Frankfurt, 16.05.2025
Ökumene in Frankfurt: "Zusammen sprechen wir mit einer kräftigeren Stimme"

Ökumene bedeutet nicht nur theologischer Dialog, sondern auch gemeinsames Handeln. Daher stellt sich die grundlegende Frage: Was verstehen Sie unter Ökumene in Ihrem kirchlichen Kontext?
Holger Kamlah: Wir stehen als verfasste Kirchen für zwei schrumpfende Organisationen in einer pluralisierten Stadtgesellschaft. Gleichzeitig erleben wir, wie viel uns verbindet – durch unseren gemeinsamen Glauben, aber auch gesellschaftlich und politisch. In Frankfurt sind wir auf vielen Ebenen eng abgestimmt, insbesondere im politischen und stadtgesellschaftlichen Kontext. Ich sehe keinen Grund, nicht alles, was möglich ist, auch gemeinsam zu tun – selbstverständlich unter Beibehaltung unserer jeweiligen konfessionellen und kulturellen Eigenarten. Die Ökumene ist für uns in Frankfurt so selbstverständlich geworden, dass es schon fast kompliziert ist die Frage zu beantworten. Sie ist gelebter Alltag.
Michael Thurn: Dem kann ich nur zustimmen. Unsere alltägliche ökumenische Praxis ist vor allem die evangelisch-katholisch Ökumene, aufgrund der Größe unserer Kirchen. Doch in Frankfurt gibt es auch eine Vielzahl weiterer christlicher Gemeinschaften, die in der ACK Frankfurt (Arbeitsgemeinschaft christlicher Kirchen Frankfurt am Main) vernetzt sind.
Ökumene ist also in Frankfurt sehr etabliert. Wie sieht die Zusammenarbeit konkret aus?
Holger Kamlah: Auf Leitungsebene treffen wir uns regelmäßig, um aktuelle Fragen abzustimmen. Wir schaffen Rahmenbedingungen für die Ökumene vor Ort und unterstützen, wo es nötig ist, fördern Begegnungen und vernetzen Akteure. Die eigentliche ökumenische Praxis geschieht jedoch in den Gemeinden selbst, unabhängig von uns und oft schon seit Jahren gut eingespielt. Ökumene wirkt ganz konkret vor Ort. Außerdem versuchen wir die Reformprozesse, die wir beide durchlaufen, zu nutzen und Synergieeffekte zu heben. Ein konkretes Beispiel ist der Umgang mit Gebäuden in Gebäudeentwicklungsprozessen bzw. Gebäudereduktionsprozessen. Beide Kirchen reduzieren derzeit ihre Immobilien. Hier achten wir darauf, uns nicht gleichzeitig aus denselben Stadtteilen zurückzuziehen und prüfen, ob wir Standorte evangelisch und katholisch gemeinsam nutzen können, für langfristige Kooperationen. In Zukunft werden wir es vermutlich nicht mehr schaffen einzeln flächendeckend vertreten zu sein, aber vielleicht und hoffentlich schaffen wir es gemeinsam.
Michael Thurn: Das ist ein strategisch wichtiger und zugleich herausfordernder Prozess, der auch von politischer Bedeutung ist. Dabei braucht es Vertrauen, Geduld und viel Kommunikation. Und gerade weil die Zusammenarbeit schon vertrauensvoll ist, blicke ich optimistische auf die nächsten Schritte. Darüber hinaus lohnt es sich, den Blick auf die Ökumene nochmal zu weiten und auf das Fundament zu schauen: Wir bekennen in Frankfurt gemeinsam Christus. Das ist es, was uns gemeinsam trägt und ausmacht. Diese Basis zeigt sich an ganz vielen Stellen. Wir haben gemeinsame, ökumenische Gottesdienste in allen Stadtteilen, auf Gemeinde- und Stadtebene. Wir haben eine ökumenische Zusammenarbeit in der Kirchenmusik und Krankenhausseelsorge. Das sind Beispiele für gut etablierte ökumenische Zusammenarbeit in Frankfurt. Es ist allen Beteiligten klar: Mit einer gemeinsamen christlichen Stimme sind wir stärker.
