Gladenbach, 02.10.2025
Gelebte Willkommenskultur

Die Stimmen zittern ein wenig, als Hanifa, Abed und Maria ihre Geschichten erzählen. In den Räumen der Flüchtlingshilfe Gladenbach ist es still, alle hören aufmerksam zu. „Ich will jetzt nicht weinen“, sagt Hanifa, Mutter von zwei Kindern aus Syrien. „Aber ohne die Hilfe hier hätte ich es nicht geschafft.“ Seit mehr als einem Jahr nimmt sie am Azubi-Projekt teil. Ihr Traum: eine Ausbildung als Diätassistentin. „Ich habe so viel gelernt – nicht nur für die Ausbildung, sondern auch für meinen Alltag. Dafür bin ich unendlich dankbar.“
Auch Abed, der 2017 nach Deutschland kam, findet klare Worte: „Die Flüchtlingshelfer haben mir von Anfang an geholfen – bei Terminen, Papieren, beim Deutsch lernen. Ohne diese Unterstützung hätte ich meine Ausbildung als Kfz-Mechatroniker nicht geschafft.“ Heute arbeitet er seit fast sieben Jahren fest bei Mercedes. Stolz fügt er hinzu: „Gladenbach ist für mich Heimat geworden.“
Maria wiederum erzählt mit italienischem Temperament von ihrem Weg: aus Kalabrien nach Gladenbach, mit zwei Töchtern, voller Unsicherheiten. Heute steht sie kurz vor dem Abschluss ihrer Ausbildung im Einzelhandel. „Am Anfang dachte ich, ich schaffe das nie. Aber jetzt sehe ich, dass es möglich ist.“
Besonders eindrücklich ist auch die Perspektive von Fahrlehrer Ingo Schneider, der viele junge Geflüchtete auf dem Weg zum Führerschein begleitet hat. „Für die meisten ist das nicht nur ein Stück Mobilität“, erklärt er, „sondern ein Türöffner: zur Ausbildungsstelle, zum Arbeitsplatz, in ein selbstständiges Leben. Ich sehe, wie viel Mut und Energie diese jungen Leute investieren, oft neben Schichtarbeit und Sprachkursen. Und ich sehe auch, wie sehr sie sich anstrengen, Teil unserer Gesellschaft zu werden. Das beeindruckt mich jeden Tag aufs Neue.“
Ein Projekt, das Leben verändert
Diese Beispiele zeigen, was das Azubi-Projekt der Flüchtlingshilfe Gladenbach leistet. Seit 2019 begleiten Carmen Pflug und Marianne Blüm junge Geflüchtete bei ihrer Ausbildung – ehrenamtlich, mit Herzblut und unerschütterlichem Durchhaltevermögen. „Wir wollten nicht länger zusehen, dass junge Menschen ihre Ausbildung abbrechen, weil ihnen die Sprache und das Fachwissen fehlen“, erzählt Pflug. Also entwickelten die beiden ein Konzept: zusätzliche Lerntreffen, einfache Materialien, Geduld und viel persönliche Zuwendung. „Wir wissen, wie schwer der Alltag für viele ist – Schichtarbeit, wenig Geld, Trennung von der Familie“, sagt Blüm. „Umso größer ist unsere Freude, wenn jemand seine Prüfung besteht – manchmal sogar mit einer Eins.“ Doch das Projekt ist teuer. Fachbücher, Prüfungsunterlagen, Tablets und Whiteboards summieren sich. „Ohne Technik können unsere Azubis nicht bestehen“, erklärt Pflug. „Wir brauchen dringend Unterstützung, damit wir weitermachen können.“
Hier gelingt Integration
Am Montag, 29. September 2025, besuchte Bischof Dr. Georg Bätzing das Projekt im Kontext der Woche der Katholischen Flüchtlingshilfe. „Ich bin tief beeindruckt von der Kraft, die hier spürbar ist. Integration gelingt, wenn Menschen an die Hand genommen werden, wenn ihnen jemand zutraut, hier einen Platz zu finden. Das sehe ich hier in Gladenbach in beeindruckender Weise.“ Der Bischof erinnerte daran, dass die Geflüchteten nicht freiwillig nach Deutschland gekommen seien, sondern weil sie in ihrer Heimat nicht bleiben konnten. „Umso wichtiger ist es, dass sie hier Zukunft finden können – durch Arbeit, durch Familie, durch Bildung. Wir brauchen diese Menschen, gerade auch als Fachkräfte in vielen Bereichen.“
Ein Leuchtturm weit über Gladenbach hinaus

Das Azubi-Projekt gilt inzwischen als bundesweit beachtetes Modell. Bei Fachtagungen und in Broschüren der Deutschen Bischofskonferenz wird es als „Best Practice“ vorgestellt. „Was hier gelingt, ist außergewöhnlich“, sagte Merhawit Desta vom Diözesancaritasverband Limburg. „Und es zeigt, was Ehrenamt und gelebte Willkommenskultur bewirken können.“ Caritasverband und Bistum unterstützen das Projekt mit Mitteln aus dem Fonds Partnerschaft mit Flüchtlingen (PmF). Doch trotz aller Erfolge bleibt die Sorge um die Zukunft. Nur noch zehn Ehrenamtliche halten die Arbeit am Laufen – 2015 waren es noch rund achtzig. Gleichzeitig ist die Zahl der Geflüchteten in Gladenbach auf mehr als 600 gestiegen. „Das Verhältnis ist nicht mehr tragbar“, sagt Blüm. „Aber wir lassen uns nicht entmutigen. Solange jemand eine Ausbildung beginnen will, werden wir helfen.“
Hoffnung als Auftrag

Für Hanifa, Abed, Maria und viele andere ist die Hilfe in Gladenbach mehr als Nachhilfe. Sie ist ein Wegweiser ins Leben, ein Stück Heimat in der Fremde, ein Raum der Hoffnung. „Es sind diese Geschichten, die Mut machen“, fasste Bischof Bätzing zusammen. „Gladenbach zeigt uns: Integration ist möglich. Sie braucht Mut, Geduld – und viele helfende Hände. Ich bin dankbar, dass es dieses Projekt gibt.“