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16.05.2012

Laut schreien aus Glaubensübermut

Martin Walser zu Gast im Frankfurter Domgespräch

FRANKFURT. Ausgerechnet Martin Walser - in einer katholischen Akademie! „Warum ist er bei euch zu Gast, der alte Kirchenfeind und Blasphemiker, in der Stadt der umstrittenen  Friedenspreisrede?“ So oder so ähnlich könnte jemand fragen, meint Professor Joachim Valentin, der in seiner Begrüßung zum Frankfurter Domgespräch am Dienstag, 15. Mai, mögliche Einwände gegen den prominenten Besucher gleich vorweg aufzählt. Natürlich kann der Direktor des Hauses am Dom aber gute Gründe nennen, Walser dennoch einzuladen, „einen der ganz großen deutschen Schriftsteller“. 

Zum Beispiel, weil dieser es sich in jüngerer Zeit nicht verkneifen könne, sich vermehrt zu religiösen Fragen zu äußern, und zwar als einer, „der Gott immerhin vermisst“.  Die beste Antwort aber gibt Walser durch seinen Auftritt selbst. Wer ihn erlebt, aus seinem Roman lesend und im Gespräch mit der Philosophin Dr. Susanne Nordhofen, kann genau die Wirkung erfahren, die seiner Meinung nach gute Literatur hat: „Man ist danach etwas reicher als man vorher war.“

Schon als Vorleser ist der 85-jährige Schrifsteller eindrucksvoll. „Muttersohn“ heißt sein neuestes Werk und es handelt von einem gewissen Percy, der den Glauben seiner Mutter teilt, dass zu seiner Zeugung kein Mann nötig war. Von der Kritik wurde das Buch nicht mehrheitlich wohlwollend aufgenommen. Wenn Walser selbst aber daraus liest, lebhaft, mit viel Gefühl und entsprechender Gestik, vermag er es, auch mögliche Skeptiker in Bann zu ziehen. Es gibt trotz großer und ernster Themen überraschend viel zu lachen und im Gedächtnis bleiben schöne und nachdenkenswerte Sätze. So möchte Percy einmal „laut schreien aus Glaubensübermut“. Leute, die sich selbst genügten, seien ihm unheimlich, heißt es an anderer Stelle. Und: „Ich baue Leichtigkeit an wie andere Mais.“

Percy fühlt sich angezogen vom „Unbeweisbaren“. Was bewiesen sei, sei für ihn erledigt. Das könnte auch auf den Autor selbst zutreffen. Walser lehnt jedenfalls an diesem Abend Festlegungen freundlich, aber bestimmt ab. Ob der Roman ein Jesus-Roman sei, fragt ihn Susanne Nordhofen. „Kein Mensch liest mein Buch, jeder liest seins“, lautet darauf die Antwort: „Ich habe dazu nichts zu sagen.“, meint Walser  und gibt zur Belustigung des Publikums einen kleinen Einblick in seine Schreibwerkstatt. Das Erfinden einer Figur wie Percy folge einem jeweiligen aktuellen Bedürfnis. Und dann heiße es auf einmal auf Seite 3 über diese Figur, „die ich ja auch noch nicht kenne“, dass sie immer unvorbereitet spreche. „Das heißt dann, dass ich ihn mindestens fünfmal unvorbereitet sprechen lassen muss im Laufe des Romans“, erklärt der Schriftsteller die Zwänge, die ihm seine eigenen Geschöpfe auferlegen.

Bei aller Zurückhaltung lässt sich Walser von seiner Gesprächspartnerin durchaus ein paar Sätze zum Thema „Religion und letzte Fragen“ entlocken. Seit einem Jahr seien ihm Sachen passiert, mit denen er nicht habe rechnen können, sagt er und outet sich als „inzwischen hingerissener Leser“ des evangelischen Theologen Karl Barth. Er bedauert die Entfremdung von Religion und Literatur, die zur Folge habe, dass in der Philosophie und in der Literaturwissenschaft die Religion inzwischen vergessen werde und damit die 2000 Jahre währende Suche und Rechtfertigungsnot des Menschen. Den Mangel müsse man erleben, die Unruhe, die bleibe, sagt Walser und zitiert zuletzt auch noch Luther: „Wenn die Sehnsucht groß genug ist, grenzt sie an Erfüllung.“ Sagt´s und entlässt sein Publikum, darunter auch Frankfurts Oberbürgermeisterin Petra Roth, mit einem deutlichen „Gute Nacht.“ (rei)

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