Körperkunst im Kirchenraum
„Grüß Gott“ – mit diesen Worten kommt der bekannte Tätowierkünstler Silas Becks in der Frankfurter Liebfrauenkirche an. Sein Tattoostudio „Mommy I’m sorry“, zu Deutsch: „Tut mir leid, Mama“, liegt in Stuttgart, doch für die Tattoo-Aktion der Katholischen Erwachsenenbildung Frankfurt (KEB) am Freitag und Samstag, 22. und 23. Oktober, kommt er gerne in die Bankenstadt.
Im Seitenschiff der Liebfrauenkirche steht ein Tisch gedeckt mit Küchenrolle, Frischhaltefolie, jeder Menge Desinfektionsmittel und Einweghandschuhen. Ein großer Scheinwerfer sorgt für das nötige Licht, um gleich der Gewinnerin der KEB Tattoo-Challenge, Vanessa Sas, ein Tattoo zu stechen. Sie hat sich für ein Zitat entschieden, das bald ihren Unterarm zieren soll: „Whatever souls are made of his and mine are the same“, übersetzt: „Woraus auch immer Seelen bestehen, seine und meine sind aus demselben“. Das Tattoo möchte sie ihrem Freund widmen, in dem sie einen Seelenverwandten gefunden hat. Um bei der Verlosung mitzumachen, mussten die Teilnehmenden auf ihrem Instagram-Profil ein Bild von ihrer Tätowierung posten, das einen religiösen oder spirituellen Bezug hat.
Die Kunst des schönen Schreibens
Silas Becks ist spezialisiert auf Kalligrafie. Seit dem er fünf Jahre alt ist, übt er sich in der Kunst des schönen Schreibens. Und vor 18 Jahren hat der Stuttgarter das Papier gegen Haut eingewechselt und verewigt seine Handschrift jetzt auch auf Menschen. So auch bei Sas. Vor Ort schreibt er ihr gewünschtes Zitat als Vorlage und platziert es auf ihrem Unterarm. „Es ist echt super schön!“, sagt Sas, die begeistert ist von ihrem Motiv. Sie nimmt Platz, Becks sitzt ihr gegenüber. Sie legt ihren Arm auf die Armlehne und in dem Moment, als Becks die Nadel ansetzt, werden alle in der Kirche ganz still. Es ist, als würde keiner wagen, diesen besonderen Moment stören zu wollen, es ist wie vor dem Beginn eines Gottesdienstes. Nur ein sanftes Surren ist zu hören.
„Mit der Aktion wollen wir den Menschen in unserer Stadt zeitgemäß und auf Augenhöhe begegnen“, sagt Markus Breuer, Leiter der KEB in Frankfurt. Tätowierungen mit christlicher Bedeutung seien auch nur Glaubensbekenntnisse, die unter die Haut gehen. Und diese Tradition gebe es auch schon lange, so Breuer. Pilgerinnen und Pilger und auch Tempelritter ließen sich mit ihren jeweiligen Erkennungszeichen prägen. „Tattoos und Religion lassen sich sehr gut miteinander verbinden. Sie sind auf keinen Fall ein Widerspruch.“ Der Meinung ist auch der Stuttgarter Tätowierer Silas Becks. Er selbst ist ebenfalls Katholik, trägt seinen Glauben auch auf der Haut. „So eine Kette mit Kreuzanhänger kann man jederzeit ablegen, aber ein christliches Tattoo bleibt“, sagt er. Becks ist außerdem Mitbegründer des Katholischen Bildungsverbandes für Tätowiererinnen und Tätowierer, der „Societas Indelebilis“. Der Dialog zwischen Katholizismus und Körperkunst soll dadurch gefördert werden, wie auch bei der Aktion der KEB. „Als Christ ist das eine ganz große Nummer hier in Liebfrauenkirche tätowieren zu können. Die katholische Kirche ist ein zugeknöpftes Hemd, manchmal tut es ihr gut, sich ein wenig zu öffnen“, so Becks.
Kostenloser Tattoo-Walk-In wird wiederholt
Nach der ersten Session mit Vanessa Sas wurden die Tattoo-Utensilien im Gottesdienst der Liebfrauenkirche gesegnet. Im Anschluss bekam auch die zweite Gewinnerin ihre gewünschten Motive gestochen. Am Samstag, 23. Oktober, bot die KEB die Möglichkeit, sich bei einem Tattoo-Walk In kostenlos von Silas Becks, ebenfalls in Liebfrauen, tätowieren zu lassen. Dazu konnten Interessierte sich aus acht christlichen Tattoos ein Motiv aussuchen und es direkt vor Ort verewigen lassen. Viele Menschen kamen dafür nach Frankfurt, über 30 Personen konnten tätowiert werden, mehr als 200 mussten vertröstet werden. „Mit so einer großen Resonanz hätten wir gar nicht gerechnet. Uns bleibt nichts anderes übrig als eine solche Aktion nochmal anzubieten“, sagt Markus Breuer von der KEB. Bald erfüllt also wieder das Surren der Nadel den Innenraum der Liebfrauenkirche in Frankfurt, um Glaubensbekenntnisse auf die Haut zu bringen.