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15.09.2014

Kleine Biotope der Hoffnung

Impulse aus den Orden für eine "Option für die Armen"

LIMBURG - Welche Aufgabe kommt den Orden bei der Verwirklichung der von Papst Franziskus ersehnten "armen Kirche für die Armen" zu? Fast 160 Ordensleute aus dem Bistum Limburg nutzten am 12. September den Tag der Orden im Rahmen der Kreuzwoche für die Suche nach einer spezifischen Antwort auf ihren Ruf, an die Ränder der Gesellschaft zu gehen.

Weglaufen, Wegschauen oder Bleiben im Leid?

In einer Dialogpredigt zeigten Pfarrer Rösch und Schwester Irmtraud Erlwein, Ordensreferentin im Bistum Limburg, wie das Vorbild Mariens Hilfe bei Fragen der Berufung und im Umgang mit Herausforderungen im Glauben sein kann. Der Zuspruch des Engels "Fürchte Dich nicht", gelte auch den Menschen, die heute einen Ruf Gottes erhalten. Wie Jesus Maria als Kind gegeben war, mit dem sie in ihrer Berufung mitwachsen durfte, so sei auch die Berufung zum Ordensmann und zur Ordensfrau nicht einfach plötzlich da. "Am Anfang steht vielleicht ein deutlicher Zuspruch. Zum Berufungsweg gehört aber auch ein Ringen", sagte Rösch. Das Ringen sei ebenso auch Teil der Berufung, an die Ränder der Gesellschaft zu gehen. "Es ist nicht leicht, Leidenden beizustehen." Mitunter öffne sich in der Ausweglosigkeit jedoch ein neues Tor. So auch im Ursprung des christlichen Glaubens. "Das Kreuz ist nicht nur Zeichen für das Ende des Lebens, es ist auch der Beginn der Kirche", lud der Ständige Vertreter die Ordensleute ein, sich auch den Zumutungen ihrer Berufung zu stellen. "Wir sind eingeladen, unser eigenes Leben in seiner Wirklichkeit anzunehmen und uns im Vertrauen auf Gottes Beistand auf das einzulassen, was er mit uns vorhat."

Aus der Selbstbezüglichkeit heraustreten an die Ränder der Menschheit

Was Papst Franziskus zu seiner "Option für die Armen" bewegt, erläuterte Prof. Dr. Michael Sievernich SJ, emeritierter Professor an der Kath.-Theol. Fakultät der Johannes Gutenberg Universität Mainz und Honorarprofessor an der Hochschule Sankt Georgen in Frankfurt. Der Papst rufe im Apostolischen Schreiben "Evangelii gaudium" zu einem Aufbruch in der Kirche, zu ihrer missionarischen Umgestaltung, pastoralen Neuausrichtung und kirchlichen Erneuerung auf. Für Franziskus beginne die Reform dabei nicht mit der Frage, was andere ändern müssten, sondern mit der Selbstreform.

Die Selbstevangelisierung, das Heraustreten aus der Selbstbezüglichkeit, die die eigentliche Botschaft der Kirche überdecke, und der Aufbruch zu den geographischen und existentiellen Rändern der Menschen sei auch bei der Zuwendung zu den Armen entscheidend, erläuterte Sievernich die Enzyklika. Kirche sei nicht primär "Tugendherberge", sondern die Tugend erwachse erst aus der persönlichen Begegnung mit der rettenden Liebe Jesu. Die Orte der Gottesbegegnung seien vielfältig. Schon im Evangelium sei die Christusbegegnung im Armen genannt. Die "Option für die Armen" sei so neben der Zuwendung zum Armen auch immer die Aufforderung nach einer Offenheit für die "Option der Armen": Der Frage, was wir von den Armen lernen könnten. Der Papst kritisiere zudem die Wirtschaft der Exklusion. Ein Wirtschaftskreislauf, an dem nicht alle Menschen teilhaben könnten, töte.

