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EIBINGEN, 03.10.2016

Klösterliches Leben als dauerndes Wagnis

Bischof Georg Bätzing weiht Äbtissin Dorothea Flandera

Festtagsstimmung in der Abtei St. Hildegard: Dass an diesem Montag, 3. Oktober, ein besonderes Ereignis ansteht, ist schon bei der Ankunft spürbar. Die große Wiese vor dem Kloster ist zum Parkplatz geworden. Ein steter Strom von gut gelaunten und festlich gewandeten Gästen strebt der Abteikirche entgegen. Dort sind allerdings schon früh alle Sitz- und Stehplätze belegt und bald passt wirklich kein einziges weiteres Klappstühlchen mehr hinein. Draußen trotzen deswegen bereits viele Unverdrossene der Kälte und warten vor zwei Bildschirmen auf die Übertragung des Gottesdienstes. Die Weihe von Äbtissin Dorothea Flandera ist eben „ein großer Tag für die Abtei St. Hildegard und das ganze Bistum Limburg“, wie Bischof Georg Bätzing in seiner Begrüßung sagt.

40. Nachfolgerin der heiligen Hildegard

Es ist seine erste offizielle Amtshandlung, die ihn in das Kloster geführt hat. Ganz fremd ist ihm die Umgebung dennoch nicht, hat er doch hier seine Weiheexerzitien verbracht. Und dabei auch bereits Mutter Dorothea kennen gelernt  als „vom ganzen Wesen her feine, bescheidene und Freundlichkeit ausstrahlende Ordensfrau“. Die bisherige Priorin des Klosters war am 2. August vom Konvent als 40. Nachfolgerin der heiligen Hildegard gewählt worden. „Eine gute Wahl“ bescheinigt den Schwestern der Bischof, der zu dem festlichen Gottesdienst mehr als 30 Bischöfe, Äbte und Priester, darunter Altbischof Franz Kamphaus, Weihbischof Manfred Grothe, Weihbischof Thomas Löhr und Abt Albert Schmidt, Verwandte und Freunde der neuen Äbtissin sowie zahlreiche Vertreter von Politik, Gesellschaft, Wissenschaft und Kultur begrüßen kann.

Tiefe Not der Flüchtlinge

In seiner Predigt lotet er die Spannung zwischen besonderer Begabung auf der einen und einem selbst so empfundenen Nicht-Wissen auf der anderen Seite aus, von dem auch Mutter Dorothea ihm gegenüber gesprochen habe. Drei Arten von Wissen benennt er dabei: Neben dem Wissen des forschenden menschlichen Verstandes, mit dem sich die Äbtissin als studierte Diplommathematikerin gut auskenne,  gebe es die Lebensweisheit, „ein Wesens-Wissen darum, wo ich hingehöre“, das Verspüren von Heimat und Geborgenheit. In diesem Zusammenhang verweist Bischof Georg auf die Situation der Flüchtlinge, die nach Flucht und Vertreibung aus ihrer Heimat neben aller materiellen Sorge auch diese „viel tiefere Not des verlorenen Wesens-Wissens“ erlebten. Das werde in all den Diskussionen um die Aufnahme und Integration der Geflüchteten viel zu wenig bedacht, mahnt er. Neben diesen beiden Wissensarten gebe es aber im Glauben noch ein drittes: „Die Einsicht, dass Gott ist, dass Jesus lebt“.

Auf die Spitze getrieben

„Es ist der Herr!“: Mehr als in diesem Wort, dem Wahlspruch von Mutter Dorothea, könne man in dieser Welt als Mensch nicht einsehen, mehr müsse man nicht „wissen“, um ein erfülltes Leben zu leben, betont er. „Unser Vertrauen und unsere Hoffnung sind in diesem Bekenntnis sozusagen auf die Spitze getrieben“. Insofern stehe auch klösterliches Leben immer auf dem Kopf, auf der Spitze: „als dauerndes Wagnis, dem verspürten Ruf zu folgen, auch auf Messers Schneide.“ Klöster seien bis heute besondere Orte von Weisheit, Lebenskunde und forschender Wissenschaft, weil die entscheidende Frage des Lebens, „wer hier Herr ist“, bereits geklärt sei, und deswegen viele andere interessante Fragen mit Ruhe und Gelassenheit erforscht werden könnten. Für die gute Balance dieses Lebens der Schwesterngemeinschaft sei Mutter Dorothea jetzt Anker und mütterlicher Orientierungspunkt.

Ring und Kreuz von Mutter Clementia

Zur Weihehandlung wird Mutter Dorothea von zwei Mitschwestern nach vorne geleitet und vom Bischof befragt, bevor sie sich zur Allerheiligenlitanei ausgestreckt auf den Boden legt. Nach dem Segensgebet erhält sie die Benediktsregel mit den Worten: „Leiten und bewahren Sie die Gemeinschaft nach dieser Regel.“ Danach steckt Bischof Georg ihr den Äbtissinnenring an, der wie auch das Brustkreuz von ihrer am 2. Juli verstorbenen Vorgängerin, Mutter Clementia Killewald, stammt, und übergibt ihr den Äbissinnenstab, der in der Tradition der Abtei St. Hildegard über die Generationen hinweg jeweils an die neue Äbtissin weitergegeben wird. Der kostbare Stab, den Mutter Dorothea nun in Empfang genommen hat, ist im Beuroner Kunststil gefertigt und war einst ein Geschenk zur Weihe der Gründeräbtissin der wiederbegründeten Abtei St. Hildegard, Regintrudis Sauter, am 8. September 1908.

Dank für die tiefe Feier

Große Reden halten, das liege ihr nicht, hatte Mutter Dorothea bereits dem Bischof anvertraut. Entsprechend kurz, aber herzlich fällt denn auch ihr Abschlusswort zum Ende des Gottesdienstes aus, in dem sie ihren Dank für die „tiefe Feier“ ausspricht und alle Anwesenden zu Begegnung und Stärkung einlädt. Mindestens doppelt so lang währt dafür der Applaus, mit dem sich die Gottesdienstgemeinde dem Glückwunsch des Bischofs anschließt. Und für den festlichen Auszug hat auch der Himmel ein Einsehen, so dass alle trockenen Fußes die Zelte und den Kreuzgang erreichen, wo im fröhlichen Gewimmel weiter gefeiert wird. (rei)

Mutter Dorothea, 1952 geboren, trat 1979 in die Abtei St. Hildegard ein und legte dort 1985 ihre ewige Profess ab. Sie stand der am 2. Juli verstorbenen Äbtissin Clementia Killewald seit 2004 als Priorin und Stellvertreterin zur Seite. Als gelernte Diplom-Mathematikerin leitet sie seit vielen Jahren die klostereigene Restaurierungswerkstatt für kirchliche Archivalien.

Abt und Äbtissin werden von ihrer Gemeinschaft gewählt .Der Abt und die Äbtissin empfangen die Abts,- bzw. Äbtissinnenweihe, die keine Weihe im sakramentalen Sinne ist, sondern ein feierlicher Segen. Die Weihe wird in der Regel vom Ortsbischof des jeweiligen Klosters vorgenommen. Sie weist eine Vielzahl von Parallelen zur Bischofsweihe auf und ist eingebettet in die Eucharistiefeier.

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