Trotz aller Erfolge und Kooperationen: Ganz ohne Spannungen und Herausforderungen kommt auch die Frankfurter Ökumene nicht aus, oder?
Michael Thurn: Die größte Herausforderung liegt in unseren unterschiedlichen Strukturen – wie wir Entscheidungen treffen, wer Verantwortung trägt, wie schnell Prozesse laufen. Wir haben unterschiedliche Entscheidungs- und Organisationsstrukturen. Auch theologisch gibt es Unterschiede, etwa beim Amtsverständnis oder der Eucharistie. Aber diese spielen in der alltäglichen Zusammenarbeit nicht die Hauptrolle. Ökumene heißt für uns nicht alles vereinheitlichen, sondern Vielfalt wertschätzen. Es geht darum, Unterschiede wahrzunehmen und dennoch gemeinsam unterwegs zu sein – bei Wahrung der je eignen Identität. Wichtig ist die Perspektive des anderen nicht nur zu kennen, sondern sie „hochzuschätzen“, so heißt es schon beim Zweiten Vatikanischen Konzil.
Die Anerkennung von Vielfalt ist eine große ökumenische Stärke, aber wie wird mit den theologischen Differenzen im Alltag umgegangen?
Holger Kamlah: Das ist wieder eine Frage des Kirchenverständnisses: In der evangelischen Kirche liegt die Verantwortung für den Gottesdienst bei den Kirchenvorständen. Es gibt kein zentrales Lehramt, das begleitend oder kontrollierend auf die Einhaltung bestimmter Kriterien achtet. Das schafft Spielräume. Natürlich gibt es auch Ordnungen und Grenzen. Aber es ist für uns selbstverständlich, Christinnen und Christen anderer Konfessionen zum Abendmahl einzuladen, was auf katholischer Seite schwierig ist.
Michael Thurn: In der katholischen Kirche ist die Eucharistie eng mit dem sakramentalen Amtsverständnis verbunden. Eine generelle Einladung anderer Konfessionen zum Empfang der Eucharistie ist derzeit nicht möglich. Trotzdem können wir anerkennen, wenn evangelische Menschen eine Gewissenentscheidung treffen und bewusst zur Eucharistie hinzutreten.
Sie haben bereits erwähnt, dass auch die politische Dimension ein wichtiger Teil Ihrer Zusammenarbeit ist. Wie wird das deutlich?
Holger Kamlah: Ein zentraler Aspekt unserer Zusammenarbeit ist politischer Natur. Wir sind sehr bestrebt – und es gelingt uns meines Erachtens auch sehr gut –, dass wir gegenüber dem Magistrat, der Stadtpolitik und der Frankfurter Öffentlichkeit, immer dann, wenn politische Fragestellungen des gesellschaftlichen Zusammenlebens gestellt werden, gemeinsam agieren. Zusammen sprechen wir mit einer kräftigeren Stimme. Außerdem führen wir regelmäßig ökumenische Parteiengespräche mit CDU, SPD und Grünen. Wir vernetzen uns gemeinsam mit anderen zivilgesellschaftlichen Akteuren und sind im Römerbergbündnis aktiv, zusammen mit Gewerkschaften, der Jüdischen Gemeinde und dem Frankfurter Jugendring.
Michael Thurn: Wir engagieren uns für Demokratie, soziale Gerechtigkeit und gegen Rechtsextremismus. Unsere politische Stimme hat mehr Gewicht, wenn wir sie gemeinsam erheben. Vor Wahlen veröffentlichen wir gemeinsame Stellungnahmen – das hat sich bewährt. Wichtig ist uns: Wir äußern uns gezielt zu Themen mit Frankfurt-Bezug, die die Frankfurter Stadtgesellschaft betreffen. Diese können natürlich auch einen größeren politischen Kontext haben, wenn es um die Verteidigung der Würde des Einzelnen geht oder um den Schutz von Minderheiten.
