16.08.2011
Steinerner "Atzmann" dem Schlaf der Jahrhunderte entrissen
FRANKFURT.- Als „steinernen Kollegen und Mitbruder, der aus dem Schlaf der Jahrhundert auferweckt wurde“, begrüßte der Frankfurter Stadtdekan Johannes zu Eltz den jüngsten Fund unter der St. Leonhardskirche am Main. Ein „Atzmann“, ein Diakon aus dem Beginn des 15. Jahrhunderts, tauchte dort jetzt aus der Schuttschicht unter dem Hochchor auf, zwar ramponiert, ein bisschen matt in den Farben und mit gebrochenem Genick, aber ansonsten unversehrt und gut erkennbar in seiner Diakonstracht, mit dem Wappen der Stifterfamilie Monis und dem steinernen Pult, auf dem wohl jahrhundertelang das Evangeliar thronte, ähnlich wie heute noch bei seinem treuen Bruder im benachbarten Kaiserdom.
<link http: bolimburg.podspot.de files hfm_23-8-2011_leonhardskirche_fund_ffm.mp3>AUDIO: Ausgegraben - Pultträger aus dem Mittelalter, harmony.fm
Die Stadt Frankfurt, seit der Säkularisation 1803 im Besitz der kunsthistorisch bedeutsamen ältesten Frankfurter Kirche, präsentierte die Funde, neben der Sandsteinfigur auch noch 18 mittelalterliche Grabplatten im Südschiff, am Dienstag, 16. August, der Öffentlichkeit. „Ein geschichtsträchtiger Tag für Frankfurt“, wie Kirchendezernent Uwe Becker betonte, und ein „Glücksfall für die Archäologen“, wie die Leiterin des Denkmalamtes, Andrea Hampel, begeistert hinzufügte. Seit Herbst 2009 wird das Innere der spätromanischen Kirche restauriert, die größte Überraschung gab es gleich zu Beginn der Innenarbeiten: Bei Probebohrungen stellten die Denkmalschützer fest, dass der erste Anschein in dieser 800 Jahre alten Kirche vielfach trog. Der Fußboden der Kirche lag zur Bauzeit 1220 wesentlich tiefer als heute. Und einen knappen Meter unter dem bisherigen Fundament wurde ein perfekt erhaltener Boden gefunden, „allerdings nicht der romanische, sondern ein spätgotischer,“ freute sich Hampel damals.
Mittlerweile ist der Fußboden von 1508 überall freigelegt, für die neue Heizungsanlage graben die Bauleute sogar noch einen Meter tiefer. Und da fanden sie den Atzmann, der, wie Andrea Hampel, vermutet, 1809 an seinem ursprünglichen Standort neben dem Altar einfach umgelegt und mit Schutt bedeckt wurde, um den Boden der Kirche, wahrscheinlich, zum Schutz vor dem Mainhochwasser, anzuheben. Ähnliche Pultträger sind seit dem 13. Jahrhundert in mittelalterlichen Kirchen nachgewiesen, der Leonharder wurde möglicherweise um 1420 vom Frankfurter Bürgermeister Johannes Monis gestiftet. Atzmann wurde er genannt, weil er den Gläubigen das Wort Gottes als Atzung (Nahrung) darbietet.
Die 18 Grabplatten harren dagegen noch ihrer historischen Einordnung. Nach einem ersten Blick vermutet Kirchenhistoriker Pfarrer Matthias Kloft, dass hier Kleriker in spätgotischer Zeit beigesetzt wurden. Die Grabplatten sollen nun ausgebaut und gesichert werden. Dass auch der „Atzmann“ seine frühere Schönheit zurückerlangen wird, „mit einem fröhlichen Gesicht und roten Backen“, das ist für die Denkmalschützer ganz klar. Und dass der Wunsch des Stadtdekans, der steinerne Diakon möge nach der Innenrenovierung der Leonhardskirche wieder seinen Dienst als Träger des Evangeliars antreten und nicht in einem Museum ausgestellt werden, in Erfüllung gehe, dafür steht das Wort des Kirchendezernenten: „Der Atzmann kehrt an seinen Ursprungsort zurück!“
Doris Wiese-Gutheil