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27.01.2012

Das Machbare ungenutzt lassen

Eine Ethik für das 21. Jahrhundert muss vorausschauend sein

FRANKFURT. Um einer Wissenschaft Paroli bieten zu können, die voller Fortschrittsenthusiasmus die Welt verändern will, braucht es die Entwicklung einer vorausschauenden Ethik. Die Fähigkeit, Dinge auch zu unterlassen, die der technische Fortschritt ermöglicht, gehöre unabdingbar zu einer menschlichen Gesellschaft im 21. Jahrhundert. Darauf haben FAZ-Herausgeber Frank Schirrmacher und der Theologie-Professor Eberhard Schockenhoff, Mitglied des Deutschen Ethikrates, in einem Aktuellen Forum des Frankfurter Domkreises Kirche und Wissenschaft am Donnerstag, 25. Januar, im Haus am Dom hingewiesen. Das Gespräch, eine Festveranstaltung zum 5. Geburtstag des Kultur- und Bildungszentrums des Bistums Limburg in Frankfurt, wurde von Meinhard Schmidt-Degenhard moderiert. Der Hessische Rundfunk hat es aufgezeichnet und strahlt es am Sonntag, 29. Januar, um 10.30 Uhr in der Reihe "Sonntagsgespräch" im 3. Programm aus.

Die Welt verändert sich rasant. Entwicklungen in Biotechnologie, Hirnforschung oder Nanotechnologie und die gleichzeitige weltweite Vernetzung stellen das Leben, das Wertesystem vor neue Herausforderungen. Ob Präimplantationsdiagnostik (PID) am Beginn des Lebens oder Sterbehilfe am Ende eines künstlich verlängerten Lebens - die moderne Medizin stellt die Würde des Individuums radikal in Frage. Hirnforscher wiederum glauben heute, schon Sekunden vor einer bewussten Entscheidung erste Anzeichen der Absicht im Gehirn auslesen zu können, und fragen deshalb, ob der vielgepriesene "freie Wille" wirklich so frei ist.

Schockenhoff und Schirrmacher waren sich darin einig, dass im Angesicht dieser Entwicklungen jetzt schon "alles getan" werden müsse, "um morgen nicht in ethische Dilemmata zu kommen". So müsse der wert des Lebens fundamental gedacht werden. Nur wer den Anfang des Lebens schütze, könne dem menschlichen Leben auch am Ende seinen Wert zumessen, betonte der FAZ-Herausgeber. Moral, betonte der Theologe, gründe nicht im Willen Gottes, sondern im menschlichen Zusammenleben. Jeder habe eine moralische Intuition, eine "Bauchgefühl", auf das er wieder stärker hören müsse. Dann könnten moralische Grundregeln auch wieder stärker implementiert werden: "Eine Ethik ist dann erfolgreich, wenn jeder versteht, warum der andere so handelt." Ethische Prinzipien seien nicht erst seit Kant in der praktischen Vernunft grundgelegt.

In der sich rasant verändernden Gesellschaft haben die Bürger nach Ansicht beider Gesprächspartner Macht, sei es als aufgeklärte Verbraucher, als Wähler, als Menschen, die für Freiheit, Würde und Gerechtigkeit auch in Zeiten existentieller Unsicherheit zu kämpfen bereit sein. "Wenn jeder seinen Beitrag leistet, ist auch vorsichtiger Optimismus im Blick auf eine Ethik für das 21. Jahrhundert angebracht", schloss Schirrmacher. (dw)

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