewalt ermöglichen. Auch für die Kriminologin Bannenberg sind Strukturen immer älter als die gesellschaftliche Entwicklung. In Schulen etwa sollten Eltern sich für ihr Kind und gegen autoritäre Strukturen der Institution einsetzen.
Der Hotline-Beauftragte der Deutschen Bischofskonferenz, Zimmer, sagte in der Diskussion: „Heute müssen wir den Jugendlichen von früher zuhören und sie nicht wie früher überhören. Strukturen fangen später an zu lernen. Durch den Druck der Öffentlichkeit verändern sich Strukturen, verändert sich Gesellschaft.“ Wenn Kinder Anerkennung bei Eltern und Schule erfahren und Jugendliche nach der Schule eine positive Bilanz ihrer Erziehung ziehen könnten, könne dies ein Schritt in eine Gesellschaft weniger Gewalt sein. (adg)