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24.09.2013

Die Wunden bleiben

Studie zur Heimerziehung im Sankt Vincenzstift und Marienhausen

RÜDESHEIM/Aulhausen.-  Das Sankt Vincenzstift und die Jugendhilfe Marienhausen haben zusammen mit dem Essener Franz-Sales-Haus an einer Studie zur Heimerziehung in den Jahren 1945 bis 1970 teilgenommen. Die wissenschaftliche Aufarbeitung erfolgte am Lehrstuhl für Kirchengeschichte der Ruhr-Universität Bochum von Prof. Dr. Wilhelm Damberg. Leiter des Forschungsprojektes war Dr. Bernhard Frings. 2010 begann die Arbeit an der Studie, die unter Einbeziehung zahlreicher Quellen, Archive und Interviews mit ehemaligen Bewohnerinnen und Bewohnern, Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sowie externer Stellen erstellt wurde. Das Forschungsprojekt ist jetzt mit der Veröffentlichung der Studie „Heimerziehung im St. Vincenzstift und im Jugendheim Marienhausen, Rüdesheim-Aulhausen 1945-1970“ abgeschlossen. 

Strenge, demütigende Strafen, körperliche Züchtigungen, sexualisierte Gewalt und Missbrauch waren Teil des Alltags, den zahlreiche Kinder und Jugendlichen in den Nachkriegsjahren im Sankt Vincenzstift Aulhausen und dem Jugendheim Marienhausen erleben mussten, wie die Studie ergab. „Die Ergebnisse, die die Studie zusammengetragen hat, übersteigen alles, was ich mir jemals vorgestellt habe“, sagte Dr. Dr. Caspar Söling, Geschäftsführer der Sankt Vincenzstift gGmbH und Träger der heutigen Jugendhilfe Marienhausen, anlässlich der Vorstellung. „Die Wunden, die damals zugefügt wurden, bleiben. Ich entschuldige mich ? auch im Namen des Kuratoriums - bei allen, die Leid in unseren Einrichtungen erfahren haben.“   

Dr. Söling berichtete, wie er im Oktober 2009 im Wiesbadener Landtag beim sogenannten runden Tisch Hessen mit schweren Vorwürfen gegen das Sankt Vincenzstift und vor allem gegen seinen früheren Direktor Rudolf Müller konfrontiert worden sei. „Mich machte das Gehörte betroffen und wütend. Und ich wusste, dass ich nicht einfach zur Tagesordnung übergehen konnte. Ich wollte es auch nicht.“ Das Sankt Vincenzstift beschloss mit Unterstützung seines Kuratoriums, dieses Thema auf zweifache Weise aufzuarbeiten. „Mir war es wichtig, dass wir uns als Stift persönlich um die Opfer kümmern und mir war es wichtig, dass eine unabhängige Institution die Geschichten des Sankt Vincenzstifts und der Jugendhilfe Marienhausen darstellt.“ 

Wie Dr. Frings bei der Vorstellung der Studie berichtete, waren für die Betreuung der Kinder und Jugendlichen im St. Vincenzstift die Dernbacher Schwestern maßgeblich. Insgesamt habe auf vielen Gruppen eine unter Schwestern wie weltlichen Kräften verbreitete Erziehungspraxis geherrscht, die sich eher an den Defiziten der Minderjährigen orientierte. Die auch innerhalb der deutschen Nachkriegsgesellschaft anerkannten Sekundärtugenden Ordnung, Reinlichkeit, Gehorsam und Arbeitsamkeit hätten im Rahmen eines klösterlichen Erziehungsstils als die entscheidenden Kriterien einer erfolgreichen Erziehung gegolten. Auf den Haus-Alltag habe sich diese Sichtweise wie in anderen Einrichtungen auch durch große Strenge, zum Teil demütigende Strafen und körperliche Züchtigungen, durch eine als unzureichend empfundene Förderung auf den Gruppen sowie nicht selten harte eintönige Arbeit aus gewirkt“, so Frings. Ähnliches berichtete der Wissenschaftler über das Leben im Jugendheim Marienhausen.   

„Ich spreche zu Ihnen als Mensch, der tief bewegt ist von den Berichten über die einzelnen Schicksale“, sagte die Provinzoberin der Dernbacher Schwestern, Sr. M. Simone Weber, deren Orden in den Nachkriegsjahren wieder die Betreuung der Kinder und Jugendlichen im Vincenzstift übernommen hatte. „Es drängt mich, mich stellvertretend für Schwestern, die sich in der beschriebenen Weise schuldig gemacht haben, zu entschuldigen. Es tut mir leid, dass ich das Geschehene nicht ungeschehen machen kann“, sagte die Provinzialoberin. 

Mit größtem Bedauern bestätigte auch der Vertreter der Ordensgemeinschaft der Salesianer Don Boscos, Provinzialvikar Pater Reinhard Gesing, dass es in ihrer damaligen Niederlassung Marienhausen Fälle von sexueller Gewalt und körperlicher sowie seelischer Misshandlung von Kindern und Jugendlichen gegeben habe. „Die von den Ehemaligen des Jugendheims Marienhausen angezeigten Vorfälle und Vergehen sind damals wie heute mit nichts zu rechtfertigen. Die Salesianer Don Boscos wissen sich durch diese Anschuldigungen zutiefst betroffen und beschämt. Im Namen der ganzen Ordensgemeinschaft bittet Provinzial P. Josef Grünner alle Opfer von Missbrauch und Misshandlung um Verzeihung für das erlittene Unrecht.“

 

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