Berlin
In Zeiten des Misstrauens Vertrauen neu gewinnen
Angesichts einer Welt voller Widersprüche, die in vielfacher Weise bedroht sei, und mit Blick auf die Spannungen innerhalb der Gesellschaft in Deutschland, hat der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Bischof Dr. Georg Bätzing, zu Auswegen aus der Vertrauenskrise aufgerufen: „Nicht auf die Unglückspropheten und Angstmacher richtet sich unser Blick, sondern auf Kooperationen der Hoffnungsvollen, mit denen wir gemeinsam für Gerechtigkeit, Frieden und die Bewahrung der Schöpfung eintreten wollen“, sagte er am Montag, 10. November 2025, beim St. Michael-Jahresempfang in Berlin. Vor etwa 600 geladenen Gästen, darunter Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, Bundestagspräsidentin Julia Klöckner und Bundesministerin Karin Prien sowie Vertreterinnen und Vertretern der Religionen und der Ökumene, erinnerte Bischof Bätzing daran, dass es in der öffentlichen Wahrnehmung ein „Zufriedenheitsparadox“ gebe: „Ich frage mich: Wie können wir persönlich Auskommen, Frieden, Freiheit genießen und uns zugleich in einem kollektiven Tonfall des Misstrauens, der Gereiztheit und der Dauerunzufriedenheit einrichten?“
Veränderte Grundlagen für das Vertrauen in Politik und Kirche
In seiner Rede konstatierte Bischof Bätzing veränderte Grundlagen für das Vertrauen in der Politik und in der Kirche: „In der Vergangenheit war die Vertrauensbildung vielfach identitätsbasiert“, man habe einer politischen Partei vertraut, weil man ihr angehörte, man habe hier einen entscheidenden Paradigmenwechsel vollzogen: „Der Vertrauensaufbau vollzieht sich leistungs- bzw. erfahrungsbasiert statt identitätsbasiert. Ich vertraue mithin einer bestimmten politischen Partei nicht deshalb, weil sie eine bestimmte politische Partei ist, sondern weil sie das leistet, wofür sie angetreten ist. Ebenso wenig vertraue ich einer Kirche deshalb, weil ich ihr angehöre, sondern vornehmlich, wenn sie erfüllt, was in meinen Augen ihre Aufgabe ist. Ein in früheren Zeiten verbreiteter Vertrauensvorschuss ist jedenfalls im Blick auf die Kirche angesichts von Machtmissbrauch und Skandalen weitgehend aufgebraucht“, so Bischof Bätzing. Heute müsse es neu gelten, Vertrauen zu gewinnen, indem man Probleme löse.
Rückkehr zu einer dienenden Kirche
Das sei auch entscheidend für eine dienende Kirche: „Ich finde diese perspektivische Ausrichtung … ungemein tröstlich und ermutigend. Bedeutet die Rückkehr zu einer dienenden Kirche doch auch, dass sich die Überbringerin der Botschaft aus einem für viele anstößigen Selbstwiderspruch befreien und ihrer Botschaft zu neuer Kraft verhelfen kann. Und die Kirche hat doch nur insofern eine Berechtigung, als sie der ihr aufgetragenen Botschaft – dem Evangelium von der Freiheit in Christus – zur Geltung verhilft. Die Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung zeigt überdeutlich, dass wir in einer säkularen Gesellschaft an genau diesem Anspruch gemessen werden. Sowohl Kirchenmitglieder als auch Konfessionslose wünschen sich die Kirche als gesellschaftliche Akteurin mit einem profiliert diakonischen Profil“, betonte Bischof Bätzing.
Kirche bleibt präsent im öffentlichen Raum
Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz ging dabei auch noch einmal auf die Situation in Kirche und Gesellschaft ein, wo man gewissermaßen am „offenen Patienten“ beobachten könne, was passiere, „wenn Misstrauen, Aggression und Spaltung um sich greifen. Wir werden uns eingestehen, dass Institutionen fragil sind und ihr Fortbestand keineswegs selbstverständlich ist. Und zugleich werden wir feststellen, dass mit der Sorge um den Fortbestand der Demokratie ja nicht nur äußerlich die Frage nach einer Staatsform, sondern viel grundlegender die Sorge um die dauerhafte Geltung fundamentaler Werte unseres Zusammenlebens verbunden ist, wie sie unser Grundgesetz in der Präambel und mit den Grundrechten formuliert hat.“ Eindringlich warnte Bischof Bätzing vor erheblich zunehmenden Empörungsdynamiken: „Der aggressive Ton politischer Debatten, Ausbeutungslogiken und die Vernachlässigung der Perspektiven der Schwächsten zeugen davon, dass wir drohen, uns selbst, die Menschlichkeit, das, was unsere Gesellschaft im Innersten zusammenhält, aus den Augen zu verlieren. Wir rasen und werden getrieben – und kommen doch nicht voran.“
Mit Blick auf die Kirche sicherte Bischof Bätzing – auch der Politik – zu, dass man weiterhin präsent sei im öffentlichen Raum: „In den grundlegenden Debatten des gesellschaftlichen Diskurses und den sich daraus ergebenden Gesetzesinitiativen wird man auch künftig mit Stimmen aus dem Raum der Kirche rechnen müssen – nicht, weil wir besondere Freude daran hätten, als ‚Störenfriede‘ aufzutreten, sondern weil uns durch das Evangelium aufgetragen ist, für Frieden und Verständigung zu streiten und dabei möglichst viele Menschen einzubeziehen, gerade auch diejenigen, die nicht für sich sprechen können oder am Rande stehen.“