Frankfurt, 22.08.2025
Die Erfahrung der Gleichzeitigkeit
Im Haus am Dom zeigt der belgische Künstler Willi Filz ab 30. August Fotografien, die Zeugnisse bewegender Begegnungen sind. Es geht um Menschen in Kriegsgebieten, die von ihrer Zukunft träumen, um die Stärke und den Mut von Flüchtenden, und um die Wegränder des Camino de Santiago. Im Interview erklärt der freischaffende Fotograf und Künstler, der erstmals in Frankfurt ausstellt, warum er sich für seine Arbeit auch manchmal in Gefahr begibt.
Herr Filz, Sie haben einmal gesagt: „Um etwas von der Welt zu begreifen, muss man unterwegs sein.“ Dafür begeben Sie sich auch in mitunter gefährliche Situationen, im Mai zum Beispiel waren sie noch einmal in Syrien. Wie ermessen Sie, ob die Gefahr ein gutes Bild wert ist?
Die Welt zu begreifen bedeutet mehr, als bloß zu verstehen. Es verlangt ein Wahrnehmen mit allen Sinnen, Offenheit und die Bereitschaft, über die eigene Weltsicht hinauszugehen. Zusammenhänge und menschliche Mechanismen lassen sich nicht allein mit dem Verstand erfassen – sie müssen erlebt werden. Dafür muss ich mich auf den Weg machen. Dieser Weg kann ein realer sein, aber auch in der Literatur liegen. Auch wenn ich durch ein vom Krieg zerstörtes Land reise, ist die unmittelbare Gefahr für mich relativ gering. In meiner Arbeit suche ich den Alltag. Besonders berührt hat mich die Erfahrung dieser Gleichzeitigkeit: Auf der einen Seite brutale Gewalt durch Bomben, auf der anderen Seite ein fast „normales“ Leben.

Sie reisen alleine, damit Sie den Menschen, denen Sie begegnen, Ihre volle Aufmerksamkeit schenken können. Wie laufen solche Begegnungen ab? Wie lange dauert es in der Regel, bis Fremde sich von Ihnen fotografieren lassen? Wissen die Menschen, dass ihre Bilder auf diese Weise in eine Ausstellung weit entfernt von ihrer Heimat gelangen können? Und entstehen aus solchen Begegnungen auch manchmal tiefere Bindungen, vielleicht sogar Freundschaften?
Je nach Projekt verläuft auch der fotografische Prozess unterschiedlich. Bei Straßenporträts dauert er oft nur wenige Minuten – ein kurzes Treffen. Für die Porträts aus Aleppo hingegen gibt es zunächst ein Vorbereitungsgespräch. Dann vereinbare ich mit der Person einen Termin und eine passende Location – meist einen für sie besonderen Ort. Das Gespräch führe ich mit Unterstützung eines Übersetzers und beginne mit der Frage nach dem Traum. Erst danach entstehen die Aufnahmen. Die jungen Menschen in Aleppo waren sehr dankbar, dass nach all den Jahren des Krieges überhaupt jemand kam, ihnen zuhörte und von ihnen berichtete. Im Jahr 2001 lernte ich den Galeristen Issa Touma aus Aleppo kennen und nahm an seinem internationalen Fotofestival teil. Während des Krieges, im Jahr 2020, zeigte seine Galerie meine Ausstellung Polka auf dem Camino. 2025 traf ich ihn erneut und wir schmiedeten Pläne für neue Projekte.
Im Haus am Dom zeigen Sie Bilder aus drei Werkreihen - aus den syrischen Kriegsgebieten, Portraitaufnahmen von Flüchtenden und Eindrücke vom Pilgerweg Camino de Santiago. Was ist das verbindende Element, warum diese drei Themen?
Die erste Antwort ist einfach: Ich selbst bin das verbindende Element. Die zweite Antwort ist etwas komplexer. Seit vielen Jahren setze ich mich intensiv mit Porträt- und Landschaftsfotografie auseinander. In immer neuen Serien stelle ich grundlegende Fragen an die Wahrnehmung des Abbilds: Wo liegen die Grenzen der Fotografie? Welche Filter und Urteile beeinflussen unser Sehen? Warum nehmen wir wahr, was wir wahrnehmen? Und wie gelingt es uns, uns selbst darin einzuordnen? Diese Fragen stellen sich für mich gleichermaßen in der Porträtfotografie wie auch in der Darstellung eines Stimmungsbildes von dem sehr populären Pilgerweg „Camino de Santiago“.