Den Armutsbegriff entgrenzen

In einer Podiumsdiskussion erörterten Prof. Sievernich, Sr. Laura Knäbel von den Missionsärztlichen Schwestern, Sr. Simone Weber, Provinzobere der Armen Dienstmägde Jesu Christi, Sr. Simon der Missionaries of Charity und der Kapuziner Br. Paulus Terwitte unter der Moderation von Prof. Bernhard Emunds, Sankt Georgen/Frankfurt, die Lebenssituation von Armen in Deutschland, ihre mediale Rezeption und die Rolle der Orden in diesem Zusammenhang. Sie plädierten dabei für einen Blick auf die Ränder jenseits der Sozialromantik. Es sei wichtig, den Armutsbegriff zu entgrenzen: Nicht nur Personengruppen, die auf Pressefotos plakativ darstellbar sind, seien gemeint. "Die Ärmsten der Armen sind nicht unbedingt Drogenabhängige oder Aidskranke, sondern die vielen einsamen Alten, deren Kinder nichts mit ihnen zu tun haben wollen", betonte Br. Paulus Terwitte. Diese fänden in der öffentlichen Wahrnehmung nur selten statt. Man dürfe das Selbstverständnis derer, denen man helfen wolle, nicht übergehen, mahnte Prof. Sievernich. Bewohner von Elendsvierteln wollten sich selbst oft gar nicht als solche verstanden wissen. Die Lateinamerikanische Erfahrung lehre zudem, dass dort gerade von den Armen eine starke charismatische Prägung ausgehe, die lehrreich für die ganze Kirche sein könne.

Option für die Armen konkret: Willkommenskultur für Flüchtlinge gestalten

In verschiedenen Gruppenarbeiten erarbeiteten die Teilnehmer praxisnah, wie Ordensgemeinschaften angesichts zunehmender weltweiter Flüchtlingsströme konkret die Willkommenskultur für Flüchtlinge im Bistum mitgestalten können. Erfolgreiches Engagement für Flüchtlinge beteilige möglichst viele Einzelne und Gruppen. Ebenfalls ergab das abschließende Plenum, dass eine professionelle Unterstützung des eigenen Engagements, zum Beispiel durch die institutionellen Strukturen des Caritasverbandes, wichtig und von den Orden erwünscht ist. Aufgabe von Kirche sei es, an einer positiven, die Würde und die Werte der Flüchtlinge anerkennenden Stimmung in der Gesellschaft mitzuwirken. Dabei sei auch das spezifische Charisma eines Ordens von Bedeutung. "Flüchtlinge mit Ordensanschluss leben in einer anderen Atmosphäre, als Flüchtlinge in einer gewöhnlichen Flüchtlingsunterkunft", beschrieb Sr. Monika Glockmann CJ ihre Erfahrungen aus dem Zusammenleben mit Flüchtlingen. Die Congregatio Jesu hat in Hannover in Zusammenarbeit mit der Caritas eine ganze Etage ihres Hauses zu einem Flüchtlingswohnheim umgebaut. Auch die Interkulturalität der Orden könne wichtige Ressource in der Flüchtlingsarbeit sein.

Ruf der Ordensleute zur Prophetie: damit Perspektive möglich wird!

Sich auf die Situation der Flüchtlinge einzulassen, die Achtung religiöser Unterschiede und ihre Wertschätzung als Bereicherung ist für eine Willkommenskultur ebenfalls wichtig. Zudem stelle sich die Frage nach einem politischen Mandat der Kirche in Flüchtlingsfragen. Orden könnten zwar nicht alle gesellschaftlichen Probleme lösen, durchaus aber politisch Finger in die Wunden legen, wo ein Handlungsbedarf an Menschlichkeit bestehe. "Wenn die Würde des Menschen nicht ausreichend geachtet wird, müssen wir mutig die Stimme erheben", forderte Sr. Klarissa von den Dominikanerinnen von Bethanien die Ordensleute auf. Aufgabe der Orden sei nicht nur, ein guter Partner der Caritas zu werden sondern auch die Prophetie: "Wo die aktuelle Flüchtlingspolitik nicht ausreicht, um Menschen in Not eine Perspektive zu geben, müssen wir mehr einfordern, als bisher politisch möglich ist - damit es möglich wird!"

Die Kirche tue sich teils noch schwer mit den Impulsen des neuen Papstes, sie würden aber aufgenommen und besprochen, sagte Prof. Emunds am Ende des Tages der Orden. Er lud die Ordensleute ein, "kleine Biotope der Hoffnung" anzulegen. Wie die Impulse des Papstes für die Kirche, so könnten die Orden für die Gesellschaft ein Licht sein, das von außen einfällt. (hdrk)

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