16.03.2015
"Da zählt der Mensch, nicht, was er kostet"
LIMBURG - Den Menschen auf Augenhöhe begegnen und ihre Ressourcen erkennen - das will Annegret Huchler, seit zwei Monaten Beauftragte des Bistums Limburg für eine Willkommenskultur für Flüchtlinge. Als Sozialarbeiterin für das Landratsamt Heilbronn betreute sie 2014 etwa 300 Asylbewerber in elf Unterkünften, jetzt knüpft sie für die Kirche Netzwerke und unterstützt Ehrenamtliche vor Ort. Im Interview spricht Huchler über ihre Motivation für die Arbeit mit Flüchtlingen, Schwachstellen im Asylverfahren und das überwältigende Engagement Ehrenamtlicher in Limburg.
Frau Huchler, Sie haben an einer Musikhochschule Gesang studiert. Jetzt erheben Sie ihre Stimme für Flüchtlinge und setzen sich für eine bessere "Willkommenskultur" ein. Wie kommen Sie dazu?
Bei mir erfolgte der Zugang über eine Musikgruppe für Kinder, die sich in einer Flüchtlingsunterkunft in Mannheim traf. Das hat mein Interesse geweckt: Wie leben denn die Eltern der Kinder? Wie leben die Kinder in dieser Unterkunft? Was haben sie für Probleme und Hintergründe? Ich habe dann bei der Caritas-Flüchtlingshilfe ein Praktikum gemacht und gemerkt, dass es eine sehr vielfältige Arbeit ist, bei der man viel mit Menschen zu tun hat, die unterschiedliche Hintergründe, Fluchtgeschichten und Interessensgebiete haben. Das hat einfach sehr viel Spaß gemacht. Deswegen habe ich mich später für diesen Bereich entschieden.
Was reizt sie darüber hinaus?
Man kommt nicht nur mit Menschen, sondern auch mit Kulturen in Kontakt und bekommt dadurch einen Überblick. Das ermöglicht auch einen kritischen Blick auf manche politische Entscheidung sowohl auf Landes-, Bundes-, aber auch europäischer Ebene. Außerdem bekommt man sehr viel Unterstützung von Ehrenamtlichen. Gerade jetzt, da sehr viele Flüchtlinge kommen, ist die Bereitschaft zu helfen sehr groß. Etwas in Zusammenarbeit mit den Städten und Gemeinden, Kirchengemeinden und ehrenamtlichen Gruppierungen - oft auch ökumenisch - bewegen zu können, motiviert mich.
Sie haben zuvor für eine staatliche Behörde gearbeitet. Was hat Sie zum Wechsel ins Bistum Limburg bewogen?
In der staatlichen Institution, in der ich tätig war, gab es gewiss Möglichkeiten den Flüchtlingen zu helfen und sie zu unterstützen. Wenn man 300 Menschen in elf Unterkünften betreut, fehlt einfach die Zeit. Vor Ort kann man nur hoffen, dass es Ehrenamtliche gibt, mit denen man sich abspricht, was notwendig ist. Zum anderen lag es auch daran, dass ich wegen der Gesetze und rechtlichen Grundlagen oft Nein sagen musste. Gerade was Sprachkurse und eine Arbeitsaufnahme anging. Gerade bei Sprachkursen musste ich oft Nein sagen. Und das obwohl viele Flüchtlinge von sich aus Deutsch lernen wollen.
Sie können in der Kirche öfter Ja zu den Menschen sagen?
Ja, das kann ich. In der Kirche spielt die Menschlichkeit eine Rolle, bei staatlichen Organisationen und Behörden geht es oft nur um Zahlen.
Ist deshalb das Engagement des Bistums und der katholischen Kirche für Flüchtlinge und Asylbewerber so wichtig?
Ja. Bei staatlichen Institutionen und oft auch in der Politik sieht man nur die Kosten und Probleme. Die Schicksale dahinter bleiben völlig außen vor. In der Kirche erlebe ich das anders: Die christlichen Kirchen helfen erst einmal jedem. Da zählt der Mensch, nicht das, was er kostet. Es ist Auftrag der Kirche, Menschen vor Verfahren in Schutz zu nehmen, bei denen es in Europa und in Deutschland sehr unmenschlich zugeht.
Können Sie ein konkretes Beispiel für eine solche Schwachstelle im Verfahren nennen?
Das große Thema ist die Dublin III-Verordnung. Stellen sie sich einmal vor, sie reisen als Flüchtling über Ungarn nach Deutschland ein. Dort stellen sie einen Asylantrag. Auf dem Weg nach Deutschland haben sie aber dummerweise ihre Fingerabdrücke in Ungarn abgegeben. Dann dauert es drei bis fünf Monate, bis überhaupt festgestellt ist, wer für den Asylantrag zuständig ist. Wird danach festgestellt, dass Ungarn zuständig ist, hat die Bundesregierung noch ein halbes Jahr Zeit für die Rücküberführung. Erst dann beginnt das Asylverfahren. Nur sind sie dann schon fast ein Jahr in Europa. Und sie haben immer noch keinen Bescheid, ob sie bleiben dürfen oder nicht. Für ein solches Verfahren vergeht immens viel Zeit. Oft sind Asylbewerber und Flüchtlinge dann schon sehr gut integriert in Deutschland, sie können schon viel von der deutschen Sprache. Sie dann nach Ungarn zurücküberstellen ist nicht gut. Ganz zu schweigen von dem finanziellen Aufwand: gegebenenfalls muss ein eigenes Flugzeug gechartert werden. Für jeden Flüchtling braucht es dann einen Polizeibeamten. Für diese Kosten, die in ganz Europa entstehen, könnte man sehr viele Menschen in Deutschland und Europa integrieren.
