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Augsburg, 18.07.2025

Öffentliche Debatte um Brosius-Gersdorf

Im Zusammenhang mit der öffentlichen Debatte um die gescheiterte Wahl von Prof. Dr. Frauke Brosius-Gersdorf zur Verfassungsrichterin hat sich der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Bischof Dr. Georg Bätzing, am 16. Juli 2025 in einem ausführlichen Interview mit der Augsburger Allgemeinen geäußert.

Bischof Bätzing spricht darin über die Haltung der katholischen Kirche zum Lebensschutz, zur Verantwortung der Politik und zur Rolle der Kirche in gesellschaftlichen Debatten. Dabei stellt er klar: Die Position der Kirche zum Schwangerschaftsabbruch ist eindeutig. Zugleich warnt er vor einer ideologischen Aufladung und einem politischen Kulturkampf.

In Anbetracht der zum Teil verkürzten öffentlichen Reaktionen dokumentieren wir hier den Auszug des Interviews, um den Kontext der Aussagen nachvollziehbar zu machen und eine sachliche Einordnung zu ermöglichen:

Daniel Wirsching (Redakteur):
Ich war heute in der Redaktion und habe die Nachrichten verfolgt. Das bestimmende Thema, Sie werden es erahnen können, der Name heißt Frauke Brosius-Gersdorf, die Kandidatin der SPD für ein Amt als Verfassungsrichterin – hoch umstritten. Es haben sich Kollegen, also Mitbrüder von Ihnen, zu Wort gemeldet. Aber komischerweise hat man vom Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz, von Georg Bätzing, nichts gehört. Wie kommt‘s?

Bischof Dr. Georg Bätzing:
Aufgrund einer Entscheidung. Es geht hier um eine Personalfrage, und da, glaube ich, ist es nicht gut, dass wir uns als Bischöfe persönlich dazu positionieren. Wir haben ganz klar abgestimmt in diesem Verfahren, als deutlich wurde: Es gibt drei Kandidaten, und eine darunter teilt mit Gewissheit die Position der katholischen Kirche in der Frage des Schwangerschaftsabbruchs nicht. Da haben wir gesagt: Der Leiter des Kommissariats der deutschen Bischöfe in Berlin soll dazu Stellung nehmen – und das auch noch einmal deutlich markiert.

Die Position der katholischen Kirche zur Frage des Schwangerschaftsabbruchs ist sehr klar. Wir haben uns – vor allem in den letzten beiden Jahren – deutlich positioniert, als in der vorhergehenden Koalition gesetzliche Initiativen entstanden sind, den § 218 aus dem Strafgesetzbuch herauszunehmen und neue Regelungen zu finden. Da ging es um Stichworte wie „abgestufter Lebensschutz für ungeborene Kinder“. Das war immer schon das Thema.

Und wir haben uns sehr klar als katholische Kirche positioniert und gesagt: Warum soll man einen befriedeten Zustand, den es in unserem Land gibt – hinsichtlich dieses Paragraphen und hinsichtlich des Kompromisses, der politisch in den 1990er-Jahren möglich war – auflösen und möglicherweise provozieren, dass es einen neuen gesellschaftlichen Kampf um dieses Thema gibt? Die Situation von Frauen, die ungewollt schwanger sind, ist zu berücksichtigen.

Das ist Selbstbestimmungsrecht. Und gleichzeitig sieht unsere Verfassung den Schutz des Lebensrechts jedes Menschen auch vor der Geburt vor. Das heißt: Das, was jetzt beschrieben wird – auch von der nominierten Kandidatin –, ist eine Dilemmasituation, in der man jedes Mal steht. Unsere gesetzliche Situation sagt: Der Schwangerschaftsabbruch ist strafbewehrt, denn hier geht es um ein Rechtsgut.

Dieser ungeborene Mensch hat ein Recht auf Leben. Und gleichzeitig gibt es bestimmte Situationen, in denen der Schwangerschaftsabbruch straffrei ist. Das heißt: Frauen, die sich unter den Bedingungen, die die Gesetzeslage vorsieht, für einen Abbruch entscheiden, werden nicht kriminalisiert. Sie handeln straffrei. Und die Kirche sagt dazu im Moment: Lasst uns diese kluge Balance halten, die das Recht auf Leben schützt und strafbewehrt.

Die Kinder können sich nicht selbst schützen, sie können keinen Anwalt nehmen. Sie brauchen einen Anwalt im Strafrecht. Gleichzeitig aber muss die Situation der Frauen durch Beratung so individuell in den Blick genommen werden, dass Frauen eine gute Entscheidung treffen können – eine freie Entscheidung, aber unterstützt durch eine Beratung, die alle Türen öffnet. Um sagen zu können: Wir möchten dieses Kind einladen, auf die Erde zu kommen.

