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Limburg, 05.09.2025

Bericht zur Aufarbeitung 2024

Die Unabhängige Kommission zur Aufarbeitung sexueller Gewalt im Bistum Limburg (UKO) hat am Samstag, 30. August 2025, den Jahresbericht 2024 veröffentlicht. Sie zieht damit eine kritische Bilanz ihrer Tätigkeit.

Nach der Begleitung der Umsetzung des Maßnahmenkatalogs aus dem Projekt „Betroffene hören – Missbrauch verhindern“ in den ersten beiden Jahren, verlagerte sich der Arbeitsschwerpunkt der Kommission im dritten Jahr ihres Bestehens auf konkrete Fallaufarbeitungen, strukturelle Analyse und strategische Neuausrichtung. Der Bericht dokumentiert nicht nur erschütternde Einzelschicksale, sondern benennt auch institutionelle Schwächen und offene Handlungsfelder.

Ein Schwerpunkt der Arbeit war die Beschäftigung mit Einzelfällen sexuellen Missbrauchs durch Geistliche, die bislang nicht systematisch untersucht worden waren. Die Kommission befasste sich unter anderem erneut mit dem Fall des mehrfach versetzten, teils strafrechtlich verurteilten Priesters W. W., der in den Bistümern Würzburg, Bamberg und Limburg (Westerwald) tätig war, sowie mit Übergriffen durch Kleriker in Gemeinden in Wetzlar, Winkel, Höhr-Grenzhausen und Frankfurt. Es meldeten sich Betroffene, die zu Übergriffen durch die Pfarrer J. R. und P. P. angehört wurden. In mehreren Fällen bestätigten sich Hinweise auf weitere bislang unbekannte Betroffene. Die Kommission spricht von einem „weiterhin großen Dunkelfeld“ und fordert erneut ein konsequentes Vorgehen gegen das Vergessen.

Dank an Zeitzeuginnen und Zeitzeugen

Besonderer Dank gilt jenen Betroffenen sowie Zeitzeuginnen und -zeugen, die im Berichtsjahr den Mut aufbrachten, der Kommission ihre Geschichte anzuvertrauen. Ihr Sprechen über erlittenes Unrecht bilde das Fundament jeder ernstzunehmenden Aufarbeitung, heißt es von Seiten der Kommission. Sie würdigt ausdrücklich die Bereitschaft, sich mitzuteilen, da diese Schilderungen oft mit großer persönlicher Belastung verbunden seien.

Die UKO weist darauf hin, dass das Teilen dieser Erfahrungen im Rahmen der Anhörungen neben der Chance, endlich Gehör zu finden, ausschließlich der historischen und institutionellen Aufarbeitung dient. Es ersetzt kein offizielles Verfahren zur Anerkennung des Leids und begründet weder finanzielle noch sonstige Ansprüche. Entsprechende Anträge können und müssen – unabhängig von der UKO – direkt beim Bistum Limburg gestellt werden.

Neues Mitglied: Milena Noll

Nach dem Ausscheiden eines bisherigen Mitglieds zum Jahresende 2023 erhielt die UKO im März 2024 kompetente und tatkräftige Verstärkung mit der Berufung von Prof. Dr. Milena Noll, ausgewiesene Expertin im Bereich Kinderschutz, sexualisierte Gewalt und Präventionsforschung.

Im Berichtsjahr weitete die Kommission ihre Tätigkeit auf bislang noch nicht bearbeitete Felder aus – darunter die Aufarbeitung sexueller Gewalt an katholischen Schulen im Bistum und in den im Bistum tätigen Ordensgemeinschaften. Eine eigens entwickelte Umfrage unter 51 Ordensgemeinschaften lieferte zwar eine Rücklaufquote von mehr als 70 Prozent, offenbarte jedoch gravierende Lücken: Nur vier Orden führten bisher systematische Aufarbeitungsstudien durch, ein Großteil der Gemeinschaften verneinte Missbrauchsvorkommen in den letzten Jahrzehnten – eine Einschätzung, die angesichts der allgemeinen Datenlage als statistisch unwahrscheinlich anzusehen ist, laut Kommission.

Studie an Schulen vorerst gestoppt

Ein Forschungsvorhaben zu sexuellem Missbrauch an katholischen Schulen wurde intensiv geplant und ein Exposé geschrieben. Die benötigten Mittel für eine sogenannte Vorstudie, die vor allem auf Aktensichtung beruhen sollte, wurden vom Bistum bewilligt. Es erfolgte eine Ausschreibung. Letztlich musste das Vorhaben aus verschiedenen Gründen vorerst gestoppt werden. Die neu konstituierte UKO wird entscheiden, ob eine Wiederaufnahme des Forschungsvorhabens erfolgen soll und kann.

Intern zeigt der Bericht weiteren Reformbedarf auf. Anerkennungsleistungen für Betroffene erfolgen laut UKO nach wie vor in intransparenter Weise, nachvollziehbare Kriterien fehlten. Auch die Neubesetzung zentraler Ämter sei verbesserungswürdig: So wurde die Position der unabhängigen Ansprechperson im Herbst 2024 erneut mit einem Juristen besetzt – ohne öffentliche Ausschreibung oder ein offengelegtes Anforderungsprofil. Die Kommission äußert sich damit nicht zur Qualifikation des Amtsinhabers, fordert jedoch für künftige Verfahren transparente, qualitätsgesicherte Auswahlprozesse.

Weiterentwicklung öffentlicher Formate

Die Unabhängige Kommission spricht sich ausdrücklich für eine Weiterentwicklung öffentlicher Veranstaltungsformate zur Aufarbeitung sexuellen Missbrauchs in kirchlichen Kontexten aus. Solche Formate, die als Erzählräume oder Begegnungsräume gestaltet werden können, sind aus Sicht der UKO ein zentraler Bestandteil ernsthafter institutioneller Aufarbeitung. Sie schaffen Raum für das Sprechen über erlebtes Unrecht, geben Betroffenen Gehör, fördern die kollektive Auseinandersetzung mit verdrängter Vergangenheit und stärken die Bereitschaft zur Verantwortung innerhalb betroffener Gemeinden. Die Kommission empfiehlt, diese Formen des öffentlichen Austauschs künftig häufiger und systematisch zu etablieren.

Zugleich stand zum Ende der ersten Berufungszeit die vollständige Neuberufung der Kommission bevor: Sechs der neun Mitglieder haben mit Ablauf der ersten Amtsperiode ihre Tätigkeit beendet. Darunter auch die langjährige Vorsitzende Claudia Burgsmüller, die das Gremium seit seiner Gründung mit hoher fachlicher Kompetenz, menschlicher Klarheit und großem Engagement geleitet hat. Die Kommission würdigte ihre Arbeit mit großem Dank – und sprach ihr tief empfundenes Bedauern über ihren Tod im Juni 2025 aus. Ihr Wirken bleibe prägend für die unabhängige Aufarbeitung im Bistum Limburg.

Stärkung unabhängiger Strukturen

Die Kommission setze sich fortlaufend zur Stärkung unabhängiger Strukturen und zur Fortsetzung eines glaubwürdigen Aufarbeitungsprozesses ein. Denn eines bleibe, so das Fazit des Berichtes, unverrückbar: „Aufarbeitung ist kein Projekt mit Enddatum, sondern eine Verpflichtung gegenüber den Betroffenen und der Gesellschaft.“

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