Sie sind jetzt zwei Monate Beauftragte des Bistums für die Willkommenskultur. Was genau machen Sie eigentlich?
Ich bin Ansprechpartner sowohl für die Ehrenamtlichen, als auch für Pfarrgemeinden oder Flüchtlingsberatungsstellen - etwa von der Caritas. Es gibt Anfragen jeglicher Art: Wie kann man sich ehrenamtlich engagieren? Da kann ich Adressen weitergeben. Es gab zum Beispiel auch eine Konzertanfrage von vier syrischen Musikern, die in Damaskus in einem Konservatorium studiert haben. In Wetzlar gab es schon ein gemeinsames Konzert mit Flüchtlingen. Das wollte man in Limburg auch machen. Ich informiere über das Thema Kirchenasyl, damit für die Pfarrgemeinden eine Grundlage existiert und sie dann entscheiden können, ob sie sich darauf einlassen wollen. Es gibt viele Runde Tische und Begegnungsfeste, initiiert von Verbandsgemeinden, aber auch von der Caritas und Ehrenamtsinitiativen. Ich suche nach Kooperationspartnern, damit wir die Ehrenamtlichen vor Ort mehr unterstützen können. Und dann bin ich auch für die Beantragung von Mitteln zuständig. Ehrenamtliche, die zum Beispiel einen Deutschkurs geben, können bei mir Unterstützung für die Beschaffung von Materialien bekommen.
Sie sind also Netzwerkerin und Lobbyistin zum Wohl der Flüchtlinge...
Das kann man so sagen.
Sie haben das ehrenamtliche Engagement im Bistum Limburg angesprochen. Viele Menschen setzen sich für Flüchtlinge auf unterschiedliche Art und Weise ein. Lässt sich sagen, wie groß diese Zahl der Ehrenamtlichen ist?
Genaue Zahlen gibt es nicht. Es existieren aber große Helferkreise. Ich möchte ein Beispiel geben: Vor drei Wochen gab es in Dillenburg ein erstes Treffen. Es nannte sich Begegnungsfest. Dort kamen über 200 Interessenten, die sich ehrenamtlich für Flüchtlinge engagieren wollen. Auch in anderen Städten wie Frankfurt und Wiesbaden gibt es sehr viele Menschen, die helfen wollen. Die Bereitschaft ist überwältigend.
Wie hoch ist das Bedürfnis nach Information im Bistum Limburg?
Ich bekomme sehr viele Anrufe. Das Bedürfnis nach Information ist groß, insbesondere was speziellere Themen angeht; etwa wie man mit traumatisierten Menschen umgeht, was eine Kirchengemeinde beim Kirchenasyl erwartet, wie überhaupt ein Asylverfahren funktioniert und man helfen kann, dass ein Beruf und Zeugnisse von Flüchtlingen anerkannt werden. Es gibt hier sehr viele gute Broschüren, die man auch im Internet unter <link http: www.fluechtlingsarbeit.bistumlimburg.de>www.fluechtlingsarbeit.bistumlimburg.de downloaden kann.
Ich könnte mir vorstellen, dass es Ihnen in den letzten zwei Monaten nicht langweilig geworden ist. Was haben Sie bereits in dieser kurzen Zeit angestoßen?
Wir haben im Beirat beschlossen, dass jeder Bezirkscaritas-Verband eine 50-Prozent-Stelle bekommt für die Arbeit mit Flüchtlingen und für die Koordination von Ehrenamtlichen. Da laufen jetzt die Ausschreibungen. Zum anderen gibt es mit der Caritas zusammen ein Qualifizierungskonzept für Ehrenamtliche, das auch offen für Hauptamtliche ist. Wir vermitteln damit Grundlagen: Wie gehe ich mit traumatisierten Menschen um? Was bedeutet es, einen Flüchtling zu begleiten? Wie kann ich mich abgrenzen, damit ich psychosozial gesund bleibe? Was sind die rechtlichen Grundlagen? Wir haben zu diesem Konzept schon Rückmeldungen und auch Anmeldungen für Module. Das Bistum Limburg und die Kirche vor Ort sind auf das ehrenamtliche Engagement angewiesen.
Was wollen Sie zum Schluss des Interviews den Ehrenamtlichen mit auf dem Weg geben? Ich möchte den Ehrenamtlichen zum einen sehr großen Dank aussprechen, dass sie bereit sind, Flüchtlingen zu helfen. Zum anderen möchte ich ihnen die Hilfe, die wir im Bistum in Zusammenarbeit mit der Caritas aufbauen, ans Herz legen. Wo immer Ehrenamtliche Unterstützung brauchen, stehe ich als Ansprechpartner bereit. (CLM)