Die beschriebene Zusammenarbeit klingt sehr innovativ. Gibt es Projekte mit Modellcharakter, die über Frankfurt hinausstrahlen?
Holger Kamlah: Diese gemeinsamen, politischen Abstimmungen und Äußerungen der beiden Kirchen sind keine Ausnahme in Frankfurt, solche Prozesse gibt es auf vielen Ebenen. Wir sind auf vielen Ebenen gemeinsam unterwegs.
Michael Thurn: Diese politische Seite kann ich unterstreichen. Ich denke aber auch, dass wir im Blick auf die gegenseitige Einladung zu Gottesdiensten – bei gleichzeitiger Wahrung der Unterschiede bei der Möglichkeit des Abendmahl- und Eucharistieempfangs – beispielgebend für andere sein können. Der Ökumenische Kirchentag in Frankfurt hat diese Praxis neu lebendig werden lassen und wir konnten im Januar diesen Jahres in ganz Frankfurt daran anknüpfen. So ist diese Praxis mit Frankfurt verbunden und hat eine besondere Stahlkraft nach außen. Wenn wir solche Impulse aus unserer Stadt geben können, freuen wir uns.
Und mit Blick in die Zukunft: Welche Visionen haben Sie für die ökumenische Zusammenarbeit in Frankfurt?
Holger Kamlah: Wir sind dran – unsere Vision ist, dass wir gemeinsam Orte und Gebäude bespielen. Ein konkretes Projekt gibt es im Riederwald, hier gibt die evangelische Kirche ihren Standort auf und zieht in das katholische Gebäude mit ein. Dabei geht es nicht darum im selben Gebäude nebeneinander her zu leben, sondern um gemeinsame ökumenische Präsenz in einem Sozialraum. Ziel ist es, dort wirklich gemeinsam Kirche zu sein – mit gemeinsamen Gremien und Aktionen, unter Wahrung der jeweiligen Unterschiede.
Michale Thurn: Ja, wir wünschen uns mehr Orte, wo wir gemeinsam Kirche sind – unter einem Dach. Das Projekt im Riederwald soll kein Einzelfall bleiben, sondern ausgeweitet werden, auch wenn die Umsetzung angesichts der unterschiedlichen Strukturen nicht einfach ist. Das erfordert Mut, Vertrauen und Geduld. Aber wir sind gut beraten, immer stärker aus unserem gemeinsamen christlichen Bekenntnis heraus handeln.
Ökumene ist nicht nur Struktur und Strategie: Was bedeutet Ihnen persönlich Ökumene?
Holger Kamlah: Ich war früher durchaus kritisch gegenüber der katholischen Kirche, beispielsweise gegenüber Äußerungen vom Vatikan zu unterschiedlichen Fragen, da es meinem Selbstverständnis widersprochen hatte. Aber durch viele Begegnungen hat sich meine Sicht verändert. Heute erlebe ich in der Ökumene vor Ort inspirierende Gesprächspartner, engagierte Menschen mit gleichen Interessen und Zielen. Vertrauen entsteht durch gelebte Praxis.
Michael Thurn: Begegnung ist der Schlüssel. Sie ermöglichen ganz viel und lassen Vertrauen wachsen. Wo Vertrauen wächst, kann viel entstehen. Auch ich kenne Vorbehalte – bisweilen gibt es eine gewisse „katholische Überheblichkeit“. Je mehr wir miteinander ins Gespräch kommen, gemeinsam handeln, gemeinsam beten und geistlich unterwegs sind, desto stärker wird das gegenseitige Vertrauen, desto gewisser wird die gemeinsame Basis.
Weitere Informationen über die ökumenische Zusammenarbeit finden Sie unter www.christliches-frankfurt.de. Die Webeite bündelt ökumenische Gottesdienste, Aktionen und Informationen.