Wirsching: 
Das ist die Position der katholischen Kirche, die ja hinlänglich bekannt ist – überrascht also niemanden mehr. Aber auch die Position der Kandidatin überrascht im Grunde keinen mehr, weil sie eine rechtswissenschaftliche Position vertritt, die sehr verbreitet ist – übrigens auch die Mehrheitsmeinung in Umfragen der Bevölkerung widerspiegelt. Und doch ist das eingetreten, was Sie gerade sagten, was nicht hätte eintreten sollen – nämlich ein Kulturkampf.

Die Debatte ist wirklich über alle Maßen über den Rahmen gegangen des Anständigen, würde ich sagen. Und mein Eindruck war ein bisschen, wenn ich manchen Kommentar Ihrer Mitbrüder gelesen habe, dass da vielleicht auch die Kirche dazu beigetragen hat. Stefan Oster oder Rudolf Voderholzer haben von einem „radikalen Angriff auf die Fundamente unserer Verfassung“ gesprochen, und der Bamberger Erzbischof Herwig Gössl hat von einem „innenpolitischen Skandal“ gesprochen – fühlt sich jetzt missverstanden, wie er heute erklärt hat. Aber doch sind diese Begriffe in der Welt.

Bischof Bätzing:
In dieser gesamten Debatte ist viel schiefgelaufen. Derzeit sind sehr viele Personen, Kreise, das Parlament, Parteien, die Auswahlkommission – fast alle, die damit irgendwie berührt waren, beschädigt. Ich glaube, das hätte man durch kluges Agieren vermeiden können. Und ich will nicht dazu beitragen – auch heute Abend nicht –, das weiter zu verschärfen. Denn es ist kein Thema für einen Kulturkampf.

Und wir können diesen Kulturkampf in unserer gegenwärtigen gesellschaftlichen Situation nicht gebrauchen. Denn wir können doch ahnen, wer die eigentlichen Profiteure davon sind.

Wirsching:
Wer sind denn die Profiteure?

Bischof Bätzing:
Die sich im Moment sehr zurückhalten. Aber ich bekam heute einen Brief: „Herr Bischof, jetzt frage ich Sie, Sie haben in Augsburg im letzten Jahr die Erklärung zur AfD veröffentlicht und gesagt, der völkische Nationalismus der AfD sei nicht vereinbar mit christlichen Werten. Stehen Sie jetzt auch noch dazu, obwohl ein Parteigänger der AfD ja den Fokus auf die Kandidatin gerichtet hat – zuerst – und die AfD die einzige Partei ist, die die Position der katholischen Kirche zum Schwangerschaftsabbruch vertritt?

Ich kann nur sagen: Nein, die AfD vertritt unsere Position nicht. Denn deren Verständnis vom Schwangerschaftsabbruch bezieht sich auf – ich sage mal – nicht alle Teile unserer Bevölkerung. Sie bezieht sich auf den völkischen Teil, den sie im Verständnis haben von „Volk“. Es gibt keine Verbindung zu dieser Partei und ihrem Programm. Und ich denke: Das könnten die Profiteure werden, wenn wir uns gegeneinander treiben lassen.

Wirsching:
Sehen Sie da auch eine Kampagne?

Bischof Bätzing:
Mittlerweile rechne ich auch mit so etwas. Ich habe mir das lange nicht vorstellen können. Aber mittlerweile müssen wir ernst nehmen, dass es in vielen Bereichen Interessen gibt, die Gesellschaft auseinanderzutreiben, zu polarisieren, die Bubbles gegeneinander auszuspielen. Das wird betrieben. Das wird auch mit Geld betrieben, das wird auch über die Medien betrieben, über die Netzwerke, die es in diesen Bereichen gibt.
Wir müssen sehr achtsam sein, ob wir uns da einbinden lassen, ob wir uns da sozusagen kaufen lassen – oder eben nicht.

Wirsching:
Wie wird es jetzt weitergehen – auch mit der Kandidatin? Wenn Sie den Auftritt bei Markus Lanz gesehen haben. Das war eine wirklich verletzte Frau.

Bischof Bätzing:
Ja, das kann man doch nur verstehen. Ich möchte mich nicht zur Kandidatin äußern – das ist wirklich eine Entscheidung, die ich getroffen habe. Das ist Aufgabe der Politik: Kandidaten für das höchste Amt von Bundesrichtern zu finden – sie dann aber auch so vorzustellen und zu präsentieren, dass sie wählbar sind. Es braucht die Mehrheiten im Parlament dazu.

Und da liegt offensichtlich auch ein Fehler im Umgang mit dieser Wahl. Und diese Frau hat es nicht verdient, so beschädigt zu werden. Das muss ich ganz klar sagen.

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