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05.08.2014

Grün heißt "mit den Fingern wedeln"

Im Kindergarten St. Laurentius arbeitet ein gehörloser Erzieher

FRANKFURT.- Der sechsjährige Bastian lässt seinen Erzieher nicht aus den Augen, aufmerksam beobachtet er jede Handbewegung von Thomas Gold und lässt sie gekonnt von seiner Handpuppe Pitti wiederholen. So singen die beiden mitsamt einer Gruppe Kindergartenkinder Lieder, sprechen Abzählreime oder spielen Brettspiele. Dabei sind die Hände stets in Bewegung, flattern, heben sich, winken, legen sich auf`s Herz oder streichen entschieden durch die Luft. 

Die Kinder und ihr Erzieher im katholischen Kindergarten St. Laurentius im Frankfurter Stadtteil Kalbach „gebärden“, sie formen Wörter und ganze Sätze mit den Händen und verstehen sich so ganz ausgezeichnet. Doch was so fröhlich und wie ein großer Spaß wirkt, ist in dieser Kindergartengruppe durchaus notwendig: Thomas Gold ist von Geburt an gehörlos. Wenn die Kinder nicht auf seine Gesten achten, verstehen sie ihn nicht. Und umgekehrt: wenn Bastian, Hannah und die anderen Thomas etwas nachrufen, hinter seinem Rücken oder auch nur miteinander reden, weiß Thomas nicht, was los ist. 

Seit der 47-Jährige vor zwei Jahren im Kindergarten St. Laurentius seine Arbeit als Erzieher begann, haben die Kinder fast beiläufig gelernt, Thomas anzutippen, wenn sie etwas von ihm wollen, und ihn direkt anzuschauen, wenn sie mit ihm sprechen, damit er von ihren Lippen lesen kann. In einem besonderen Projekt haben sie darüber hinaus gelernt, mit hörgeschädigten Menschen zu kommunizieren, waren beim Hörgeräteakustiker und haben ganz unterschiedliche Hörexperimente gemacht. Die älteren unter ihnen sind sogar regelrecht bei Thomas in die Lehre gegangen und haben die wichtigsten Gebärden gelernt, wie Projektleiterin Simone Blum-Marzina erzählt. 

Kein Wunder, dass auch die jüngeren schon eifrig mit den Fingern wedeln, wollen sie beim Mensch-ärgere-dich-nicht das grüne Püppchen haben oder über die Lippen streichen, wenn es rot sein soll. Sowas schnappen auch die Kleinen schnell auf. Konkrete Fragen der Kinder, etwa wie Thomas denn eigentlich morgens pünktlich aus dem Bett kommt, wenn er doch keinen Wecker hören kann, beantwortet der Erzieher ganz anschaulich: Er bringt einfach mal seinen Lichtwecker mit.  

Ein Glücksfall für Erzieher, Team und Kinder 

Für Thomas Gold ist St. Laurentius ein Glücksfall, wie er selbst sagt. Er hatte zunächst Raumausstatter gelernt, musste aber nach einem Unfall umschulen. An der Gehörlosenfachschule für soziale Berufe in Rendsburg absolvierte der Frankfurter eine dreijährige Ausbildung zum Erzieher. Die Stelle in Kalbach hat ihm der Gehörlosenseelsorger im Bistum Limburg, Pfarrer Christian Enke, empfohlen . Und auch im Kindergarten St. Laurentius ist man froh, Thomas zu haben, nicht nur, weil Erzieherinnen knapp sind und Männer in diesem Beruf ohnehin Seltenheitswert haben. „Er passt einfach gut ins Team“, sagt Kindergartenleiterin Martina Wahls. 

Dabei herrschte zunächst durchaus Unsicherheit, wie sie unumwunden zugibt. Der katholische Kindergarten arbeitet nicht grundsätzlich integrativ, das heißt, es gehört nicht zum Konzept, eine bestimmte Zahl von Kindern mit Behinderungen aufzunehmen. Einzelintegration hat es zwar immer wieder mal gegeben, aber einen Erzieher mit Behinderung im Team zu haben, war zunächst ungewohnt. So musste zum Beispiel für Teamsitzungen, Elternabende, Fortbildungen oder Personalgespräche ein Gebärdendolmetscher engagiert werden. Schriftliche Protokolle helfen zusätzlich bei den nötigen Abstimmungen. Und auch ein Teil des Teams hat sich entschlossen, einen Gebärdensprachkurs zu absolvieren. „Aber uns fällt es schwerer als den Kindern“, lacht Golds Kollegin Angela Becker, „ die Grammatik ist ganz anders als in der Lautsprache und man muss richtig Vokabeln pauken.“ (dw) 

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